Dr. Matt Kaeberlein, MD, PhD, ein führender Experte für Altern und Langlebigkeit, erläutert die potenziellen Risiken einer langfristigen Kalorienrestriktion. Er hinterfragt die nicht belegten Vorteile strenger Diäten zur Lebensverlängerung beim Menschen und weist auf mögliche negative Auswirkungen auf die Immunfunktion hin. Abschließend betont er die Notwendigkeit, bei jeder Ernährungsstrategie zur Verlangsamung des Alterungsprozesses das Nutzen-Risiko-Verhältnis sorgfältig abzuwägen.
Risiken der Kalorienrestriktion für das Altern und die Gesundheit des Immunsystems
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- Kalorienrestriktion über die Adipositasprävention hinaus
- Herausforderungen humaner Studien
- Risiken für das Immunsystem
- Risiko-Nutzen-Abwägung
- Fallstudie: Roy Walford
- Fehlende humane Evidenz
- Vollständiges Transkript
Kalorienrestriktion über die Adipositasprävention hinaus
Dr. Matt Kaeberlein, MD, PhD, erörtert, ob die Vorteile der Kalorienrestriktion allein auf der Vermeidung von Adipositas beruhen. Er hält dies für sehr unwahrscheinlich. Laborstudien an Nagetieren zeigen, dass die Lebensverlängerung über die Aufrechterhaltung eines Normalgewichts hinausgeht. Dr. Kaeberlein vertritt die Ansicht, dass Kalorienrestriktion wahrscheinlich positive Effekte auf die biologische Alterung beim Menschen hat.
Herausforderungen humaner Studien
Dr. Matt Kaeberlein, MD, PhD, erläutert die Schwierigkeiten bei der Erforschung der Kalorienrestriktion am Menschen. Die langsame Alterung und lange Lebensdauer des Menschen machen langfristige kontrollierte Studien praktisch undurchführbar. Diese Komplexität stellt erhebliche Hürden für eindeutige Schlussfolgerungen dar. Genetische Heterogenität und komplexe Umwelteinflüsse fügen der humanen Kalorienrestriktionsforschung weitere Unsicherheitsfaktoren hinzu.
Risiken für das Immunsystem
Dr. Matt Kaeberlein, MD, PhD, weist auf ein kritisches Problem der chronischen Kalorienrestriktion hin. Er vermutet, dass eine Nährstoffreduktion das Infektionsrisiko erhöhen könnte. Ein geschwächtes Immunsystem wäre möglicherweise nicht in der Lage, Erreger wie Influenza oder COVID-19 wirksam zu bekämpfen. Dieser potenzielle Nebeneffekt ist eine ernsthafte Überlegung für alle, die strenge Diätrestriktionen praktizieren.
Risiko-Nutzen-Abwägung
Dr. Matt Kaeberlein, MD, PhD, betont die Bedeutung der Risiko-Nutzen-Analyse für Langlebigkeitsstrategien. Er warnt davor, dass Ernährungsgurus oft mögliche negative Folgen ihrer empfohlenen Diäten außer Acht lassen. Ernährungskonzepte können erhebliche Nebenwirkungen haben, die häufig übersehen werden. Dr. Kaeberlein unterstreicht, dass kulturell bedingt Diäten oft nicht als potenziell schädlich wahrgenommen werden.
Fallstudie: Roy Walford
Dr. Anton Titov, MD, erwähnt den bekannten Kalorienrestriktionsforscher Roy Walford im Gespräch. Dr. Walford verfasste "The 120-Year Diet", verstarb jedoch im Alter von 79 Jahren. Dr. Matt Kaeberlein, MD, PhD, merkt an, dass Walford an ALS litt. Er stellt klar, dass ein Zusammenhang mit der Kalorienrestriktion spekulativ bleibt.
Fehlende humane Evidenz
Dr. Matt Kaeberlein, MD, PhD, thematisiert das Fehlen von Belegen für extreme Langlebigkeit durch Kalorienrestriktion. Es gibt keine dokumentierten Fälle von Langzeitpraktizierenden, die auch nur 110 Jahre erreichten. Dies widerlegt zwar nicht potenzielle Vorteile, zeigt aber begrenzte unterstützende Daten. Anekdotische Evidenz von kleinen Personengruppen bietet keinen ausreichenden Beweis für Lebensverlängerungsbehauptungen.
Vollständiges Transkript
Dr. Anton Titov, MD: In Ihrem kürzlich erschienenen Fachartikel über Ernährung und Altern machen Sie mit Ihren Koautoren mehrere interessante Feinheiten deutlich. Eine davon ist: Ist es möglich, dass die Kalorienrestriktion uns lediglich hilft, Adipositas zu vermeiden? Gibt es also vielleicht keine Magie dahinter? Oder was kann helfen? Was ist Ihre Einschätzung?
Dr. Matt Kaeberlein, MD: Ich halte das für eine berechtigte Frage. Meine persönliche Einschätzung ist, dass dies sehr unwahrscheinlich ist. Adipositas ist sowohl bei Labornagetieren als auch beim Menschen mit verschiedenen negativen Gesundheitsfolgen im Alter assoziiert und sicherlich kausal dafür verantwortlich.
Die Aufrechterhaltung des Normalgewichts bringt bei Mäusen zusätzliche Lebensverlängerungsvorteile durch Kalorienrestriktion, verglichen mit dem, was wir als normales oder gesundes Körpergewicht bei moderater Adipositas betrachten würden. Meine persönliche Einschätzung ist daher, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass die Effekte der Kalorienrestriktion allein auf der Adipositasprävention beruhen.
Beim Menschen ist diese Frage schwerer zu beantworten. Das liegt teilweise daran, dass Menschen so langsam altern und lange leben. Niemand kann wirklich langfristige kontrollierte Studien zur Kalorienrestriktion durchführen. In diesem Kontext ist es schwieriger zu beurteilen, ob moderate oder sogar strenge langfristige Kalorienrestriktion beim Menschen positive Auswirkungen auf die Biologie des Alterns hätte.
Es ist eine Vermutung. Solange wir anerkennen, dass es eine Vermutung ist, bin ich damit einverstanden zu sagen, dass meine Einschätzung lautet: Kalorienrestriktion hat wahrscheinlich über die reine Adipositasprävention hinaus positive Effekte auf die biologische Alterung beim Menschen.
Meine Bedenken sind, dass Menschen in einer sehr komplexen Umwelt leben und genetisch heterogen sind. Es besteht ein Risiko bei strenger oder sogar moderater langfristiger Kalorienrestriktion beim Menschen, das basierend auf Laborstudien an Mäusen und Ratten nicht erkannt wird.
Bei der Überlegung von Strategien zur Maximierung der gesunden Langlebigkeit muss man immer das Risiko-Nutzen-Verhältnis bedenken. Wir wissen, dass es einige potenziell große Belohnungen durch positive Modifikation des biologischen Alterungsprozesses und Lebensverlängerung gibt.
Aber es gibt auch Risiken, die mit jeder Strategie verbunden sind, die wir ergreifen. Im Kontext der Kalorienrestriktion wäre ein offensichtliches Beispiel, dass man bei chronischer Kalorienrestriktion ein erhöhtes Infektionsrisiko haben oder eine Infektion nach erfolgter Ansteckung nicht wirksam bekämpfen könnte.
Das ist Spekulation, aber ich halte sie für vernünftig. Falls dies zutrifft, nützt es Ihnen nichts, wenn Sie langsamer altern, aber an Influenza oder COVID-19 erkranken und versterben, weil Sie sich in einem ernährungsrestriktiven Zustand befinden, der die Infektion nicht effektiv bekämpfen kann.
Ich erwähne das nur, um zu betonen, dass Ihre Frage schwer definitiv zu beantworten ist. Selbst wenn Kalorienrestriktion signifikante Vorteile im Alternskontext hat, bin ich nicht überzeugt, dass die Vorteile das Risiko langfristiger Kalorienrestriktion beim Menschen aufwiegen werden.
Das war ein weiterer Punkt, den wir darzulegen versuchten. Einige dieser Ernährungsgurus, die im Internet auftreten und ihre Lieblingsdiät verkaufen wollen, evaluieren die potenziellen negativen Konsequenzen und Nebenwirkungen einiger dieser Diäten nicht wirklich.
Kulturell sind wir nicht darauf trainiert, Diäten oder Ernährungsstrategien als nebenwirkungsbehaftet zu betrachten, aber sie haben welche. Ich halte es für wichtig, das anzuerkennen.
Dr. Anton Titov, MD: Ich glaube, Sie erwähnten in der Übersichtsarbeit auch, dass der berühmte Kalorienrestriktionsforscher Roy Walford, der versuchte, diese populär zu machen und ein sehr bekanntes Buch über Kalorienrestriktion schrieb, mit 79 Jahren verstarb, also deutlich vor den 120 Jahren, die er vorschlug. Wissen Sie, was die Todesursache war?
Dr. Matt Kaeberlein, MD: Nach meinem Verständnis litt Dr. Walford an einer Form von ALS. Ich denke, es ist reine Spekulation, ob dies überhaupt durch seine sehr öffentliche Adoption der Kalorienrestriktion beeinflusst wurde; niemand weiß das.
Das ist eine Herausforderung bei der Interpretation anekdotischer Daten von Menschen, die Kalorienrestriktion praktiziert haben, weil es immer sehr kleine Fallzahlen sind. Aber ich denke, der Punkt ist valide, dass er ein Buch namens "The 120-Year Diet" schrieb, in dem er darlegte, dass Kalorienrestriktion wahrscheinlich den meisten Menschen ermöglichen würde, diese Schwelle von 120 Jahren zu erreichen, die immer noch als die längste natürliche Lebensspanne beim Menschen angesehen wird.
In seinem Fall hat er es sicher nicht geschafft. Soweit ich weiß, gibt es keine Beispiele von Menschen, die langfristige Kalorienrestriktion praktizierten und sogar 110 Jahre erreichten. Es widerlegt nicht die Idee, dass Kalorienrestriktion einigen Menschen ein extremes gesundes Hohes Alter ermöglichen könnte, aber ich denke, es gibt derzeit nicht viele Daten, die das stützen.