Wir sollten das Altern als Krankheit betrachten. Lebensspanne oder Gesundheitsdauer? 5

Wir sollten das Altern als Krankheit betrachten. Lebensspanne oder Gesundheitsdauer? 5

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Dr. Steven Austad, MD, ein führender Experte für Altersbiologie, erläutert den entscheidenden Unterschied zwischen Lebensdauer und Gesundheitsdauer. Er betont, dass das Altern die gemeinsame Ursache aller bedeutenden altersbedingten Erkrankungen ist. Dr. Austad plädiert dafür, grundlegende Alterungsprozesse ins Visier zu nehmen. Dieser Ansatz könnte mehrere altersbedingte Krankheiten gleichzeitig verzögern oder sogar verhindern. Zudem thematisiert er die regulatorischen Hürden, das Altern als Krankheit zu klassifizieren.

Zielgerichtete Eingriffe in den Alterungsprozess zur Krankheitsprävention und Verlängerung der Gesundheitspanne

Abschnitte

Lebensspanne vs. Gesundheitspanne

Dr. Steven Austad, MD, betont den Unterschied zwischen Lebensspanne und Gesundheitspanne. Während die menschliche Lebenserwartung seit fast 200 Jahren stetig steigt, wächst die Gesundheitspanne langsamer. Die Phase gesundheitlicher Einschränkungen am Lebensende dauert heute länger als noch vor Jahrzehnten. Dr. Austad unterstreicht die Notwendigkeit, die Faktoren zu verstehen, die die Gesundheitspanne bestimmen.

Altern als Krankheit

Dr. Steven Austad, MD, erörtert Bestrebungen, Altern als Krankheit neu zu klassifizieren. Aus Marketinggründen könnte dies sinnvoll sein, um mehr Aufmerksamkeit zu generieren. Allerdings ist Altern selbst keine Krankheit, sondern ein Prozess, der die Krankheitsentstehung maßgeblich beeinflusst. Diese Unterscheidung ist entscheidend für die medizinische Forschung und Therapieansätze.

Krankheitseinfluss auf das Altern

Dr. Steven Austad, MD, erklärt die wechselseitige Beziehung zwischen Krankheit und Altern. Krankheiten können den Alterungsprozess beschleunigen, wie das Beispiel von Menschen mit gut kontrollierter HIV-Infektion zeigt, die schneller altern. Mögliche Ursachen sind chronische niedriggradige Entzündungen oder Langzeitwirkungen antiviraler Medikamente. Auch die Chemotherapie bei Krebs kann, trotz ihrer Wirksamkeit, erhebliche Nebeneffekte haben, die den Alterungsprozess vorantreiben.

Zielgerichtete Beeinflussung grundlegender Alterungsprozesse

Dr. Steven Austad, MD, plädiert für einen Paradigmenwechsel in der medizinischen Forschung: Statt einzelne Krankheiten zu bekämpfen, sollten die zugrundeliegenden Alterungsprozesse adressiert werden. Dieser Ansatz könnte alle bedeutenden altersbedingten Erkrankungen gleichzeitig verzögern oder verhindern. Austad vergleicht dies mit einem Krebspräventionsmedikament, das zugleich Demenz, Herzerkrankungen und Arthrose vorbeugt. Dies erfordert ein Umdenken in der Biomedizin weg von der isolierten Erforschung einzelner Krankheiten.

Regulatorische Herausforderungen

Dr. Steven Austad, MD, nennt ein zentrales Hindernis für diesen Ansatz: die Zulassungsbehörden. Die FDA genehmigt Medikamente nur für spezifische Krankheiten. Bei einem Treffen vor etwa fünf Jahren musste eine Studie zu Anti-Aging-Medikamenten als Behandlung multipler Erkrankungen formuliert werden, um diskutiert zu werden. Zudem erkennt die FDA Zustände wie Sarkopenie (altersbedingter Muskelschwund) nicht als Krankheit an, was die Zulassung entsprechender Therapien verhindert. Laut Austad geht es hier um mehr als Semantik – es betrifft grundlegend, wie Wissenschaft betrieben und Therapien entwickelt werden.

Vollständiges Transkript

Dr. Anton Titov, MD: Das führt uns zum wichtigen Konzept von Lebensspanne und Gesundheitspanne. Beide sind nicht zwangsläufig korreliert. Wie beeinflusst also der Krankheitsprozess den Alterungsprozess?

Dr. Steven Austad, MD: Sie haben recht – sie sind nicht dasselbe. Die Lebenserwartung des Menschen steigt seit fast 200 Jahren rapide, die Gesundheitspanne jedoch langsamer. Tatsächlich ist die Phase gesundheitlicher Einschränkungen am Lebensende heute sogar länger als vor 20 oder 30 Jahren. Wir müssen also verstehen, was die Gesundheitspanne bestimmt, und anders darüber nachdenken als über Krankheiten. Es gab jüngst Bestrebungen, Altern als Krankheit neu zu klassifizieren. Aus Marketingsicht mag das sinnvoll sein, um mehr Aufmerksamkeit zu erregen, aber Altern ist keine Krankheit – es beeinflusst jedoch Krankheiten. Umgekehrt können Krankheiten auch das Altern beschleunigen. Ein interessantes Beispiel sind Menschen mit gut kontrollierter HIV-Infektion: Trotz minimaler Viruslast altern sie schneller. Liegt das an chronischen Entzündungen? Oder an den Langzeitwirkungen antiviraler Medikamente? Wir wissen es nicht genau, aber es zeigt den wechselseitigen Einfluss. Auch Chemotherapie bei Krebs kann das Altern beschleunigen – sie wirkt gegen den Krebs, verursacht aber erhebliche Nebeneffekte.

Dr. Anton Titov, MD: Sie sprechen an, dass Altern Krankheiten beeinflusst und umgekehrt. Angesichts der Milliarden, die für die Bekämpfung von Krankheiten in späten Stadien ausgegeben werden: Wäre es nicht sinnvoller, mehr in die Erforschung der grundlegenden Alterungsprozesse zu investieren, um Krebs und Demenz auf einer fundamentalen Ebene anzugehen?

Dr. Steven Austad, MD: Ja, das ist ein wichtiger Punkt. Altern liegt allen bedeutenden altersbedingten Krankheiten zugrunde. Wenn wir die zugrundeliegenden Prozesse modifizieren können, verzögern oder verhindern wir diese Krankheiten als Gruppe. Stellen Sie sich vor: Ein Krebspräventionsmedikament, das zugleich Demenz, Herzerkrankungen und Arthrose vorbeugt. Davon sprechen wir. Das erfordert ein radikales Umdenken in der Biomedizin. Bisher ist die Medizin in Fachgebiete zersplittert – Onkologie, Neurologie usw. Doch recently erkannte man, dass denselben Prozessen Krebs, Herzleiden und neurodegenerative Erkrankungen zugrunde liegen. Vielleicht haben wir also falsch priorisiert und sollten die grundlegenden Alterungsprozesse adressieren. Ein Hindernis dabei ist die FDA, die Medikamente nur für spezifische Krankheiten zulässt. Vor etwa fünf Jahren trafen sich einige von uns mit der FDA, um Studien zu Anti-Aging-Medikamenten zu diskutieren. Wir mussten es als Behandlung multipler Krankheiten formulieren – erst dann zeigte die FDA prinzipielle Offenheit. Zudem erkennt sie Sarkopenie nicht als Krankheit an, was Therapie-Zulassungen blockiert. Es geht hier also um mehr als Semantik – es betrifft, wie wir Wissenschaft betreiben und Therapien entwickeln.