Ein 47-jähriger Mann entwickelte nach anfänglicher Müdigkeit und Muskelschmerzen plötzlich Verwirrtheit und akutes Nierenversagen. Die Untersuchungen ergaben eine schwere Rhabdomyolyse, eine Pneumonie sowie einen Multiorganbefall. Nach umfassender Diagnostik wurde eine Legionärskrankheit festgestellt, deren Ursprung vermutlich in seiner Wohnumgebung – einem umgebauten Fabrikgebäude – lag. Dieser Fall verdeutlicht, dass Umweltfaktoren auch bei zuvor gesunden Personen schwere Erkrankungen auslösen können.
Ein Fall von plötzlicher Verwirrtheit und Nierenversagen: Die Legionärskrankheit verstehen
Inhaltsverzeichnis
- Fallvorstellung: Plötzlicher Verfall eines gesunden Mannes
- Erste Untersuchungsbefunde
- Detaillierte Laborergebnisse
- Bildgebende Verfahren
- Differenzialdiagnose: Mögliche Ursachen
- Enddiagnose: Legionellen-Infektion
- Details zur Labordiagnostik
- Klinische Bedeutung für Patienten
- Quelleninformation
Fallvorstellung: Plötzlicher Verfall eines gesunden Mannes
Ein 47-jähriger Mann ohne Vorerkrankungen wurde mit schwerer Verwirrtheit und akutem Nierenversagen im Massachusetts General Hospital aufgenommen. Seine Symptome hatten sechs Tage zuvor mit Müdigkeit und Muskelschmerzen (Myalgien) begonnen. Trotz des Unwohlseins arbeitete er zwei weitere Tage in seinem Restaurant.
Vier Tage vor der Aufnahme fiel Kollegen eine leichte Verwirrtheit auf. Am Aufnahmetag verschlechterte sich sein Zustand deutlich: Er zeigte Wortfindungsstörungen und eine undeutliche Aussprache. Der Rettungsdienst brachte ihn ins Krankenhaus. In der Notaufnahme klagte er über Hitzegefühl und Atemnot, konnte jedoch aufgrund seiner Verwirrtheit keine vollständige Anamnese geben.
Nach Angaben der Angehörigen nahm er Ginseng-Extrakt und Klettenwurzel-Präparate ein, jedoch keine verschreibungspflichtigen Medikamente. Er lebte in einer umgebauten Fabrikwohnung in New England, rauchte gelegentlich Marihuana, hatte in seiner Jugend Zigaretten geraucht und trank selten Alkohol. In der Familie war eine Schwester mit multiplen Autoimmunerkrankungen bekannt, darunter Sjögren-Syndrom und Nemalin-Myopathie.
Erste Untersuchungsbefunde
Bei Aufnahme zeigte der Patient eine Körpertemperatur von 35,8°C, erhöhten Blutdruck (142/78 mm Hg), eine Herzfrequenz von 114/min und eine beschleunigte Atmung (30/min). Die Sauerstoffsättigung betrug 96% unter Raumluft. Er wirkte ängstlich, antwortete verlangsamt, konnte die Wochentage nicht rückwärts aufzählen und hatte Schwierigkeiten mit komplexen Anweisungen.
Auffällig waren symmetrische Gesichtsbewegungen, normale Hirnnervenfunktion, unauffällige Muskelkraft, -tonus, Sensibilität und Reflexe sowie keine Lichtempfindlichkeit. Die Schleimhäute waren feucht, der Nacken beweglich, die Herztöne regelrecht, die Lunge klar, das Abdomen ohne Druckschmerz, und es fanden sich keine Schwellungen oder Hautausschläge.
Detaillierte Laborergebnisse
Die Laborbefunde wiesen auf eine schwere Multiorganbeteiligung hin:
- Blutbild: Leukozyten erhöht auf 13.270/μL (Referenz: 4.500–11.000) mit Neutrophilie (12.560/μL) und Lymphopenie (240/μL)
- Nierenfunktion: Harnstoff stark erhöht auf 117 mg/dL (Referenz: 8–25), Kreatinin auf 13,0 mg/dL (Referenz: 0,6–1,5)
- Elektrolyte: Hyponatriämie (125 mmol/L), Hyperkaliämie (6,0 mmol/L), Hypochloridämie (75 mmol/L) und erniedrigtes Kohlendioxid (9 mmol/L)
- Muskelschäden: Kreatinkinase massiv erhöht auf 28.581 U/L (Referenz: 60–400), Hinweis auf schwere Rhabdomyolyse
- Leberfunktion: Erhöhte Transaminasen (AST 418 U/L, ALT 1.272 U/L)
- Entzündungsmarker: CRP erhöht auf 220,4 mg/L (Referenz: 0,0–8,0), BSG auf 69 mm/Stunde (Referenz: 0–13)
- Weitere Befunde: Ferritin (5.064 μg/L), D-Dimer (>10.000 ng/mL), Laktat (2,3 mmol/L) und LDH (1.334 U/L) erhöht
Die Urinanalyse zeigte Hämaturie (3+), Glukosurie (1+), Proteinurie (2+) sowie erhöhte Erythrozyten und Leukozyten. Das Toxikologiescreening war negativ.
Bildgebende Verfahren
Das Röntgen-Thorax ergabe eine Verschattung im rechten Unterlappen. Die CCT war unauffällig. Die CT von Thorax, Abdomen und Becken zeigte eine Konsolidierung im rechten Unterlappen mit minimaler Milchglastrübung, jedoch keine Lymphadenopathie.
Drei Stunden nach Aufnahme verschlechterte sich der Zustand: Fieber (38,2°C), Tachypnoe (45/min) und Sauerstoffsättigung von 89% unter Raumluft erforderten eine Sauerstoffgabe von 6 l/min.
Differenzialdiagnose: Mögliche Ursachen
Das Team identifizierte zwei Hauptprobleme: schwere Rhabdomyolyse ohne Trauma oder Belastung sowie Lungenkonsolidierung mit systemischer Entzündung. Nierenversagen, metabolische Azidose, Leberschädigung und Verwirrtheit wurden als Folgen betrachtet.
Mögliche Ursachen wurden evaluiert:
- Nemalin-Myopathie: Ausgeschlossen, da genetisch bedingt und meist mit gradueller Schwäche
- Toxine oder Nahrungsergänzungsmittel: Unwahrscheinlich, da keine bekannte Assoziation mit Rhabdomyolyse und negatives Screening
- Entzündliche Myopathien: Weniger wahrscheinlich aufgrund des akuten Verlaufs
- Infektionen: Naheliegend bei respiratorischen und systemischen Symptomen
Influenza wurde erwogen, aber ausgeschlossen. HIV und Pilzinfektionen waren möglich, aber weniger wahrscheinlich. Bakterielle Infektionen wie Streptococcus oder Legionella erschienen am plausibelsten aufgrund der Kombination aus Pneumonie, Rhabdomyolyse und neurologischen Symptomen.
Der Wohnort in einem umgebauten Fabrikgebäude war relevant, da Legionellen oft in komplexen Wassersystemen großer Gebäude vorkommen.
Enddiagnose: Legionellen-Infektion
Eine Legionellen-Infektion (Legionärskrankheit) wurde als wahrscheinlichste Diagnose eingestuft, basierend auf:
- Kombination von Pneumonie und Rhabdomyolyse, typisch für Legionellen
- Neurologische Symptome wie Verwirrtheit
- Laborbefunde wie Hyponatriämie, hohe Entzündungsparameter und Transaminasenerhöhung
- Mögliche Exposition durch den Wohnort
Die Diagnose wurde durch einen positiven Legionellen-Urinantigen-Test bestätigt.
Details zur Labordiagnostik
Legionella pneumophila ist ein gramnegatives Bakterium, das häufig in Süßwasser und warmen Wassersystemen wie Kühltürmen oder Sanitäranlagen vorkommt. Optimale Wachstumsbedingungen herrschen bei 20–42°C in Biofilmen.
Die Infektion erfolgt durch Inhalation kontaminierten Aerosols. Die Ärzte vermuteten eine Exposition über das Belüftungssystem der Fabrikwohnung. Obwohl der Patient ohne typische Risikofaktoren war, deutete der schwere Verlauf auf eine hohe Erregerlast hin.
Die Diagnostik umfasst Urinantigen-Tests (schnell, spezifisch) und Kulturen. Der Urinantigen-Test bleibt auch unter Antibiotikatherapie positiv.
Klinische Bedeutung für Patienten
Dieser Fall verdeutlicht:
- Legionärskrankheit kann auch Gesunde betreffen und mit atypischen Symptomen wie Verwirrtheit und Rhabdomyolyse einhergehen
- Wassersysteme in Gebäuden können Infektionsquellen darstellen
- Früherkennung und gezielte Antibiotikatherapie sind entscheidend
- Bei anhaltender Müdigkeit, Muskelschmerzen, Verwirrtheit und respiratorischen Symptomen sollte umgehend ein Arzt konsultiert werden
Die Behandlung erfolgt mit spezifischen Antibiotika. Der Patient erhielt Ceftriaxon und Azithromycin i.v., die sowohl Legionellen als auch andere Pneumonieerreger abdecken.
Präventiv sind Wartung und Temperaturkontrolle von Wassersystemen wichtig. Risikogruppen (Ältere, Raucher, Immunsupprimierte) sollten Expositionsrisiken kennen.
Quelleninformation
Originalartikeltitel: Fall 29-2024: Ein 47-jähriger Mann mit Verwirrtheit und Nierenversagen
Autoren: Sachin J. Shah, M.D., M.P.H., Melissa C. Price, M.D., und Sanjat Kanjilal, M.D., M.P.H.
Veröffentlichung: The New England Journal of Medicine, 19. September 2024
DOI: 10.1056/NEJMcpc2402492
Dieser patientenfreundliche Artikel basiert auf begutachteter Forschung aus den Fallakten des Massachusetts General Hospital.