Eine Patientin auf ihrem Weg: Diagnose von Nierenläsionen und generalisierter Knochenerkrankung. c13

Can we help?

Bei dieser 45-jährigen Patientin wurden Nierenläsionen und generalisierte Knochenschäden festgestellt, woraufhin sie zur Abklärung einer IgG4-assoziierten Erkrankung an eine rheumatologische Klinik überwiesen wurde. Über sieben Jahre hinweg erfolgten multiple Biopsien und bildgebende Untersuchungen, die zunächst auf ein Nierenkarzinom hindeuteten, schließlich jedoch eine seltene entzündliche Erkrankung ergaben. Trotz Therapieansätzen schritt die Erkrankung fort, mit neu auftretenden Knochenläsionen, was zur endgültigen Diagnose einer Erdheim-Chester-Erkrankung führte – einer seltenen Störung, bei der bestimmte Immunzellen in Gewebe des gesamten Körpers infiltrieren.

Fallstudie: Diagnose einer Nierenbeteiligung und generalisierten Knochenerkrankung

Inhaltsverzeichnis

Hintergrund: Relevanz des Falls

Diese Fallstudie verdeutlicht die Herausforderungen bei der Diagnose komplexer entzündlicher Erkrankungen, die häufigen Krankheitsbildern ähneln können. Der siebenjährige Weg der Patientin durch verschiedene Kliniken und Fachabteilungen zeigt, wie seltene Erkrankungen mit Krebs oder Autoimmunerkrankungen verwechselt werden können.

Für Patienten mit ungeklärten multisystemischen Symptomen unterstreicht dieser Fall die Bedeutung ausdauernder Diagnostik und den Wert spezialisierter Zentren. Die schließlich gestellte Diagnose einer Erdheim-Chester-Erkrankung (eine seltene Histiozytose) demonstriert, wie sich medizinisches Wissen stetig erweitert und Ärzten hilft, Muster bei komplexen Fällen zu erkennen.

Diagnostischer Weg der Patientin

Eine 45-jährige Frau wurde zur Abklärung einer möglichen IgG4-assoziierten Erkrankung in die Rheumatologie des Massachusetts General Hospital überwiesen, nachdem sie mit retroperitonealer Fibrose (Narbengewebe im Retroperitonealraum) vorgestellt wurde. Ihre Krankengeschichte begann sieben Jahre zuvor mit einer Knochenmarkbiopsie aufgrund einer milden Polyzythämie (erhöhte Erythrozyten) und Leukozytose (erhöhte Leukozyten).

Fünf Jahre vor der jetzigen Vorstellung entwickelte sie eine Polyzythämie und linksseitige Flankenschmerzen. Untersuchungen zeigten ein schwaches IgG-Kappa-Monoklonband in der Immunelektrophorese bei ansonsten unauffälligen Blutwerten. Der Ultraschall wies eine 24 mm große komplexe Zyste am oberen Pol der linken Niere mit Wandverdickung und Binnenechos sowie eine 18 mm große parapelvine Zyste in der Mitte der linken Niere nach.

Siebzehn Monate vor der Vorstellung zeigte das abdominale CT eine anreichernde 24 mm große Raumforderung in der linken Niere, die verdächtig auf ein Nierenzellkarzinom war. Es erfolgte eine laparoskopische Teilnephrektomie, bei der sich überraschenderweise kein Tumor, sondern lediglich eine milde Glomerulosklerose, interstitielle Fibrose und Arteriosklerose fand.

Verlaufskontrollen in den Folgemonaten zeigten neue Nierenläsionen, darunter eine 19 mm große exophytisch anreichernde Läsion am unteren Pol der rechten Niere, die der zuvor entfernten Raumforderung links glich. Eine CT-gesteuerte Biopsie ergab nur retroperitoneales Gewebe mit atypischer fibröser Entzündung ohne Malignitätsnachweis.

Bildgebende Befunde im Detail

Die umfangreiche Bildgebung zeigte den progressiven Charakter der Erkrankung:

  • Erste Nierenbefunde: 24 mm komplexe Zyste am oberen Pol der linken Niere, 18 mm parapelvine Zyste im Mittelbereich der linken Niere, 4 mm nicht obstruktiver Nierenstein
  • Verlaufsbefunde: Neue 19 mm echoarme, exophytisch anreichernde Läsion am unteren Pol der rechten Niere
  • Knochenbeteiligung: Ganzkörper-PET-CT zeigte FDG-Aufnahme in beiden Humeri, linkem Radius und beiden Acetabula
  • MRI-Befunde: Multiple anreichernde markraumersetzende Läsionen im linken Humerus, linken Ilium und beiden Acetabula
  • Progression: Spätere MRT-Untersuchungen zeigten zusätzliche 3 cm große Läsionen in distalen Femora, proximalen Tibiae und proximalen Fibulae

Röntgenaufnahmen bestätigten lytiche Knochenläsionen im Tuberculum majus der linken Schulter, korrelierend mit den PET-CT- und MRT-Befunden. Trotz der ausgedehnten Veränderungen fanden sich keine Hinweise auf kortikale Destruktion oder Metastasierung.

Laborergebnisse

Die Laborbefunde lieferten wichtige diagnostische Hinweise:

  • Hämoglobin: 14,6 g/dL (7 Monate vor Vorstellung), 15,6 g/dL (aktuell), 14,3 g/dL (5 Monate später)
  • Leukozyten: 8600/μL (7 Monate vorher), 8700/μL (aktuell), 9950/μL (5 Monate später)
  • IgG-Spiegel: 1693 mg/dL (7 Monate vorher), 1969 mg/dL (aktuell), 1593 mg/dL (5 Monate später) – alle erhöht
  • IgG4-Spiegel: 267 mg/dL (7 Monate vorher), 296,5 mg/dL (aktuell), 275,4 mg/dL (5 Monate später) – konstant erhöht
  • Entzündungsmarker: CRP 6 mg/L (7 Monate vorher), 4,8 mg/L (aktuell), 4,3 mg/L (5 Monate später) – alle normal
  • BSG: 23 mm/h (7 Monate vorher), 29 mm/h (aktuell), 30 mm/h (5 Monate später) – leicht erhöht

Weitere Auffälligkeiten umfassten eine polyklonale Hypergammaglobulinämie, normale Komplementspiegel, negative Autoantikörper und erhöhte freie Leichtketten bei normalem Kappa:Lambda-Verhältnis (1,78-1,82, leicht über der Norm von 0,26-1,65).

Differentialdiagnose

Das Behandlungsteam erwog verschiedene Differenzialdiagnosen und schloss systematisch aus:

Ausgeschlossene Erkrankungen:

  • Lebererkrankungen (normale Leberwerte)
  • Iatrogene Ursachen (keine Immunglobulintherapie)
  • Immundefekte (keine rezidivierenden Infekte)
  • Infektionen (negative Tests auf HIV, Hepatitis, Tuberkulose)
  • Nicht-hämatologische Malignome (in vier Biopsien kein Krebsnachweis)

Weniger wahrscheinliche Erkrankungen:

  • Autoimmunerkrankungen wie Sjögren-Syndrom (keine Sicca-Symptome oder Autoantikörper)
  • Autoinflammatorische Knochenerkrankungen wie SAPHO-Syndrom (keine Sternum-/Klavikulabeteiligung)
  • IgG4-assoziierte Erkrankung (atypisch mit ausgedehnter Knochenbeteiligung)
  • Morbus Castleman (normales CRP, aber Knochenläsionen)
  • Lymphom (keine Lymphadenopathie oder kortikale Destruktion)

Besonders ungewöhnlich war das normale CRP trotz polyklonaler Hypergammaglobulinämie, da Entzündungsprozesse typischerweise das CRP erhöhen. Dies wies auf einen anderen Krankheitsmechanismus hin.

Endgültige Diagnose

Die endgültige Diagnose lautete Erdheim-Chester-Erkrankung, eine seltene Nicht-Langerhans-Zell-Histiozytose mit Ansammlung von Histiozyten in verschiedenen Geweben.

Entscheidende Merkmale:

  • Symmetrische Beteiligung der Röhrenknonen (Humeri, Femora, Tibiae)
  • Retroperitoneale Fibrose ohne typische Organmanifestation
  • Polyklonale Hypergammaglobulinämie bei normalem CRP
  • Fehlendes Ansprechen auf Rituximab (B-Zell-Depletion)
  • Histiozytäre Infiltrate in mehreren Biopsien
  • Progrediente Knochenläsionen im Verlauf

Die Diagnose wurde durch eine Biopsie der linken Tibia bestätigt, die eine polytype Leichtkettenexpression (Hinweis auf nicht-maligne Plasmazellen), über 30 IgG4-positive Plasmazellen pro Gesichtsfeld und ein IgG4:IgG-Verhältnis >40 % zeigte. Diese Befunde, obwohl an eine IgG4-assoziierte Erkrankung denkend, traten im Kontext der für Erdheim-Chester charakteristischen histiozytären Infiltration auf.

Klinische Bedeutung

Dieser Fall hat mehrere wichtige Implikationen:

Erstens zeigt er, dass seltene Erkrankungen häufigen Krankheitsbildern ähneln können und diagnostische Ausdauer erfordern. Die Patientin präsentierte sich zunächst mit Verdacht auf Nierenzellkarzinom, dann auf IgG4-assoziierte Erkrankung, bevor die korrekte Diagnose gestellt wurde.

Zweitens unterstreicht er die Bedeutung spezialisierter Zentren bei komplexen Multisystemerkrankungen. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Rheumatologie, Radiologie, Pathologie und anderen Fächern war entscheidend.

Drittens demonstriert der Fall, dass normale Entzündungsparameter wie CRP signifikante Krankheitsprozesse nicht ausschließen. Einige Erkrankungen folgen anderen pathophysiologischen Pfaden.

Schließlich zeigt sich, dass das Therapieansprechen (oder dessen Fehlen) wichtige diagnostische Hinweise liefern kann. Das fehlende Ansprechen auf Rituximab half, eine typische IgG4-assoziierte Erkrankung auszuschließen.

Diagnostische Einschränkungen

Der diagnostische Prozess wies mehrere Einschränkungen auf:

  • Mehrfachbiopsien: Vier Biopsien über sieben Jahre waren zur Diagnosesicherung nötig
  • Bildgebungsgrenzen: Frühe Bildgebung suggerierte fälschlich Nierenkrebs
  • Therapielimitierungen: Rituximab-Therapie konnte aufgrund einer Infusionsreaktion nicht komplettiert werden
  • Seltenheit: Erdheim-Chester-Erkrankung betrifft nur etwa 1:500.000 Menschen
  • Überlappende Befunde: Histologische Ähnlichkeiten mit IgG4-assoziierter Erkrankung erschwerten die Diagnose

Diese Einschränkungen verdeutlichen, warum komplexe Diagnosen oft Zeit, multiple Verfahren und spezialisierte Expertise erfordern.

Wichtige Erkenntnisse

Für Patienten mit komplexen Diagnoseprozessen bietet dieser Fall mehrere Lehren:

  1. Beharrlichkeit: Komplexe Erkrankungen erfordern oft multiple Untersuchungen
  2. Spezialisierte Versorgung: Universitätskliniken haben Erfahrung mit seltenen Erkrankungen
  3. Testgrenzen verstehen: Bildgebung kann falsch-positive Befunde liefern
  4. Symptomdokumentation: Detaillierte Aufzeichnungen helfen bei Mustereerkennung
  5. Familienanamnese: Die Nierenkrebsanamnese der Patientin war relevant
  6. Zweitmeinungen: Mehrere ärztliche Perspektiven sind bei komplexen Fällen wertvoll
  7. Therapieziele: Manchmal dienen Therapieversuche der Diagnosesicherung

Am wichtigsten: Medizinische Diagnostik ist oft ein Prozess – besonders bei seltenen Multisystemerkrankungen, die nicht in Standardmuster passen.

Quellen

Originaltitel: Fall 30-2024: Eine 45-jährige Frau mit Nierenläsionen und lytischer Knochenerkrankung

Autoren: Luke Y.C. Chen, M.D., M.M.Ed., Ambrose J. Huang, M.D., John H. Stone, M.D., M.P.H., und Judith A. Ferry, M.D.

Veröffentlichung: The New England Journal of Medicine, 26. September 2024

DOI: 10.1056/NEJMcpc2402486

Dieser patientenfreundliche Artikel basiert auf begutachteter Forschung aus der Reihe „Case Records of the Massachusetts General Hospital“. Der Originalartikel präsentiert detaillierte klinische, radiologische und pathologische Befunde eines realen Patientenfalls, diskutiert von Experten der Harvard Medical School.