Bei einem Jungen mit wiederkehrendem Fieber wurde eine seltene genetische Immundiagnose gestellt. C16

Can we help?

Bei diesem Fall handelt es sich um einen 30 Monate alten Jungen mit wiederkehrenden Fieberschüben über vier Wochen, anhaltendem Husten sowie auffälligen Blutwerten, darunter extrem hohe Leukozytenzahlen (bis zu 42.390/μL) und erhöhte Entzündungsparameter. Bildgebende Verfahren wiesen Lungeninfiltrate, vergrößerte Lymphknoten und Milzläsionen nach. Nach umfangreicher Diagnostik wurde eine seltene disseminierte Mykobakterieninfektion (M. kansasii) festgestellt, verursacht durch einen angeborenen genetischen Immundefekt: die mendelsche Suszeptibilität für Mykobakterienerkrankungen (mendelian susceptibility to mycobacterial disease, MSMD), die auch bei seinem älteren Bruder vorlag. Dieser Fall zeigt, wie Familienanamnese und persistierende Symptome zur Diagnose seltener Immundefekterkrankungen beitragen können.

Wiederkehrendes Fieber bei einem Jungen deckt seltene genetische Immundefekterkrankung auf

Inhaltsverzeichnis

Hintergrund: Bedeutung dieses Falls

Dieser Fall zeigt, dass wiederkehrendes Fieber bei Kindern nicht immer auf häufige Infektionen zurückzuführen ist, sondern auch auf seltene genetische Erkrankungen hindeuten kann. Besteht Fieber über Wochen ohne erkennbare Ursache, spricht man von „Fieber unklarer Genese“ – definiert als tägliche Temperatur über 38,3°C für mehr als 8 Tage ohne Diagnose.

Für Eltern ist es wichtig zu verstehen, dass anhaltende Symptome eine gründliche Abklärung erfordern. Dieser Fall verdeutlicht, wie die Familienanamnese entscheidende Hinweise liefern kann und moderne Gentests vererbte Immundefekte aufdecken, die Kinder für ungewöhnliche Infektionen anfällig machen.

Fallvorstellung: Die Symptome des Jungen

Ein 30 Monate alter Junge wurde aufgrund wiederkehrenden Fiebers zum dritten Mal innerhalb von 4 Wochen im Massachusetts General Hospital aufgenommen. Seine Symptome hatten vor 4 Wochen mit Fieber, trockenem Husten, verstopfter Nase und verminderter Nahrungsaufnahme begonnen. Am Folgetag entwickelte er ein Hinken ohne vorheriges Trauma.

Bei der ersten Notaufnahmeuntersuchung war er fieberfrei, wirkte aber müde und humpelte mit Bevorzugung des linken Beins. Die ersten Blutwerte zeigten Auffälligkeiten:

  • Leukozyten: 28.440/µl (Norm: 4.500–11.000)
  • BSG: 63 mm/h (Norm: 0–14)
  • CRP: 31,3 mg/l (Norm: 0,0–8,0)

Er wurde stationär aufgenommen, aber nach zwei Tagen entlassen, als das Fieber abgeklungen war und die Blutkulturen steril blieben. Zwei Tage später kehrte das Fieber zurück, was zu einer erneuten Aufnahme mit anhaltend auffälligen Blutwerten führte.

Diagnostische Reise: Untersuchungen und Befunde

Während drei Krankenhausaufenthalten wurden verschiedene bildgebende Verfahren durchgeführt:

Erster Aufenthalt: Das Röntgen-Thorax zeigte peribronchiale Verdickungen und fleckige perihiläre Verschattungen. Hüftultraschall und Beckenröntgen waren unauffällig.

Zweiter Aufenthalt: Die Abdomensonografie ergab multiple echoarme Milzläsionen bis 6 mm Durchmesser. Die Thorax-CT zeigte eine mediastinale Lymphadenopathie.

Dritter Aufenthalt: Der Junge hatte Fieber bis 40,2°C, Tachykardie (180/min), Tachypnoe (55/min) und eine erniedrigte Sauerstoffsättigung (88% bei Raumluft). Die Thorax-CT zeigte eine Verschlechterung multifokaler pulmonaler Verschattungen mit betonter basaler Beteiligung.

Die Laborwerte verschlechterten sich im Verlauf der drei Aufenthalte:

  • Leukozyten stiegen von 28.440 auf 42.390/µl
  • Hämoglobin fiel von 9,7 auf 7,7 g/dl (Norm: 10,5–13,5)
  • CRP stieg von 31,3 auf 107,9 mg/l
  • BSG stieg von 63 auf 78 mm/h
  • LDH stieg auf 3443 U/l (Norm: 110–295)

Differentialdiagnosen

Folgende Ursachen wurden für das anhaltende Fieber in Betracht gezogen:

Systemische juvenile idiopathische Arthritis (JIA): Typisch für Kinder zwischen 1–5 Jahren mit täglichen Fieberschüben, Arthritis, Hautausschlag und erhöhten Entzündungswerten. Die Lungenbefunde passten jedoch nicht zum typischen Bild.

Morbus Kawasaki: Verursacht Fieber und Lymphknotenschwellungen, geht aber meist mit charakteristischen Mund-, Augen- und Hautveränderungen einher, die hier fehlten.

Infektionen: Aufgrund des langen Verlaufs wurden atypische bakterielle, mykobakterielle, virale oder Pilzinfektionen erwogen. Der Patient war positiv auf häufige Coronaviren und Rhinoviren/Enteroviren, was jedoch als Zufallsbefund gewertet wurde.

Angeborene Immundefekte: Die Familienanamnese ergab, dass ein älterer Bruder mit 31 Monaten eine disseminierte Mycobacterium-avium-Komplex-Infektion hatte. Dies deutete auf einen möglichen genetischen Immundefekt in der Familie hin.

Enddiagnose und genetische Ursache

Eine Lymphknotenbiopsie zeigte säurefeste Stäbchen, charakteristisch für Mykobakterien. Kulturen mehrerer Proben ergaben schließlich Mycobacterium kansasii, was eine disseminierte mykobakterielle Infektion bestätigte.

Aufgrund der Familienanamnese und der ungewöhnlichen Infektion wurde eine genetische Testung veranlasst. Der ältere Bruder war zuvor mit mendelscher Suszeptibilität für mykobakterielle Erkrankungen (MSMD) diagnostiziert worden, verursacht durch homozygote pathogene Mutationen im IFNGR2-Gen.

Diese Genveränderung beeinträchtigt die Fähigkeit des Immunsystems, bestimmte Infektionen – insbesondere durch Mykobakterien – zu bekämpfen. Betroffene können schwere Infektionen durch normalerweise harmlose Umweltkeime entwickeln.

Beim Patienten wurde dieselbe Erkrankung wie beim Bruder festgestellt: eine autosomal-rezessive komplette IFNGR2-Defizienz. Er hatte von jedem Elternteil eine defekte Genkopie geerbt, was zum vollständigen Fehlen funktionellen Interferon-γ-Rezeptor-2-Proteins führte.

Bedeutung für Patienten

Dieser Fall unterstreicht mehrere wichtige Punkte:

Erstens erfordert anhaltendes Fieber über mehr als 8 Tage ohne Erklärung eine gründliche Abklärung. „Fieber unklarer Genese“ kann auf ernste Grunderkrankungen hinweisen.

Zweitens ist die Familienanamnese entscheidend. Die Vorgeschichte des Bruders lieferte den Schlüssel zur Diagnose. Familien sollten Ärzte stets umfassend über medizinische Auffälligkeiten bei Verwandten informieren.

Drittens können seltene genetische Immundefekte mit wiederkehrenden oder ungewöhnlichen Infektionen einhergehen. MSMD umfasst Störungen der Interferon-γ-Immunität, die für mykobakterielle Infektionen anfällig machen.

Viertens erfordert die Diagnose spezialisierte Untersuchungen wie Bildgebung, Biopsien, Kulturen und Gentests.

Einschränkungen dieses Falls

Obwohl lehrreich, weist dieser Fall einige Einschränkungen auf:

Es handelt sich um eine Einzelfallstudie, deren Ergebnisse nicht auf alle Patienten mit ähnlichen Symptomen übertragbar sind. Die identifizierte Genmutation ist sehr selten.

Die Diagnose wurde durch die bekannte Familienanamnese erleichtert, die nicht immer verfügbar ist. Ohne diesen Hinweis hätte sich die Diagnose verzögert.

Es liegen keine Langzeitinformationen zum Therapieansprechen und Verlauf dieses spezifischen Patienten vor.

Empfehlungen für Familien

Basierend auf diesem Fall sollten Familien:

  1. Symptome sorgfältig dokumentieren: Fieberverläufe, Begleitsymptome und Medikamentenwirkung notieren
  2. Vollständige Familienanamnese teilen: Ärzte über ungewöhnliche Infektionen oder Erkrankungen bei nahen Verwandten informieren
  3. Abklärung vorantreiben: Bei anhaltenden unklaren Symptomen gegebenenfalls Spezialisten hinzuziehen
  4. Genetische Beratung erwägen: Bei Vorgeschichte ungewöhnlicher Infektionen von genetischer Evaluation profitieren
  5. Nach Immuntestung fragen: Bei wiederkehrenden, schweren oder ungewöhnlichen Infektionen eine Immunsystemevaluation anregen

Quelleninformation

Originalartikeltitel: Fall 39-2024: Ein 30 Monate alter Junge mit wiederkehrendem Fieber

Autoren: Alicia Casey, M.D., Vandana L. Madhavan, M.D., M.P.H., Evan J. Zucker, M.D., und Jocelyn R. Farmer, M.D., Ph.D.

Publikation: The New England Journal of Medicine, 12. Dezember 2024;391:2256–65

DOI: 10.1056/NEJMcpc2402490

Dieser patientenfreundliche Artikel basiert auf einer peer-reviewten Studie aus The New England Journal of Medicine. Er bewahrt alle medizinisch relevanten Befunde, Daten und klinischen Details der Originalfallstudie, während die Information für Patienten und Familien verständlich aufbereitet wird.