Eine 22-jährige, bis dahin gesunde Frau erkrankte plötzlich mit schweren Kopfschmerzen, Fieber, Ateminsuffizienz und neurologischen Symptomen. Der Zustand verschlechterte sich rasch. Die Diagnostik ergab lebensbedrohliche Komplikationen wie Hirnblutungen, multiple Schlaganfälle, Herzklappenschäden und eine Lungenbeteiligung. Nach umfangreicher Abklärung diagnostizierten die Ärzte eine aggressive bakterielle Endokarditis, verursacht durch Streptococcus mitis, die sich systemisch ausgebreitet und zu einem Multiorganversagen geführt hatte.
Ein medizinisches Rätsel bei einer jungen Frau: Von Kopfschmerzen zum Multiorganversagen
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung: Plötzliches Auftreten von Symptomen
- Fallvorstellung: Die Geschichte der Patientin
- Ersteinschätzung und klinischer Verlauf
- Verlegung in eine Spezialeinrichtung
- Detaillierte bildgebende Befunde
- Analyse der Laborergebnisse
- Differenzialdiagnose: Was könnte dies sein?
- Enddiagnose und Behandlung
- Klinische Implikationen für Patientinnen und Patienten
- Wichtige Lehren aus diesem Fall
- Quellenangaben
Einleitung: Plötzliches Auftreten von Symptomen
Dieser Fall betrifft eine zuvor gesunde 22-jährige Frau, die eine rasch fortschreitende Erkrankung entwickelte. Was mit scheinbar harmlosen Symptomen begann, weitete sich schnell zu einem lebensbedrohlichen Multiorganversagen aus. Ihr Fall zeigt, wie schnell sich eine bakterielle Infektion im Körper ausbreiten und multiple Systeme wie Gehirn, Herz, Lunge und Milz schädigen kann.
Die Geschichte der Patientin unterstreicht, wie wichtig es ist, besorgniserregende Symptome frühzeitig zu erkennen und umgehend medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ihr Fall war besonders herausfordernd, da sie Symptome zeigte, die mehrere Körpersysteme gleichzeitig betrafen. Dies zwang das Behandlungsteam, verschiedene mögliche Diagnosen in Betracht zu ziehen, bevor die zugrundeliegende Ursache identifiziert wurde.
Fallvorstellung: Die Geschichte der Patientin
Die Patientin war eine 22-jährige Frau, die im Gesundheitswesen arbeitete und bis acht Tage vor ihrer Krankenhauseinweisung in ausgezeichneter Verfassung war. Ihre Symptome begannen mit Übelkeit und Muskelschmerzen (Myalgien), die sich innerhalb der nächsten zwei Tage zu Schüttelfrost, Erbrechen, Nackenschmerzen und Kopfschmerzen mit Geräuschempfindlichkeit (Sonophobie) entwickelten.
Sie suchte zunächst eine Notaufnahme auf, wo die Ärztinnen und Ärzte trockene Schleimhäute, jedoch keine Anzeichen einer Meningitis feststellten. Ihre Leukozytenzahl war mit 12.300 pro Mikroliter erhöht (Normbereich: 4.800–10.800), und ihre Thrombozytenzahl war mit 95.000 pro Mikroliter erniedrigt (Normbereich: 150.000–450.000). Sie erhielt intravenöse Flüssigkeit und Schmerzmedikation und wurde mit der Verdachtsdiagnose eines viralen Syndroms nach Hause entlassen.
Ersteinschätzung und klinischer Verlauf
In der folgenden Woche verschlechterten sich ihre Symptome erheblich. Sie entwickelte verstärkte Kopfschmerzen mit neu aufgetretener Lichtempfindlichkeit (Photophobie), begleitet von allgemeinem Unwohlsein, Appetitverlust, unproduktivem Husten und Atemnot bei minimaler Belastung. Zwei Tage vor der Verlegung in das Spezialkrankenhaus bemerkte ihre Mutter Episoden von Verwirrtheit mit unsinniger Sprache und übermäßiger Schläfrigkeit.
Bei ihrer Rückkehr in die Notaufnahme zeigten ihre Vitalparameter Fieber (38,0 °C), eine schnelle Herzfrequenz (106 Schläge pro Minute), niedrigen Blutdruck (100/55 mm Hg) und eine beschleunigte Atmung (22 Atemzüge pro Minute). Ihre Sauerstoffsättigung betrug 97 % unter Sauerstoffgabe. Die Ärztinnen und Ärzte stellten Photophobie, eine leichte Rötung des Rachens und diffuse Bauchschmerzen fest.
Die initiale native CT-Untersuchung des Kopfes zeigte Hinweise auf eine Subarachnoidalblutung (Blutung um das Gehirn herum) und diffuse ischämische Veränderungen in den Parietal- und Temporallappen. CT-Untersuchungen von Thorax, Abdomen und Becken zeigten:
- Diffuse interstitielle Lungenzeichnung
- Multiple Verschattungen und Knötchen in der Lungenperipherie
- Zwei Hypodensitäten in der Milzperipherie
- Kleine retroperitoneale Lymphknotenvergrößerungen
Verlegung in eine Spezialeinrichtung
Die Patientin wurde auf die Intensivstation aufgenommen und mit mehreren Antibiotika behandelt, darunter Vancomycin, Ceftriaxon, Metronidazol und Doxycyclin. Trotz der Behandlung verschlechterte sich ihre Atmung, was eine erhöhte Sauerstoffunterstützung erforderlich machte. Sie wurde daraufhin zur spezialisierten Versorgung in das Massachusetts General Hospital verlegt.
Bei ihrer Ankunft war sie verwirrt und atmete schnell. Ihre Krankengeschichte umfasste eine mit Citalopram behandelte Depression. Sie berichtete über sozialen Alkoholkonsum, E-Zigarettengebrauch und gelegentlichen Cannabiskonsum, jedoch nicht über Tabakrauchen. Sie war vor über einem Jahr in die Karibik gereist, hatte jedoch keine kürzlichen Expositionen gegenüber Waldgebieten, Tieren oder Insekten.
Die Untersuchung ergab, dass sie in respiratorischer Not war und Atemhilfsmuskulatur einsetzte. Sie war nur nach Aufforderung orientiert und wies eine Nackensteifigkeit (Meningismus) und Schultersteifigkeit auf. Die Ärztinnen und Ärzte hörten abnorme Lungengeräusche (Rasselgeräusche und Rhonchi) und ein holosystolisches Herzgeräusch Grad 3/6, am lautesten über der Herzspitze und der linken Achselhöhle, mit Ausstrahlung zum Sternum. Die Milzspitze war tastbar, und sie hatte einen kleinen Fleck mit kleinen roten Punkten (Petechien) auf dem oberen Brustkorb.
Detaillierte bildgebende Befunde
Erweiterte Bildgebung zeigte multiple schwerwiegende Abnormalitäten im gesamten Körper:
Kopf-CT und MRT: Zeigten Hinweise auf eine akute Subarachnoidalblutung und multiple akute kortikale Infarkte (Schlaganfälle) in beiden Gehirnhemisphären. Konkret fanden sich bilateral verstreute kurvilineare Hyperdensitäten in den kortikalen Sulci, die auf Blutungen hindeuteten, sowie fokale hypodense Areale im linken oberen Parietallappen und rechten Temporallappen, die auf Schlaganfälle hindeuteten.
Thorax-CT: Zeigte ein mildes interstitielles Ödem, beidseitige Pleuraergüsse und multifokale peribronchovaskuläre noduläre Verschattungen und Konsolidierungen, die alle Lungenlappen betrafen. Einige Läsionen waren peripher verteilt ohne Kavitation.
Abdomen-CT: Zeigte mehrere Milzhypodensitäten, die höchstwahrscheinlich Milzinfarkte darstellten (Bereiche abgestorbenen Gewebes in der Milz aufgrund blockierten Blutflusses), mit begleitendem mildem Aszites und mildem periportalem Ödem.
Eine nach Thrombozytentransfusion durchgeführte Lumbalpunktion zeigte einen Öffnungsdruck von 38 cm Wasser (erhöht), mit Liquor cerebrospinalis, der enthielt: - Glucose: 41 mg/dL (erniedrigt, normal 50–75) - Protein: 31 mg/dL (normal) - Erythrozyten: 2400/μL (erhöht, normal 0–5) - Leukozyten: 49/μL (erhöht, normal 0–5) mit 76 % Neutrophilen
Analyse der Laborergebnisse
Die Laboruntersuchungen der Patientin zeigten multiple Abnormalitäten, die sich im Verlauf ihrer Erkrankung entwickelten:
Blutbild: Zeigte eine progressive Anämie (Hämoglobin fiel von 12,5 auf 8,9 g/dL), persistierend erhöhte Leukozytenzahl (Spitzenwert bei 20.210/μL mit 92 % Neutrophilen) und schwere Thrombozytopenie (Thrombozyten fielen auf 28.000/μL vor Transfusion). Ihr peripheres Blutausstrich zeigte toxische Granulation.
Chemische Tests: Zeigten niedriges Natrium (133–136 mmol/L), niedriges Kalium (3,4 mmol/L), erhöhtes Harnstoffstickstoff (25 mg/dL), normales Kreatinin, niedriges Kalzium (7,7–8,0 mg/dL), niedriges Gesamtprotein und Albumin, erhöhte alkalische Phosphatase (169 U/L) und erhöhtes Bilirubin (1,8 mg/dL).
Herzmarker: N-terminales pro-B-Typ natriuretisches Peptid war dramatisch erhöht auf 9130 pg/mL (normal <125), was auf eine Herzbeteiligung hindeutete.
Entzündungsmarker: D-Dimer war erhöht auf 1406 ng/mL (normal <500), Fibrinogen betrug 502 mg/dL (normal 150–400) und Ferritin war 258 μg/L (normal 10–200).
Differenzialdiagnose: Was könnte dies sein?
Die Ärztinnen und Ärzte zogen multiple mögliche Erklärungen für diese komplexe Präsentation in Betracht:
Infektiöse Ursachen: Die Kombination aus Fieber, Herzgeräusch, neurologischen Symptomen und Multiorganbeteiligung sprach stark für einen infektiösen Prozess. Mögliche Kandidaten umfassten: - Bakterielle Endokarditis (Herzklappeninfektion) - Zeckenübertragene Erkrankungen (Rocky-Mountain-Fleckfieber, Ehrlichiose, Anaplasmose) - Virale Infektionen (obwohl initiale Tests negativ waren) - Ungewöhnliche bakterielle Infektionen (Leptospirose, Brucellose)
Autoimmunerkrankungen: Angesichts ihrer Familienanamnese mit Autoimmunerkrankungen (Mutter mit kutanem Lupus, Großmutter mit Hashimoto-Thyreoiditis) zogen die Ärztinnen und Ärzte autoimmune Ursachen wie eine lupusassoziierten Libman-Sacks-Endokarditis oder Antiphospholipid-Syndrom in Betracht, obwohl initiale Tests auf antinukleäre Antikörper negativ waren.
Andere Überlegungen: Thrombotisch-thrombozytopenische Purpura oder hämolytisch-urämisches Syndrom wurden in Betracht gezogen, erschienen jedoch angesichts des Fehlens charakteristischer Laborbefunde weniger wahrscheinlich.
Das Vorhandensein eines Herzgeräuschs, neurologischer Symptome, respiratorischer Insuffizienz, Milzanomalien und Blutkulturergebnisse wiesen letztlich am stärksten auf eine infektiöse Endokarditis mit septischer Embolisation hin (Infektion, die sich über den Blutstrom ausbreitet und Verschlüsse in verschiedenen Organen verursacht).
Enddiagnose und Behandlung
Die definitive Diagnose wurde durch Blutkulturen gestellt, die Streptococcus mitis ergaben, eine Bakterienart, die Teil der normalen Mundflora ist, jedoch schwere Infektionen verursachen kann, wenn sie in den Blutstrom gelangt.
Die transösophageale Echokardiographie (eine spezialisierte Ultraschalluntersuchung durch die Speiseröhre) enthüllte die Quelle: multiple Vegetationen (infizierte Materialansammlungen) auf der Mitralklappe, mit mehreren Perforationen im posterioren Segel, die eine schwere Mitralklappeninsuffizienz (Undichtigkeit) verursachten. Dies erklärte das Herzgeräusch und wie sich Bakterien im gesamten Körper ausbreiteten.
Die Behandlung umfasste: - Fortgesetzte Breitbandantibiotika - Chirurgische Konsultation für mögliche Klappenreparatur oder -ersatz - Unterstützende Maßnahmen einschließlich mechanischer Beatmung - Behandlung von Komplikationen einschließlich Krampfanfällen und neurologischen Defiziten
Die Streptococcus-mitis-Infektion war besonders aggressiv, weil dieses Bakterium ein Toxin produzieren kann, das weitverbreitete Entzündungen und Gewebeschäden im gesamten Körper verursacht.
Klinische Implikationen für Patientinnen und Patienten
Dieser Fall bietet mehrere wichtige Lehren für Patientinnen und Patienten:
Erkennung ernsthafter Symptome: Was als scheinbar geringfügige grippeähnliche Symptome begann, schritt rasch zu einer lebensbedrohlichen Erkrankung fort. Patientinnen und Patienten sollten umgehend medizinische Hilfe suchen bei:
- Starken Kopfschmerzen mit Licht- oder Geräuschempfindlichkeit
- Anhaltendem oder sich verschlimmerndem Fieber
- Verwirrtheit oder Veränderungen des mentalen Status
- Atemnot bei minimaler Belastung
- Unklaren Blutergüssen oder kleinen roten Punkten auf der Haut
Verständnis des Endokarditisrisikos: Während Endokarditis jeden treffen kann, ist sie häufiger bei Menschen mit: - Vorherigen Herzklappenschäden oder künstlichen Klappen - Bestimmten angeborenen Herzerkrankungen - Vorgeschichte intravenösen Drogenkonsums - Kürzlichen zahnärztlichen Eingriffen oder anderen medizinischen Prozeduren, die Bakterien in den Blutstrom einbringen können
Bedeutung der vollständigen Krankengeschichte: Der Gesundheitsberuf dieser Patientin könnte sie Pathogenen ausgesetzt haben, obwohl die genaue Quelle ihrer Infektion nicht identifiziert wurde.
Wichtige Lehren aus diesem Fall
Dieser komplexe Fall veranschaulicht mehrere kritische medizinische Prinzipien:
Multisystemevaluation: Wenn Patientinnen und Patienten mit Symptomen präsentieren, die multiple Organsysteme gleichzeitig betreffen, müssen Ärztinnen und Ärzte Diagnosen in Betracht ziehen, die alle Befunde erklären können, anstatt jedes Symptom isoliert zu behandeln.
Rasche Progression: Einige bakterielle Infektionen können mit alarmierender Geschwindigkeit von milden Symptomen zu lebensbedrohlichem Multiorganversagen fortschreiten. Früherkennung und Behandlung sind essenziell.
Diagnostische Herausforderungen: Dieser Fall erforderte die Koordination zwischen mehreren Fachärzten, einschließlich Infektiologen, Kardiologen, Neurologen und Intensivmedizinern, um die korrekte Diagnose zu stellen.
Behandlungskomplexität: Die Behandlung solch schwerer Infektionen erfordert sowohl eine gezielte Antibiotikatherapie als auch unterstützende Maßnahmen für die verschiedenen Komplikationen, die durch eine weitverbreitete Entzündung und Organschäden entstehen.
Die Patientin benötigte letztendlich einen längeren Krankenhausaufenthalt mit intensivmedizinischer Betreuung, mehrere Antibiotika und wird voraussichtlich eine langfristige Nachsorge für ihre neurologischen und kardialen Komplikationen benötigen.
Quellenangaben
Originaler Artikel-Titel: Fall 38-2024: Eine 22-jährige Frau mit Kopfschmerzen, Fieber und respiratorischer Insuffizienz
Autoren: Eleftherios Mylonakis, M.D., Ph.D., Eric W. Zhang, M.D., Philippe B. Bertrand, M.D., Ph.D., M. Edip Gurol, M.D., Virginia A. Triant, M.D., M.P.H., und Kristine M. Chaudet, M.D.
Veröffentlichung: The New England Journal of Medicine, 5. Dezember 2024; 391:2148–57
DOI: 10.1056/NEJMcpc2100279
Dieser patientenfreundliche Artikel basiert auf begutachteter Forschung aus den Fallberichten des Massachusetts General Hospital.