Diese umfassende Studie verglich zwei führende B-Zell-depletierende Therapien bei schubförmiger Multipler Sklerose (MS) – Ocrelizumab (OCR) und Ofatumumab (OFA) – unter Alltagsbedingungen. Über einen Zeitraum von bis zu 2,5 Jahren beobachteten die Forschenden 961 Patientinnen und Patienten. Dabei zeigte sich, dass OFA ebenso wirksam wie OCR war, um Schübe, Behinderungsprogression und neue MRT-Läsionen zu verhindern. Obwohl beide Behandlungen insgesamt ähnlich wirksam waren, traten potenzielle Unterschiede bei Patientinnen und Patienten auf, die von bestimmten Vorbehandlungen wechselten – ein Aspekt, der weitere Untersuchungen erfordert.
Vergleich von Ocrelizumab und Ofatumumab bei schubförmiger Multipler Sklerose: Ein umfassender Patientenleitfaden
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung: Warum diese Forschung wichtig ist
- Studienmethoden: Wie die Forschung durchgeführt wurde
- Kernbefunde: Detaillierte Ergebnisse mit allen Zahlen
- Klinische Bedeutung: Was dies für Patienten bedeutet
- Einschränkungen: Was die Studie nicht beweisen konnte
- Empfehlungen: Handlungsorientierte Ratschläge für Patienten
- Quellenangaben
Einleitung: Warum diese Forschung wichtig ist
Multiple Sklerose ist eine komplexe neurologische Erkrankung, bei der das Immunsystem fälschlicherweise die Schutzschicht der Nervenfasern angreift. Für Patienten mit schubförmigen Formen der MS (RMS) haben B-Zell-depletierende Therapien die Behandlung revolutioniert, indem sie gezielt jene Immunzellen angreifen, die die Krankheitsaktivität vorantreiben.
Zwei führende Behandlungen in dieser Kategorie sind Ocrelizumab (OCR) und Ofatumumab (OFA), beide für RMS zugelassen. Obwohl beide Medikamente an CD20-Proteine auf B-Zellen binden, unterscheiden sie sich in wichtigen Punkten: OCR wird typischerweise alle sechs Monate intravenös verabreicht, während OFA einmal monatlich subkutan injiziert wird.
Beide Wirkstoffe haben in klinischen Studien Wirksamkeit gezeigt, doch fehlten bislang direkte Vergleichsstudien unter Alltagsbedingungen. Diese Lücke ließ Patienten und Ärzte ohne klare Orientierung, welche Behandlung im klinischen Alltag möglicherweise wirksamer ist.
Diese deutsche multizentrische Studie begleitete 1.138 Patienten über drei Zentren hinweg und liefert den ersten umfassenden Vergleich dieser beiden MS-Therapien unter Realbedingungen – eine wertvolle Entscheidungshilfe für Patienten.
Studienmethoden: Wie die Forschung durchgeführt wurde
Die Forscher führten eine prospektive Kohortenstudie durch und beobachteten Patienten von September 2021 bis Juni 2024. Die Studie wurde an drei großen neurologischen Zentren in Deutschland durchgeführt: Düsseldorf, Essen und Gießen.
Eingeschlossen wurden erwachsene Patienten mit schubförmiger Multipler Sklerose, die die McDonald-Diagnosekriterien von 2017 erfüllten. Alle Teilnehmer waren für eine Behandlung mit OCR oder OFA geeignet. Die Therapieentscheidung erfolgte gemeinsam zwischen Patient und Arzt vor Studieneinschluss.
Um einen sauberen Vergleich zu gewährleisten, galten folgende Ausschlusskriterien:
- Vorbehandlung mit B-Zell-depletierenden Therapien
- Vorbehandlung mit Alemtuzumab oder Cladribin
- Diagnose einer progredienten MS zu Studienbeginn
Mittels Propensity-Score-Matching wurden vergleichbare Gruppen gebildet. Diese Methode sorgte dafür, dass sich die Patienten beider Gruppen in Alter, Krankheitsdauer, Schubrate, Behinderungsgrad und anderen Einflussfaktoren glichen.
Die finale Analyse umfasste 544 OCR- und 417 OFA-Patienten (insgesamt 961). Die Nachbeobachtungszeit betrug kumulativ 18.873 Patientenmonate (ca. 1.573 Patientenjahre).
Erhoben wurden folgende Endpunkte:
- Klinische Schübe (neurologische Verschlechterung für ≥24 Stunden)
- Neue oder vergrößerte MRT-Läsionen (T2-hyperintens)
- 6-monatig bestätigte Behinderungsverschlechterung (CDW)
- Fortschreiten unabhängig von Schubaktivität (PIRA)
- Schubassoziierte Verschlechterung (RAW)
Die MRT-Untersuchungen erfolgten nach standardisierten Protokollen und wurden von verblindeten Neuroradiologen ausgewertet.
Kernbefunde: Detaillierte Ergebnisse mit allen Zahlen
Die gematchten Gruppen waren gut vergleichbar: Durchschnittsalter 35,4 Jahre, Krankheitsdauer 44,9 Monate. Der Frauenanteil betrug 67,1% (OCR) bzw. 69,5% (OFA), was der typischen MS-Verteilung entspricht.
Vor Behandlungsbeginn war die Erkrankung aktiv: durchschnittlich 0,76 Schübe/Jahr (OCR) bzw. 0,92 Schübe/Jahr (OFA). Die Baseline-MRT zeigte im Mittel 19,2 T2-Läsionen (OCR) und 19,1 Läsionen (OFA).
Vorbehandlungen:
- Therapienaiv: 30,9% (OCR) vs. 35,3% (OFA)
- Vorbehandlung mit Natalizumab: 24,4% (OCR) vs. 15,1% (OFA)
- Vorbehandlung mit S1P-Modulatoren: 16,9% (OCR) vs. 17,5% (OFA)
- Sonstige Vorbehandlungen: Restliche Patienten
Schübe: Insgesamt 168 Patienten erlitten Schübe – 101 (18,6%) unter OCR und 67 (16,1%) unter OFA. Die jährliche Schubrate sank von 0,76 auf 0,11, was die hohe Wirksamkeit beider Therapien belegt.
MRT: 213 Patienten entwickelten 278 neue oder vergrößerte Läsionen: 126 OCR-Patienten (23,2%) mit 174 Läsionen, 87 OFA-Patienten (20,9%) mit 104 Läsionen. Die Auswertbarkeit der MRT-Daten lag bei 97,2%.
Behinderung: 147 Patienten (15,6%) zeigten eine bestätigte Behinderungsverschlechterung: 93 (17,1%) unter OCR, 54 (12,9%) unter OFA. Davon:
- RAW: 80 Patienten (8,4% OCR, 8,2% OFA)
- PIRA: 67 Patienten (8,6% OCR, 4,8% OFA)
Nicht-Unterlegenheit: OFA war OCR in allen Endpunkten nicht unterlegen (15%-Margine). Es fanden sich keine signifikanten Unterschiede.
Subgruppen: Bei Therapienaiven und Umsteigern von Plattformtherapien waren die Ergebnisse konsistent. Bei Umsteigern von S1P-Modulatoren oder Natalizumab zeigten sich tendenzielle Unterschiede, die weiterer Validierung bedürfen.
Von den Patienten, die von S1P-Modulatoren umstiegen, wechselten 26,1% (OCR) bzw. 17,8% (OFA) aufgrund von Krankheitsaktivität. Die Übrigen aufgrund von Nebenwirkungen: Lymphopenie (49%), Infektionen (35%), Hautreaktionen (8%), Synkopen (5%), erhöhter Augendruck (3%).
Klinische Bedeutung: Was dies für Patienten bedeutet
Die Studie belegt: Sowohl OCR als auch OFA sind hochwirksame Therapien bei schubförmiger MS. Da OFA nicht unterlegen ist, können Patienten und Ärzte basierend auf individuellen Präferenzen und praktischen Erwägungen wählen.
Für Patienten, die seltenere Behandlungen und Infusionen bevorzugen, könnte OCR (alle 6 Monate) passend sein. Wer Selbstinjektionen und häufigere Gaben vorzieht, könnte mit monatlichem OFA besser bedient sein. Beide Optionen bieten vergleichbaren Schutz vor Schüben, Behinderung und neuen MRT-Läsionen.
Der starke Rückgang der Schubrate von 0,84 auf 0,11 unterstreicht die Wirksamkeit B-Zell-depletierender Therapien. Die meisten Patienten bleiben unter Behandlung schubfrei – das verbessert Lebensqualität und reduziert die Krankheitslast erheblich.
Die vergleichbaren Ergebnisse bei Therapienaiven und Umsteigern zeigen: Beide Optionen sind unabhängig von der Vorbhandlung geeignet. Besonders wichtig für Patienten, die nach weniger wirksamen Therapien escalieren möchten.
Mögliche Unterschiede bei Umsteigern von S1P-Modulatoren oder Natalizumab deuten an, dass die individuelle Krankengeschichte berücksichtigt werden sollte. Diese vorläufigen Befunde bedürfen jedoch weiterer Bestätigung.
Insgesamt stärkt diese Studie die Patientenautonomie: Beide Therapien bieten exzellente Krankheitskontrolle unter Alltagsbedingungen.
Einschränkungen: Was die Studie nicht beweisen konnte
Trotz wertvoller Realwelt-Daten sind einige Einschränkungen zu beachten: Da es sich um eine Beobachtungsstudie handelte, erfolgte keine Randomisierung – auch wenn statistische Methoden dies auszugleichen suchten.
Der Nachbeobachtungszeitraum (bis 2,5 Jahre) könnte zu kurz sein, um Langzeiteffekte oder seltene Nebenwirkungen zu erfassen. Bei einer lebenslangen Erkrankung wie MS sind längere Beobachtungen nötig.
Die Durchführung an deutschen Zentren limitiert die Übertragbarkeit auf andere Gesundheitssysteme oder Patientenpopulationen.
Einige Subgruppen (z.B. Umsteiger von neueren S1P-Modulatoren) waren zu klein für sichere Aussagen. Größere Studien sind hier nötig.
Sicherheit und Nebenwirkungen wurden nicht umfassend evaluiert – obwohl beide Therapien generally gut vertragen werden, können individuelle Nebenwirkungsprofile die Wahl beeinflussen.
Schließlich kann eine Nicht-Unterlegenheitsstudie Äquivalenz nicht beweisen: Kleine Unterschiede könnten bestehen, die diese Studie nicht erfassen konnte.
Empfehlungen: Handlungsorientierte Ratschläge für Patienten
Basierend auf diesen Ergebnissen können Patienten mit schubförmiger MS folgende Empfehlungen mit ihrem Behandlungsteam besprechen:
- Besprechen Sie beide Optionen mit Ihrem Neurologen. Beide Therapien sind hochwirksam – die Wahl sollte Lebensstil, Präferenzen und individuelle Umstände berücksichtigen.
- Beachten Sie die Applikationsart. Bei Präferenz für seltenere Behandlungen und Klinikbesuche: OCR. Bei bevorzugter Selbstinjektion zu Hause: OFA.
- Prüfen Sie Ihre Therapiehistorie. Besonders Umsteiger von S1P-Modulatoren oder Natalizumab sollten mögliche Unterschiede mit ihrem Arzt besprechen.
- Monitoring beachten. Regelmäßige klinische und MRT-Kontrollen bleiben wichtig, unabhängig von der gewählten Therapie.
- Nebenwirkungen melden. Beide Therapien sind generally gut verträglich, doch unerwünschte Wirkungen sollten umgehend mitgeteilt werden.
- Informiert bleiben. Da weitere Studien erscheinen, können sich Empfehlungen ändern. Halten Sie den Austausch mit Ihrem Behandlungsteam aufrecht.
Therapieentscheidungen sollten partizipativ getroffen werden – unter Berücksichtigung der Evidenz, Ihrer Situation und Ihrer Präferenzen.
Quellenangaben
Originaltitel: Unterschiedliche Behandlungsergebnisse von Multiple-Sklerose-Patienten unter Ocrelizumab oder Ofatumumab
Autoren: Sven G. Meuth, Stephanie Wolff, Anna Mück, Alice Willison, Konstanze Kleinschnitz, Saskia Räuber, Marc Pawlitzki, Franz Felix Konen, Thomas Skripuletz, Matthias Grothe, Tobias Ruck, Hagen B. Huttner, Christoph Kleinschnitz, Tobias Bopp, Refik Pul, Bruce A. C. Cree, Hans-Peter Hartung, Kathrin Möllenhoff, Steffen Pfeuffer
Veröffentlichung: Annals of Neurology, 2025;97:583–595
DOI: 10.1002/ana.27143
Dieser patientenfreundliche Artikel basiert auf begutachteter Forschung und aims, komplexe wissenschaftliche Informationen verständlich darzustellen, ohne die Kernaussagen der Originalstudie zu verändern.