Diese umfassende Studie verglich zwei B-Zell-Depletionstherapien bei schubförmig remittierender Multipler Sklerose (RRMS) und kam zu dem Ergebnis, dass Rituximab weniger wirksam war als Ocrelizumab in der Verhinderung von Schüben. Patienten unter Rituximab wiesen fast die doppelte Schubrate auf (0,20 vs. 0,09 annualisierte Schubrate) und hatten ein 2,1-fach höheres Risiko für einen Krankheitsschub im Vergleich zu Ocrelizumab-Patienten. Beide Therapien zeigten jedoch eine vergleichbare Wirksamkeit beim Verzögern des Behinderungsfortschritts. Die Ergebnisse unterstreichen, wie wichtig es ist, die Behandlungsoptionen mit Ihrem Neurologen zu besprechen.
Rituximab vs. Ocrelizumab bei schubförmig remittierender Multipler Sklerose: Was Patienten wissen sollten
Inhaltsverzeichnis
- Einführung: B-Zell-Therapien bei MS verstehen
- Studiendesign und Methoden
- Patientenmerkmale
- Hauptergebnisse: Schubraten und Behinderungsverlauf
- Therapietreue und -abbruch
- Klinische Bedeutung für Patienten
- Studiengrenzen
- Empfehlungen für Patienten
- Quellenangabe
Einführung: B-Zell-Therapien bei MS verstehen
Multiple Sklerose (MS) ist eine Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem die Schutzschicht der Nervenfasern angreift. B-Zell-depletierende Therapien markieren einen bedeutenden Fortschritt in der MS-Behandlung, da sie gezielt jene Immunzellen anvisieren, die zum Krankheitsgeschehen beitragen. Ocrelizumab (Ocrevus) war die erste für schubförmig remittierende MS (RRMS) zugelassene B-Zell-Therapie, nachdem sie in klinischen Studien im Vergleich zur Interferontherapie eine 46%ige Reduktion der Schubrate und eine 40%ige Verringerung der Behinderungsprogression gezeigt hatte.
Rituximab (Rituxan), obwohl für andere Erkrankungen wie bestimmte Krebsarten und rheumatoide Arthritis zugelassen, wird häufig „off-label“ bei MS eingesetzt. Trotz ähnlichem Wirkmechanismus (beide zielen auf CD20-Proteine auf B-Zellen ab) unterscheiden sich die Medikamente wesentlich: Ocrelizumab ist ein „humanisierter“ Antikörper, der potenziell weniger Immunreaktionen auslöst, während Rituximab ein „chimärer“ Antikörper mit Mauskomponenten ist.
Diese Studie ging der entscheidenden Frage nach: Ist Rituximab genauso wirksam wie Ocrelizumab zur Kontrolle der MS-Aktivität? Die Antwort hat erhebliche Auswirkungen auf Therapieentscheidungen, Kostenerstattung und Behandlungserfolge.
Studiendesign und Methoden
Forscher werteten Daten aus zwei großen MS-Registern aus: dem internationalen MSBase-Register und dem Dänischen Multiple-Sklerose-Register (DMSR). Der Untersuchungszeitraum erstreckte sich von Januar 2015 bis März 2021 und schloss Patienten ein, die in diesem Zeitraum mit Ocrelizumab oder Rituximab behandelt wurden.
Um faire Vergleiche zu gewährleisten, nutzten die Forscher statistische Methoden, um Patienten mit ähnlichen Merkmalen zu paaren:
- Mindestens 6 Monate Behandlung und Nachbeobachtung
- Detaillierte Ausgangsbefunde einschließlich Behinderungswerten (EDSS)
- Vorherige Schubgeschichte und Behandlungserfahrung
- MRT-Befunde inklusive Läsionslast
- Alter, Geschlecht und Krankheitsdauer
Primäres Ziel war zu prüfen, ob Rituximab Ocrelizumab „nicht unterlegen“ ist – also nicht unakzeptabel schlechter abschneidet. Die Forscher legten eine Schwelle fest: Zeigte Rituximab nicht mehr als das 1,63-Fache der Schubrate von Ocrelizumab, galt es als nicht unterlegen.
Die Behandlung folgte der klinischen Praxis: Ocrelizumab wurde typischerweise als 300-mg-Dosen im Abstand von zwei Wochen verabreicht, gefolgt von 600 mg alle sechs Monate. Rituximab erhielten Patienten üblicherweise als 1000-mg-Dosen im Abstand von zwei Wochen, dann 500–1000 mg alle sechs Monate, wobei die Dosierung zwischen Zentren variierte.
Patientenmerkmale
Von anfangs 6.027 behandelten Patienten erfüllten 1.613 die strengen Einschlusskriterien. Die Studienpopulation wies folgende Merkmale auf:
- Durchschnittsalter: 42,0 Jahre (±10,8 Jahre)
- Geschlechterverteilung: 68 % weiblich (1.089 Patienten), 32 % männlich (524 Patienten)
- Herkunft: 898 Patienten aus MSBase, 715 aus dem dänischen Register
Nach dem Matching umfasste der Vergleich 710 mit Ocrelizumab behandelte Patienten, die mit 186 Rituximab-Patienten gepaart wurden. Vor dem Matching wiesen Rituximab-Patienten tendenziell eine schwerere Erkrankung auf:
- Höhere Behinderungswerte (durchschnittlicher EDSS 3,5 vs. 3,0)
- Mehr Schübe im Vorjahr (0,7 vs. 0,5)
- Aktivere MRT-Befunde (41 % vs. 32 % mit Kontrastmittel-anreichernden Läsionen)
- Mehr vorherige MS-Therapien (Median 2,0, aber mit unterschiedlichen Verteilungen)
Der Matching-Prozess glich diese Unterschiede aus und schuf vergleichbare Gruppen mit einer durchschnittlichen Nachbeobachtungszeit von 1,4 Jahren (±0,7 Jahre).
Hauptergebnisse: Schubraten und Behinderungsverlauf
Die Studie zeigte signifikante Unterschiede in der Schubprävention:
Jährliche Schubraten (ARR): Patienten unter Rituximab erlitten fast doppelt so viele Schübe: • Rituximab ARR: 0,20 (±0,49) • Ocrelizumab ARR: 0,09 (±0,28) • Dieser Unterschied war statistisch signifikant (p < 0,001)
Schubrisiko: Die Ratenratio betrug 1,8 (95 %-KI: 1,4–2,4), was bedeutet, dass Rituximab-Patienten ein 1,8-fach höheres Schubrisiko hatten. Da die obere Grenze des Konfidenzintervalls (2,4) die Nichtunterlegenheitsschwelle von 1,63 überschritt, konnte Rituximab die Nichtunterlegenheit nicht belegen.
Kumulatives Schubrisiko: Rituximab-Patienten hatten ein 2,1-fach höheres Risiko für Schübe im Zeitverlauf (Hazard Ratio: 2,1; 95 %-KI: 1,5–3,0).
Behinderungsverlauf: Trotz der Unterschiede in der Schubprävention boten beide Behandlungen ähnlichen Schutz vor Behinderungsprogression: • Behinderungszunahme: Hazard Ratio 1,51 (95 %-KI: 0,86–2,64) – nicht signifikant • Behinderungsrückgang: Hazard Ratio 0,80 (95 %-KI: 0,49–1,31) – nicht signifikant
Dies deutet darauf hin, dass Rituximab zwar weniger wirksam in der Schubprävention war, aber ähnlichen Schutz vor langfristiger Behinderungsprogression bot.
Therapietreue und -abbruch
Patienten brachen Rituximab signifikant häufiger ab als Ocrelizumab (Hazard Ratio: 3,11; 95 %-KI: 2,36–4,11). Das bedeutet, Rituximab-Patienten setzten die Behandlung mehr als dreimal so häufig ab.
Verfügbare Daten zu Abbruchgründen (für 66 % der Ocrelizumab- und 49 % der Rituximab-Abbrüche) zeigten:
- Häufigste Gründe für Rituximab-Abbruch: Patienten-/Arztentscheidung (33 %) und andere/unbekannte Gründe (48 %)
- 69 % der Patienten, die Rituximab absetzten, wechselten zu Ocrelizumab
- Wenige Abbrüche aufgrund von Unverträglichkeit: 16 Ocrelizumab-Patienten, 9 Rituximab-Patienten
Die hohe Wechselrate von Rituximab zu Ocrelizumab spiegelt wahrscheinlich die Zulassung von Ocrelizumab für MS wider, was es zugänglicher und bevorzugter machte.
Klinische Bedeutung für Patienten
Diese Ergebnisse haben wichtige Konsequenzen für MS-Behandlungsentscheidungen:
Für Patienten, die eine B-Zell-Therapie erwägen, legt diese Studie nahe, dass Ocrelizumab möglicherweise besseren Schutz vor Schüben bietet. Die nahezu verdoppelte Schubrate unter Rituximab ist klinisch relevant und könnte Lebensqualität und Krankheitsmanagement beeinflussen.
Allerdings deuten die ähnlichen Behinderungsverläufe darauf hin, dass beide Medikamente substanziellen Schutz vor langfristiger Progression bieten. Da die Verhinderung von Behinderung das Hauptziel der MS-Therapie ist, ist dies ein wichtiger Aspekt.
Die höhere Abbruchrate bei Rituximab könnte auf Faktoren wie Änderungen der Kostenerstattung, Arztpräferenzen oder Patientenentscheidungen zurückgehen. Die ähnlich niedrigen Unverträglichkeitsraten zeigen, dass beide Medikamente generell gut vertragen werden.
Patienten sollten diese Ergebnisse mit ihrem Neurologen im Kontext ihrer individuellen Erkrankung, Vorgeschichte und Präferenzen besprechen. Die Wahl zwischen diesen Medikamenten erfordert Abwägung von Wirksamkeit, Sicherheit, Kosten und Verabreichung.
Studiengrenzen
Obwohl die Studie wertvolle Real-World-Daten liefert, sind einige Einschränkungen zu beachten:
Es handelte sich um eine Beobachtungsstudie, keine randomisierte kontrollierte Studie. Behandlungsentscheidungen wurden von Ärzten getroffen, nicht randomisiert. Trotz statistischer Anpassung könnten nicht erfasste Faktoren die Ergebnisse beeinflusst haben.
Die Nachbeobachtungszeit von durchschnittlich 1,4 Jahren ist relativ kurz für MS-Verläufe. Langzeitdaten könnten andere Muster in Behinderungsprogression oder Sicherheit zeigen.
Die Rituximab-Dosierung variierte zwischen Zentren (500–1000 mg alle 6 Monate), während Ocrelizumab standardisiert verabreicht wurde. Diese Variabilität könnte die Ergebnisse beeinflusst haben, obwohl Sensitivitätsanalysen die Hauptergebnisse bestätigten.
Nebenwirkungen oder Sicherheitsprofile konnten aufgrund unzureichender Daten in den Registern nicht umfassend verglichen werden. Sicherheitsaspekte bleiben jedoch wichtig.
Die hohe Wechselrate von Rituximab zu Ocrelizumab könnte insbesondere die Auswertung zur Therapietreue beeinflusst haben.
Empfehlungen für Patienten
Basierend auf diesen Ergebnissen sollten RRMS-Patienten Folgendes bedenken:
- Besprechen Sie beide Optionen mit Ihrem Neurologen: Führen Sie ein informiertes Gespräch über Vor- und Nachteile von Ocrelizumab und Rituximab für Ihre Situation.
- Berücksichtigen Sie die Schubprävention: Wenn Schubvermeidung Priorität hat, könnte Ocrelizumab laut dieser Studie besseren Schutz bieten.
- Bewerten Sie den Behinderungsschutz: Beide Medikamente zeigten ähnliche Wirksamkeit gegen Behinderungsprogression – das langfristige Therapieziel.
- Praktische Faktoren einbeziehen: Kostenerstattung, Eigenanteile, Infusionsmöglichkeiten und Dosierungsschemata können die Entscheidung beeinflussen.
- Informiert bleiben: Laufende randomisierte Studien vergleichen diese Medikamente direkt und könnten künftig definitivere Antworten liefern.
- Therapieansprechen überwachen: Unabhängig von der Wahl sind regelmäßige klinische Kontrollen und MRT-Untersuchungen essenziell.
Behandlungsentscheidungen sollten individuell basierend auf Krankheitsmerkmalen, Vorgeschichte, Lebensstil und Präferenzen getroffen werden. Diese Studie liefert wichtige Erkenntnisse, sollte aber nicht der alleinige Entscheidungsfaktor sein.
Quellenangabe
Originaltitel: Rituximab vs Ocrelizumab in Relapsing-Remitting Multiple Sclerosis
Autoren: Izanne Roos, MBChB, PhD; Stella Hughes, MD; Gavin McDonnell, MD, PhD; et al
Publikation: JAMA Neurology
Veröffentlichungsdatum: 12. Juni 2023 (online); August 2023 (Print)
Band und Ausgabe: Bd. 80, Nr. 8
Seiten: 789–797
DOI: 10.1001/jamaneurol.2023.1625
Dieser patientenfreundliche Artikel basiert auf einer begutachteten Studie in JAMA Neurology. Er bewahrt alle wesentlichen Ergebnisse, Statistiken und methodischen Details der Originalarbeit, während die Informationen für Patienten und Angehörige verständlich aufbereitet wurden.