Diese umfassende Leitlinie führender europäischer Krebsexperten bietet aktualisierte Empfehlungen zur Diagnose und Behandlung des epithelialen Ovarialkarzinoms. Sie betont, dass die vollständige chirurgische Entfernung sichtbarer Tumoren der entscheidende Überlebensfaktor bleibt, empfiehlt für alle Patientinnen mit hochgradigen Tumoren eine genetische Testung zur Therapiesteuerung und legt spezifische Behandlungsansätze je nach Krebsstadium und Subtyp fest. Das Dokument hebt hervor, dass eine personalisierte Behandlung auf Basis von Tumoreigenschaften und genetischen Markern die Therapieergebnisse bei Ovarialkarzinom-Patientinnen erheblich verbessern kann.
Umfassender Leitfaden zum epithelialen Ovarialkarzinom: Diagnose, Behandlung und Nachsorge
Inhaltsverzeichnis
- Einführung: Das Ovarialkarzinom verstehen
- Diagnose: Wie ein Ovarialkarzinom erkannt wird
- Krebsarten und molekulare Merkmale
- Krebsstadienerhebung und Risikobewertung
- Behandlung des Frühstadiums (Stadium I-II)
- Behandlung des fortgeschrittenen Karzinoms (Stadium III-IV)
- Quelleninformationen
Einführung: Das Ovarialkarzinom verstehen
Das epitheliale Ovarialkarzinom (EOC) umfasst eine heterogene Gruppe von Erkrankungen mit unterschiedlichen klinischen, pathologischen und molekularen Merkmalen. Weltweit ist es die zweittödlichste gynäkologische Krebserkrankung nach dem Zervixkarzinom und in Industrieländern sogar die tödlichste. Im Jahr 2020 starben weltweit etwa 200.000 Frauen an einem Ovarialkarzinom.
Studiendaten von 1990 bis 2019 zeigen, dass hoch entwickelte Regionen die höchste Krankheitslast und Mortalitätsraten aufweisen. Mehrere Faktoren können das Erkrankungsrisiko beeinflussen. Unfruchtbarkeit, Kinderlosigkeit, Östrogenhormontherapie und Adipositas gelten als Risikofaktoren, die die steigende Inzidenz in Industrieländern erklären könnten.
Glücklicherweise gibt es auch Schutzfaktoren. Die Einnahme oraler Kontrazeptiva, insbesondere über längere Zeit, sowie Stillen können das Risiko senken. Eine aktuelle große Studie zeigte signifikante Unterschiede bei Risikofaktoren zwischen verschiedenen Subtypen. Höhere Kinderzahl, früheres Menopausenalter und Tubenligatur waren am stärksten mit einem reduzierten Risiko bei bestimmten Karzinomtypen assoziiert, während Endometriose mit einem erhöhten Risiko bei anderen Typen verbunden war.
Diagnose: Wie ein Ovarialkarzinom erkannt wird
Derzeit gibt es keine zuverlässige Screening-Methode für das Ovarialkarzinom. Die meisten Frauen werden aufgrund von Symptomen diagnostiziert, wobei die Mehrheit im fortgeschrittenen Stadium vorstellig wird. Die frühzeitige Erkennung von Symptomen ist entscheidend, aber schwierig, da diese unspezifisch sein können. Häufige Symptome sind abdominale oder pelvine Schmerzen, Verstopfung, Durchfall, häufiges Wasserlassen, vaginale Blutungen, Blähungen und Müdigkeit.
Bei fortgeschrittener Erkrankung führen Flüssigkeitsansammlungen im Bauch (Aszites) und Raumforderungen zu Blähungen, Übelkeit, Appetitverlust, Verdauungsstörungen und frühzeitiger Sättigung. Bei Ausbreitung in den Brustraum können Flüssigkeitsansammlungen und Atembeschwerden auftreten.
Die standardmäßige Diagnostik bei Verdacht auf EOC umfasst:
- Detaillierte Anamnese und klinische Untersuchung
- Serum-CA-125-Bestimmung (ein Tumormarker)
- Zusätzliche Tumormarker (CEA und CA19-9) bei muzinösem Karzinom
- Endoskopie bei Erhöhung bestimmter Tumormarker
- Transabdominaler und transvaginaler Ultraschall durch erfahrene Untersucher
- CT von Thorax, Abdomen und Becken
- Pathologische Aufarbeitung von Tumormaterial
- Zytologische Beurteilung von Pleuraergüssen, falls vorhanden
Der CA-125-Bluttest unterstützt die Diagnose und ist bei etwa 85% der Patientinnen mit fortgeschrittener Erkrankung erhöht. Im Frühstadium ist er weniger aussagekräftig, da er nur bei etwa 50% der Fälle erhöht ist. Wichtig: CA-125 ist nicht spezifisch für Ovarialkarzinome und kann auch bei anderen Krebsarten sowie gutartigen Erkrankungen wie Endometriose und Ovarialzysten erhöht sein.
Krebsarten und molekulare Merkmale
Epitheliale Ovarialkarzinome machen den Großteil (ca. 90%) der Ovarialmalignome aus. Experten unterscheiden mindestens fünf Subtypen basierend auf detaillierten Analysen:
Hochmalignes seröses Karzinom (HGSC) ist der häufigste Subtyp und macht 70% der Fälle aus. Diese aggressive Form weist oft Mutationen in den BRCA1/2-Genen auf und spricht gut auf bestimmte zielgerichtete Therapien an.
Endometrioides Karzinom (EC) macht 10% der Fälle aus und zeigt häufig CTNNB1- und ARID1A-Mutationen.
Klarzellkarzinom (CCC) repräsentiert 6%-10% der Fälle und ist mit ARID1A- und PI3KCA-Mutationen assoziiert.
Niedrigmalignes seröses Karzinom (LGSC) macht 5% der Fälle aus und weist typischerweise KRAS- und BRAF-Mutationen auf.
Muzinöses Karzinom (MC) stellt 3%-4% der Fälle dar und zeigt CDKN2A- und KRAS-Mutationen.
Jeder Subtyp stellt eine eigenständige Erkrankung mit unterschiedlicher Entstehung, Entwicklung, klinischen Merkmalen und Prognose dar. Diese Komplexität unterstreicht, warum die genaue Tumorklassifikation durch erfahrene Pathologen für personalisierte Therapieentscheidungen entscheidend ist.
Krebsstadienerhebung und Risikobewertung
Alle Patientinnen mit Ovarialkarzinom sollten chirurgisch nach dem System der International Federation of Gynecology and Obstetrics (FIGO) gestaget werden. Dieses System klassifiziert den Krebs von Stadium I (auf die Eierstöcke begrenzt) bis Stadium IV (Fernmetastasen außerhalb des Bauchraums).
Es besteht ein starker Zusammenhang zwischen der nach der Operation verbliebenen Tumormenge und dem Überleben. Präoperative Bildgebung kann helfen vorherzusagen, ob eine vollständige Tumorentfernung möglich ist. Die Beurteilung unterscheidet zwischen Tumorausbreitung auf Organoberflächen und tatsächlicher Organinvasion, was Staging und Therapieentscheidungen beeinflusst.
Wenn die Erkrankung bildgebend als entfernbahr erscheint und keine chirurgischen oder medizinischen Kontraindikationen bestehen, sollte ein chirurgisches Staging zur Bestimmung der Ausdehnung und Beurteilung der Chancen einer optimalen Tumorentfernung durchgeführt werden.
Behandlung des Frühstadiums (Stadium I-II)
Das Ziel der Operation beim frühen Ovarialkarzinom ist die vollständige Tumorentfernung und adäquate Stadienbestimmung. Dies umfasst in der Regel umfassende Verfahren zur genauen Bestimmung der Erkrankungsausdehnung. Das chirurgische Staging liefert entscheidende prognostische Informationen und bestimmt, ob eine Chemotherapie notwendig ist.
Etwa 60% der Patientinnen mit scheinbar frühem Ovarialkarzinom weisen nach umfassendem chirurgischem Staging eine weiter fortgeschrittene Erkrankung auf, was Therapieentscheidungen und Outcomes erheblich beeinflusst.
Für Patientinnen, die nach der Operation eine Chemotherapie benötigen, ist die Standardbehandlung sechs Zyklen platinbasierte Chemotherapie. Studienergebnisse zeigen, dass der Nutzen der Chemotherapie maßgeblich vom spezifischen Karzinomsubtyp abhängt:
Eine adjuvante Chemotherapie wird generell für die meisten Stadium I-IIB-Karzinome empfohlen, entweder als Paclitaxel-Carboplatin-Kombination oder Carboplatin allein für sechs Zyklen. Der Nutzen ist jedoch unsicher und kann bei bestimmten Niedrigrisiko-Subtypen als optional betrachtet werden, einschließlich niedrigmalignes seröses Karzinom Stadium IB-IC, Klarzellkarzinom Stadium IA-IC1, niedrigmalignes endometrioides Karzinom Stadium IB-IC und spezifische muzinöse Karzinomtypen.
Für junge Patientinnen mit Kinderwunsch kann nach gründlicher Aufklärung über potenzielle Risiken eine fertilitätserhaltende Operation in Betracht gezogen werden. Patientinnen mit Stadium IA jeglichen Histotyps oder Stadium IC1-2 mit einseitigem Ovarialbefall und günstiger Histologie kommen möglicherweise für den Erhalt des nichtbetroffenen Eierstocks und der Gebärmutter in Frage.
Behandlung des fortgeschrittenen Karzinoms (Stadium III-IV)
Beim fortgeschrittenen Ovarialkarzinom zielt die Operation auf eine komplette oder optimale Zytoreduktion ab, was die Entfernung allen sichtbaren Tumors bedeutet. Dies hat sich als signifikant überlebensverlängernd erwiesen. Die Erreichung erfordert oft extensive chirurgische Eingriffe, die Darmresektionen, Zwerchfellchirurgie, Milzentfernung und Lymphknotendissektion umfassen können.
Starke Evidenz legt nahe, dass chirurgische Expertise und spezialisierte Ausbildung die Raten kompletter Tumorentfernung signifikant verbessern. Daher wird Patientinnen mit fortgeschrittener Erkrankung empfohlen, sich in spezialisierten Zentren mit erfahrenen Teams operieren zu lassen.
Der Zeitpunkt der Operation relativ zur Chemotherapie wird sorgfältig abgewogen. Der Standardansatz für Patientinnen mit Stadium III-IV ist die primäre zytoreduktive Chirurgie, wenn die Patientin körperlich in der Lage ist und eine komplette Resektion erreichbar erscheint, gefolgt von systemischer Behandlung. Für Patientinnen, bei denen eine komplette Resektion beim Ersteingriff unwahrscheinlich erscheint oder wenn extensive Chirurgie aufgrund anderer Gesundheitsprobleme nicht tolerabel ist, kann eine Chemotherapie vor der Operation verabreicht werden.
Nach der Operation wird eine systemische Chemotherapie für alle Patientinnen mit fortgeschrittenem Ovarialkarzinom empfohlen, mit Erwägung von antiangiogenetischer Therapie und Erhaltungstherapien. Die Standardchemotherapie besteht aus sechs Zyklen Paclitaxel (175 mg/m²) plus Carboplatin intravenös alle 3 Wochen.
Für Patientinnen mit Kontraindikationen gegen Paclitaxel (Allergie, Neuropathie oder Intoleranz) können Kombinationen von Carboplatin mit Docetaxel oder pegyliertem liposomalem Doxorubicin als Alternativen erwogen werden. Für gebrechlichere Patientinnen kann eine wöchentliche Chemotherapie mit niedrigeren Dosen beider Medikamente eine Option sein, die Wirksamkeit bei potenziell verbesserter Lebensqualität erhält.
Quelleninformationen
Originalartikeltitel: Neu diagnostiziertes und rezidiviertes epitheliales Ovarialkarzinom: ESMO Clinical Practice Guideline für Diagnose, Behandlung und Nachsorge
Autoren: A. González-Martín, P. Harter, A. Leary, D. Lorusso, R.E. Miller, B. Pothuri, I. Ray-Coquard, D.S.P. Tan, E. Bellet, A. Oaknin & J.A. Ledermann im Namen des ESMO Guidelines Committee
Veröffentlichung: Annals of Oncology, Volume 34, Issue 10, 2023
Hinweis: Dieser patientenfreundliche Artikel basiert auf peer-reviewter Forschung und klinischen Leitlinien der European Society for Medical Oncology.