Langzeitsicherheit von Ocrelizumab bei Multipler Sklerose: 7-Jahres-Nachbeobachtungsdaten. a45

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Diese umfassende Sicherheitsanalyse von Ocrelizumab bei Multipler Sklerose (MS) umfasste 5.680 Patienten über einen Zeitraum von bis zu sieben Jahren, was einer Gesamtexposition von 18.218 Patientenjahren entspricht. Die Studie zeigte, dass Ocrelizumab über diesen langen Zeitraum ein konsistentes Sicherheitsprofil aufwies. Die Infektionsraten (76,2 pro 100 Patientenjahre) und die Raten schwerwiegender unerwünschter Ereignisse (7,3 pro 100 Patientenjahre) blieben im Vergleich zu früheren Studienphasen stabil. Besonders bedeutsam ist, dass die Raten schwerwiegender Infektionen (2,01 pro 100 Patientenjahre) und Malignome (0,46 pro 100 Patientenjahre) im erwarteten Bereich für die MS-Population lagen, was die langfristige Sicherheit dieser Therapie bestätigt.

Langzeitsicherheit von Ocrelizumab bei Multipler Sklerose: 7-Jahres-Daten

Inhaltsverzeichnis

Einleitung: Bedeutung dieser Forschung

Ocrelizumab (OCR) ist eine wichtige Behandlungsoption sowohl für die schubförmige (RMS) als auch für die primär progrediente Multiple Sklerose (PPMS). Als Medikament, das gezielt bestimmte B-Zellen abbaut, dabei aber die Regenerationsfähigkeit des Immunsystems und den bestehenden Antikörperschutz erhält, markiert es einen bedeutenden Fortschritt in der MS-Therapie.

Frühere Kurzzeitstudien hatten Wirksamkeit und initiale Sicherheit von Ocrelizumab belegt, doch umfassende Langzeitdaten über mehrere Jahre waren bislang begrenzt. Diese Studie beantwortet eine entscheidende Frage für Patienten und Ärzte: Wie sicher ist eine langfristige Ocrelizumab-Therapie?

Für Patienten, die Ocrelizumab erwägen oder bereits anwenden, ist das Verständnis des Langzeitprofils entscheidend für informierte Therapieentscheidungen. Diese Untersuchung bietet die bislang umfassendste Sicherheitsanalyse mit Nachbeobachtungszeiten von bis zu 7 Jahren unter kontinuierlicher Behandlung.

Studiendesign und Patientenpopulation

Die Analyse kombinierte Sicherheitsdaten aus 11 klinischen Studien, einschließlich initialer kontrollierter Phasen und Open-Label-Extensions, in denen alle Teilnehmer Ocrelizumab erhielten. Es wurden Daten von 5.680 MS-Patienten integriert, die mindestens eine Dosis des Medikaments erhalten hatten.

Die Kohorte umfasste 4.376 Personen mit schubförmiger MS und 1.304 mit primär progredienter MS. Das mediane Alter bei Behandlungsbeginn lag bei 38 Jahren (RMS) bzw. 47 Jahren (PPMS), bei einer Altersspanne von 18 bis 66 Jahren. Dies spiegelt das breite Spektrum der MS-Patienten in der klinischen Praxis wider.

Die Gesamtexposition belief sich auf 18.218 Patientenjahre – eine substanzielle Datenbasis für die Sicherheitsbewertung. Über 50% der Patienten erhielten mindestens 5 Dosen, 28% mindestens 10 Dosen, was auf eine langfristige Behandlung hindeutet.

Ergänzend flossen Post-Marketing-Daten bis Juli 2020 ein: Weltweit waren etwa 174.508 Patienten mit Ocrelizumab behandelt worden, davon 167.684 nach Zulassung, was 249.971 Patientenjahre Praxis-Erfahrung entspricht.

Gesamtsicherheitsprofil

Die Analyse zeigte über den gesamten 7-Jahres-Zeitraum ein konsistentes Sicherheitsprofil. Die Rate unerwünschter Ereignisse betrug 248 pro 100 Patientenjahre (95%-KI: 246–251) und blieb im Vergleich zu früheren Studienphasen stabil.

Schwerwiegende unerwünschte Ereignisse traten mit 7,3 pro 100 Patientenjahren auf (95%-KI: 7,0–7,7), ebenfalls konsistent mit früheren Beobachtungen. Die Abbruchrate aufgrund unerwünschter Ereignisse lag bei 3,19% (181 von 5.680 Patienten) – niedriger als in den Kontrollphasen (3,35% unter Placebo, 6,17% unter Interferon beta-1a über bis zu 3 Jahre).

Häufigste Abbruchgründe:

  • Malignome (40 Fälle, mit obligatorischem Abbruch)
  • Infusionsreaktionen (33 Fälle, meist bei Erstinfusion)
  • Infektionen (27 Fälle, überwiegend nicht schwerwiegend)

Todesfälle waren selten: 26 Fälle (11 RMS, 15 PPMS) bei 5.680 Patienten über 18.218 Patientenjahre, entsprechend 0,14 pro 100 Patientenjahre (95%-KI: 0,09–0,21). Häufigste Ursachen: Suizide (7), Infektionen (4), Malignome (4), kardiale Ereignisse (3).

Detaillierte Analyse spezifischer Risiken

Infusionsreaktionen: Blieben häufige unerwünschte Ereignisse (25,9 pro 100 Patientenjahre; 95%-KI: 25,1–26,6). Die Rate nahm mit späteren Infusionen ab, was auf eine Häufung zu Behandlungsbeginn hindeutet.

Infektionen: Gesamtrate 76,2 pro 100 Patientenjahre (95%-KI: 74,9–77,4). Häufigste:

  • Nasopharyngitis (Erkältung; 13,4)
  • Harnwegsinfektionen (12,4)
  • Infektionen der oberen Atemwege (9,7)
  • Influenza (3,7)
  • Bronchitis (3,2)

Schwerwiegende Infektionen: Rate 2,01 pro 100 Patientenjahre (95%-KI: 1,81–2,23). Häufigste:

  • Harnwegsinfektionen (0,30)
  • Pneumonie (0,30)
  • Zellulitis (0,14)

Schwerwiegende Herpesinfektionen waren selten (0,03). Keine Fälle von Hepatitis-B-Reaktivierung, Kryptokokkose, Aspergillose, Listeriose, Toxoplasmose oder Zytomegalievirus.

Malignome: Gesamtrate 0,46 pro 100 Patientenjahre (95%-KI: 0,37–0,57). Entspricht epidemiologischen Erwartungen für MS-Populationen, was auf kein signifikant erhöhtes Krebsrisiko unter Ocrelizumab hindeutet.

Laborveränderungen und Monitoring

Laborparameter wurden systematisch erfasst:

Lymphozyten: Ca. 15% Abnahme der absoluten Lymphozytenzahl zwischen Baseline und Woche 12 (erwartet durch B-Zell-Depletion), danach Stabilisierung.

T-Zellen: Flow-Zytometrie zeigte ≤6% Abnahme in CD3+-Zellen bis Woche 2, vorwiegend durch Reduktion von CD8+- rather than CD4+-Zellen. Allmähliche Erholung auf Ausgangsniveau in Extensionsphasen.

Neutrophile: Meist im Normbereich. Ausgeprägte Neutropenie (ANC <1,5 × 10⁹/L) bei 4,4% unter Ocrelizumab vs. 18,2% unter Interferon beta-1a in RMS-Studien.

Immunglobuline:

  • IgM: durchschnittlich -55,8% (mittlere Reduktion 0,78 g/L)
  • IgG: durchschnittlich -0,33 g/L/Jahr (-2,99%/Jahr)
  • IgA: ähnlicher gradueller Abfall

Trotzdem blieb der Anteil mit Werten unter der Normgrenze niedrig (7,7% für IgG in Woche 312 in der OPERA-Population).

Praxis- und Post-Marketing-Daten

Bis Juli 2020 zeigten Post-Marketing-Daten von ~174.508 weltweit behandelten Patienten Konsistenz mit den Studienergebnissen. Die Letalitätsrate in der Praxis lag bei 0,28 pro 100 Patientenjahren (95%-KI: 0,26–0,31) – leicht höher als in Studien, aber erwartet bei breiterer, weniger selektierter Population.

Bis Juli 2020 keine PML-Fälle in klinischen Studien. 9 bestätigte Fälle außerhalb von Studien, davon 8 mit Vorbehandlung durch andere Immunsuppressiva ("carry-over").

Dies legt ein geringes PML-Risiko unter Ocrelizumab nahe, besonders bei nicht vorbehandelten Patienten.

Schlussfolgerungen und klinische Implikationen

Die 7-Jahres-Analyse liefert beruhigende Daten für Ocrelizumab bei MS. Kontinuierliche Behandlung über bis zu 7 Jahre in Studien und >3 Jahre in der Praxis zeigt ein günstiges, handhabbares Sicherheitsprofil.

Keine neuen Sicherheitsbedenken mit längerer Behandlungsdauer – wichtig bei chronischer MS, die Langzeittherapie erfordert. Raten schwerer Infektionen und Malignome entsprachen den Erwartungen für MS-Populationen, ohne signifikante Erhöhung durch Ocrelizumab.

Der graduelle Immunglobulinabfall erfordert fortlaufendes Monitoring, doch die klinische Relevanz bleibt unklar, da schwere Infektionen nicht entsprechend zunahmen.

Studienlimitationen

Trotz umfangreicher Daten bestehen Einschränkungen: Open-Label-Extensions und historische Kontrollen liefern Klasse-III-Evidenz, weniger robust als randomisierte kontrollierte Studien.

Studienpopulationen repräsentieren nicht vollständig die klinische Praxis, da typischerweise Patienten mit Komorbiditäten oder fortgeschrittener Erkrankung ausgeschlossen werden. Post-Marketing-Daten mildern dies, bringen aber eigene Herausforderungen bei Konsistenz und Vollständigkeit.

7 Jahre sind substanziell, doch noch längere Daten sind nötig, um das Sicherheitsprofil über Jahrzehnte zu verstehen – relevant für jüngere Patienten mit langfristiger Therapie.

Patientenempfehlungen

Basierend auf den Daten können Patienten bezüglich der Langzeitsicherheit von Ocrelizumab beruhigt sein. Wichtige Empfehlungen:

  1. Regelmäßiges Monitoring: Blutkontrollen (Lymphozyten, Neutrophile, Immunglobuline) während der Behandlung beibehalten.
  2. Infektionen melden: Jegliche Infektionszeichen umgehend dem Behandlungsteam mitteilen, angesichts des moderaten Risikos schwerer Infektionen.
  3. Prämedikation einhalten: Standard-Prämedikation vor Infusionen beibehalten, da Infusionsreaktionen mit späteren Gaben abnehmen.
  4. Krebsvorsorge: Altersgerechte Vorsorgeuntersuchungen unabhängig von der Behandlung fortsetzen.
  5. Bedenken besprechen: Langzeitbedenken mit dem neurologischen Team diskutieren, um Nutzen und Risiken individuell abzuwägen.

Ocrelizumab bleibt eine wichtige Behandlungsoption für RMS und PPMS mit konsistentem Langzeitsicherheitsprofil.

Quellenangaben

Originaltitel: Sicherheit von Ocrelizumab bei Patienten mit schubförmiger und primär progredienter Multipler Sklerose

Autoren: Stephen L. Hauser, MD, Ludwig Kappos, MD, Xavier Montalban, MD, PhD, MBA, Licinio Craveiro, MD, PhD, Cathy Chognot, PhD, Richard Hughes, MD, Harold Koendgen, MD, PhD, Noemi Pasquarelli, PhD, MSc, Ashish Pradhan, MD, Kalpesh Prajapati, MSc, MPhil, Jerry S. Wolinsky, MD

Veröffentlichung: Neurology 2021;97:e1546-e1559. doi:10.1212/WNL.0000000000012700

Hinweis: Dieser patientenfreundliche Artikel basiert auf begutachteter Forschung und stellt die Originalstudie für nicht-spezialisierte Leser verständlich dar.