Diese umfassende Übersichtsarbeit zeigt, dass trotz stagnierender Überlebensraten beim Osteosarkom seit drei Jahrzehnten, neue genetische Erkenntnisse und Immuntherapieansätze Hoffnung wecken. Patienten mit lokal begrenzter Erkrankung erreichen eine 5-Jahres-Überlebensrate von 60 %, während sie bei metastasierten Patienten auf 20 % sinkt. Die Standard-Chemotherapie MAP (Methotrexat, Doxorubicin, Cisplatin) führt bei 55 % der Patienten zu einem guten Ansprechen (≥90 % Tumornekrose), was mit einer 5-Jahres-Überlebensrate von 75 % einhergeht – im Vergleich zu 45 % bei Patienten mit schlechtem Ansprechen. Gentests offenbaren, dass etwa 25 % der Patienten krebsprädisponierende Genmutationen tragen, was neue Wege für zielgerichtete Therapien eröffnet.
Neue Horizonte in der Osteosarkom-Behandlung: Was Patienten wissen müssen
Inhaltsverzeichnis
- Einführung in das Osteosarkom
- Stadieneinteilung und Prognose
- Entwicklung der Osteosarkom-Therapie
- Behandlung von metastasierter und rezidivierender Erkrankung
- Genetik und Genomik des Osteosarkoms
- Immuntherapie beim Osteosarkom
- Klinische Implikationen für Patienten
- Studieneinschränkungen
- Patientenempfehlungen
- Quelleninformation
Einführung in das Osteosarkom
Das Osteosarkom gehört zu den ältesten bekannten Krebserkrankungen der Menschheitsgeschichte. Nachweise finden sich in einem 1,7 Millionen Jahre alten Hominiden-Fossil aus Südafrika und sogar in einem 77 Millionen Jahre alten Dinosaurier-Exemplar. Trotz dieser langen Geschichte handelt es sich heute um eine seltene Krebsart mit nur 800 bis 900 Neudiagnosen pro Jahr in den USA.
Dieser aggressive Knochentumor betrifft vor allem Kinder und junge Erwachsene zwischen 10 und 30 Jahren, wobei die Inzidenz während jugendlicher Wachstumsschübe am höchsten ist. Die häufigsten Lokalisationen sind Bereiche mit ausgeprägtem Knochenwachstum: das Knie (distaler Femur und proximale Tibia) und die Schulter (proximaler Humerus). Etwa 10 % der Fälle treten bei Menschen über 60 auf, oft in Verbindung mit Morbus Paget des Knochens, was auf einen anderen biologischen Prozess hindeuten könnte.
Stadieneinteilung und Prognose
Die meisten Patienten berichten zunächst über anhaltende Knochenschmerzen, die zu bildgebenden Untersuchungen führen, die ein Osteosarkom vermuten lassen. Die Diagnose wird durch eine Biopsie bestätigt, und die Stadieneinteilung hilft bei der Planung des chirurgischen Vorgehens und der Prognoseeinschätzung. Die beiden gängigen Stadieneinteilungssysteme sind das der Musculoskeletal Tumor Society (MSTS) und das des American Joint Committee on Cancer-International Union against Cancer (AJCC-UICC).
Etwa 10–15 % der neu diagnostizierten Patienten weisen bereits Metastasen auf, vorwiegend in der Lunge. Die Überlebensraten unterscheiden sich deutlich je nach Krankheitsausdehnung:
- Lokalisierte Erkrankung: 60 % 5-Jahres-Überlebensrate
- Metastasierte Erkrankung: 20 % 5-Jahres-Überlebensrate
Eine Studie mit 2.260 Patienten mit hochgradigem Osteosarkom identifizierte prätherapeutische Faktoren, die am stärksten mit schlechten Ergebnissen assoziiert waren: das Vorliegen von Metastasen und eine axiale Skelettlokalisation. Nach der Behandlung tragen eine unvollständige chirurgische Resektion und ein schlechtes Ansprechen auf die Chemotherapie zu einem geringeren Überleben bei.
Entwicklung der Osteosarkom-Therapie
Der Grundpfeiler der Osteosarkom-Behandlung bleibt die chirurgische Resektion des Primärtumors. Während früher radikale Amputationen Standard waren, werden heute bei 90 % der Patienten extremitätenerhaltende Verfahren eingesetzt. Diese umfassen die vollständige Tumorentfernung gefolgt von skeletaler und Weichteilrekonstruktion.
Bevor Chemotherapie verfügbar war, verstarben über 80 % der Patienten mit lokalisiertem Osteosarkom innerhalb von 2 Jahren an metastasierter Erkrankung, hauptsächlich in der Lunge. Eine wegweisende randomisierte multizentrische Studie aus dem Jahr 1982 zeigte den dramatischen Nutzen der Chemotherapie. Patienten, die nach der Operation keine Chemotherapie erhielten, hatten nur eine 17 %ige 2-Jahres-progressionsfreie Überlebensrate, verglichen mit 66 % bei denen, die eine MAP-Chemotherapie (Hochdosis-Methotrexat, Doxorubicin und Cisplatin) erhielten.
Die aktuelle Standardbehandlung für Jugendliche und junge Erwachsene mit resektablem Osteosarkom umfasst:
- Neoadjuvante (präoperative) MAP-Chemotherapie
- Chirurgische Resektion
- Zusätzliche Zyklen adjuvanter (postoperativer) Chemotherapie nach der Erholung
Bei älteren Patienten wird Hochdosis-Methotrexat oft aufgrund höherer Toxizitätsraten in dieser Altersgruppe weggelassen. Alternative Schemata, die versuchen, Doxorubicin oder Cisplatin durch Ifosfamid, Etoposid oder beide zu ersetzen, haben sich für neu diagnostizierte Patienten nicht als überlegen gegenüber MAP erwiesen.
Behandlung von metastasierter und rezidivierender Erkrankung
Patienten mit metastasierter Erkrankung erhalten denselben initialen Ansatz wie solche mit lokalisierter Erkrankung: neoadjuvante Chemotherapie gefolgt von der Resektion sowohl des Primärtumors als auch aller metastatischer Herde, sofern möglich. Die chirurgische Entfernung aller sichtbaren Erkrankungen ist mit einem verbesserten Gesamtüberleben assoziiert.
Die meisten Rezidive betreffen Lungenmetastasen und erfordern eine chirurgische Resektion. Häufige Salvage-Chemotherapie-Regime umfassen Ifosfamid und Etoposid, obwohl der Nachweis eines verbesserten Gesamtüberlebens durch systemische Therapie nach chirurgischer Resektion begrenzt bleibt. Das Gesamtüberleben bei metastasierter oder rezidivierender Erkrankung bleibt extrem schlecht, mit Langzeitüberlebensraten unter 20 %.
Genetik und Genomik des Osteosarkoms
Eine genetische Suszeptibilität für Osteosarkome ist lange bei Patienten mit Li-Fraumeni-Syndrom (TP53-Mutation) oder hereditärem Retinoblastom (RB1) bekannt. Jüngste Forschungen mit 1.244 Osteosarkom-Patienten ohne Familienanamnese zeigten, dass etwa 25 % pathogene Keimbahnmutationen in Krebsprädispositionsgenen aufwiesen.
Die häufigsten Befunde umfassten:
- TP53-Mutationen bei 4,4 % von 1.004 Patienten
- Seltene pathogene Varianten, angereichert in DNA-Reparaturgenen (BRCA1, BRCA2, BRIP1, CHEK2, RAD51, ATM, WRN und RECQL4)
- Mutationen in CDKN2A (Cyclin-abhängige Kinase-Inhibitor 2A)
Osteosarkom-Genome zeigen extreme Komplexität mit umfangreichen Kopienzahl-Anomalien und häufiger Störung von Tumorsuppressoren. Die häufigsten somatischen Mutationen betreffen TP53, wobei die Mehrheit der Tumore einen TP53-Null-Status aufweist. Mutationen in Zellzyklus-Regulatoren wie CDKN2A und RB1 sind ebenfalls häufig.
Im Gegensatz zu vielen anderen Krebsarten weist das Osteosarkom keine hochfrequenten aktivierenden Mutationen in Signalgenen auf. Stattdessen erfolgt ein funktioneller Gewinn durch Genamplifikation und Überexpression. Mehrere Kandidaten-Pfade mit targetierbaren Genen wurden identifiziert:
- PI3K-mTOR-Pfad (PIK3CA, MTOR und AKT1)
- Insulin-like growth factor (IGF)-Pfad (IGF1R)
- Vascular endothelial growth factor (VEGF)-Pfad (VEGFA und KDR)
- Platelet-derived growth factor (PDGF)-Pfad (PDGFRA)
- Zellzyklus-Pfad (CDK4, CCNE1 und CCND2)
Immuntherapie beim Osteosarkom
Die Nutzung des Immunsystems zur Behandlung des Osteosarkoms stellt einen vielversprechenden Ansatz dar, der die genomische Komplexität dieses Krebses umgehen könnte. Bisher waren die Ergebnisse jedoch gemischt.
Die Immuntherapie für Osteosarkome reicht bis ins Jahr 1891 zurück, als William Coley über Tumoransprechen unter Verwendung von hitzeinaktivierten Bakterientoxinen (Coley's Toxine) berichtete. Eine retrospektive Analyse seiner Daten deutete auf einen Nutzen für Osteosarkom-Patienten hin.
In jüngerer Zeit wurde Mifamurtid (Muramyltripeptid), ein synthetisches Derivat von Bacillus Calmette-Guérin, in einer randomisierten Phase-3-Studie getestet. Erste Berichte zeigten keinen Nutzen, aber Follow-up-Daten legten nahe, dass die Zugabe von Mifamurtid zur Chemotherapie die 6-Jahres-Gesamtüberlebensrate von 70 % auf 78 % erhöhte. Diese bescheidene Verbesserung ohne klare statistische Signifikanz führte 2007 zur Ablehnung der Zulassung durch die FDA, obwohl die Europäische Arzneimittel-Agentur sie 2009 genehmigte.
Studien zur Interferon-alfa-Immuntherapie zeigten eine 76 %ige 3-Jahres-ereignisfreie Überlebensrate, aber keinen signifikanten Unterschied zwischen den Behandlungsgruppen. Immun-Checkpoint-Inhibitoren haben eine begrenzte Aktivität gezeigt, mit objektiven Ansprechraten von 5–10 % in frühen Phasen-Studien.
CAR-T-Zell-Therapien, die spezifische Antigene targetieren, und adoptive Zelltherapien mit rekombinanten T-Zell-Rezeptoren haben einige Erfolge gezeigt, wobei ein Osteosarkom-Patient nach Behandlung mit CD4+-T-Zellen, spezifisch für Melanom-assoziiertes Antigen A3 (MAGE-A3), ein 4-monatiges objektives Ansprechen zeigte.
Klinische Implikationen für Patienten
Diese Forschung unterstreicht mehrere wichtige Implikationen für Osteosarkom-Patienten:
- Genetische Tests können bei etwa 25 % der Patienten prädisponierende Mutationen identifizieren, was die Risikobewertung für Familien und zukünftige Behandlungsansätze informieren könnte
- Die extreme genetische Komplexität des Osteosarkoms bedeutet, dass personalisierte Behandlungsansätze basierend auf individueller Tumorgenetik zunehmend wichtig werden könnten
- Neue Technologien wie patient-derived xenografts (PDX) könnten eventuell das Testen zielgerichteter Therapien an individuellen Tumoren von Patienten vor klinischer Anwendung ermöglichen
- Obwohl die Ergebnisse der Immuntherapie bisher enttäuschend waren, könnten Kombinationsansätze, die das Tumormikromilieu modifizieren, die Wirksamkeit verbessern
Studieneinschränkungen
Dieser Review anerkennt mehrere Einschränkungen in der aktuellen Osteosarkom-Forschung:
- Die Seltenheit des Osteosarkoms erschwert große klinische Studien
- Die genetische Heterogenität des Osteosarkoms kompliziert die Entwicklung zielgerichteter Therapien
- Viele vielversprechende präklinische Befunde haben sich noch nicht in klinischen Erfolg übersetzt
- Immuntherapie-Ansätze wurden durch ungünstige Tumormikromilieu-Bedingungen limitiert
- Praktische Herausforderungen bei der Implementierung personalisierter Medizinansätze bleiben, einschließlich der Gewinnung adäquater Tumorproben und der Erreichung klinisch relevanter Bearbeitungszeiten für genetische Analysen
Patientenempfehlungen
Basierend auf diesem umfassenden Review sollten Patienten mit Osteosarkom in Betracht ziehen:
- Umfassende genetische Testung anstreben: Sowohl Keimbahntestung auf vererbte Krebsprädisposition als auch Tumorgenprofilierung können wertvolle Informationen für Behandlungsentscheidungen und familiäre Risikobewertung liefern
- Alle Behandlungsoptionen besprechen: Einschließlich standardmäßiger MAP-Chemotherapie, chirurgischer Ansätze (extremitätenerhaltend, wenn möglich) und potenzieller klinischer Studienmöglichkeiten
- Spezialisierte Zentren in Betracht ziehen: Behandlung in Zentren mit Expertise im Sarkom-Management kann die Ergebnisse verbessern
- Klinische Studien erkunden: Angesichts des fehlenden Fortschritts in den Überlebensraten über Jahrzehnte kann die Teilnahme an klinischen Studien, die neue zielgerichtete Therapien oder Immuntherapien untersuchen, Zugang zu vielversprechenden neuen Ansätzen bieten
- Tumoransprechen beurteilen lassen: Der Prozentsatz der Tumornekrose nach neoadjuvanter Chemotherapie (mit ≥90 % indicating gutem Ansprechen) liefert wichtige prognostische Informationen
- Langzeitnachsorge: Regelmäßige Überwachung auf Rezidive und Management potenzieller Langzeit-Nebenwirkungen der Behandlung ist essenziell
Quelleninformation
Originalartikeltitel: New Horizons in the Treatment of Osteosarcoma
Autoren: Paul S. Meltzer, M.D., Ph.D., und Lee J. Helman, M.D.
Veröffentlichung: The New England Journal of Medicine, 25. November 2021
DOI: 10.1056/NEJMra2103423
Dieser patientenfreundliche Artikel basiert auf peer-reviewter Forschung aus The New England Journal of Medicine. Er bewahrt alle originalen Daten, Statistiken und Befunde, während komplexe medizinische Informationen in eine zugängliche Sprache für Patienten und Betreuer übersetzt werden.