Ofatumumab erzielt bei neu diagnostizierten Multipler-Sklerose-Patienten bessere Ergebnisse als Teriflunomid. a48

Can we help?

Eine umfassende Analyse zweier großer klinischer Studien belegt, dass Ofatumumab (Kesimpta) – eine monatlich subkutan verabreichte Injektion – bei kürzlich diagnostizierten Multipler-Sklerose-Patienten Teriflunomid (Aubagio), eine tägliche orale Medikation, signifikant übertrifft. Ofatumumab senkte die Rückfallraten um 50%, verzögerte das Fortschreiten der Behinderung um 46% und zeigte eine bessere Kontrolle der MRT-Läsionsaktivität bei einem beherrschbaren Sicherheitsprofil. Diese Ergebnisse sprechen eindeutig dafür, Ofatumumab als Erstlinientherapie für neu diagnostizierte MS-Patienten in Betracht zu ziehen.

Ofatumumab übertrifft Teriflunomid bei neu diagnostizierter Multipler Sklerose

Inhaltsverzeichnis

Einleitung: Warum eine frühe MS-Behandlung entscheidend ist

Multiple Sklerose (MS) ist die häufigste chronisch-entzündliche und neurodegenerative Erkrankung des Zentralnervensystems bei jungen Erwachsenen und eine Hauptursache nicht-traumatischer Behinderungen. Bei schubförmiger MS (RMS) nahm man früher an, dass die Behinderung stufenweise zunimmt – zunächst durch unvollständige Erholung nach Schüben, später durch fortschreitenden Verlauf unabhängig von Schüben.

Neue Erkenntnisse zeigen jedoch, dass sowohl Schübe mit unvollständiger Erholung als auch schubunabhängige Behinderungszunahme (PIRA) von Beginn an zur Behinderung beitragen, wenn auch in unterschiedlichem Maße. Studien deuten darauf hin, dass der neuroaxonale Verlust – Haupttreiber von Neurodegeneration und irreversibler Progression bei fortgeschrittener MS – bereits im frühen RMS-Stadium erheblich sein kann.

Jüngere RMS-Patienten zeigen typischerweise stärkere klinische und MRT-Aktivität sowie ausgeprägtere akute axonale Schäden. Neuronaler und Hirnvolumenverlust beginnen früh im Krankheitsverlauf; hohe Behinderungsgrade, viele Läsionen und geringes Hirnvolumen gehen mit einer schlechteren Prognose einher.

Die Wirksamkeit krankheitsmodifizierender Therapien (KMT) hängt vom Alter ab: Jüngere Patienten in frühen Krankheitsstadien profitieren am meisten. Daher ist eine frühzeitige Behandlung mit hochwirksamen KMT, die das Fortschreiten der Behinderung bremsen können, entscheidend – auch wenn Hürden oft den rechtzeitigen Einsatz wirksamerer Therapien erschweren.

Studiendesign: Methodik der Untersuchung

Diese Analyse wertete Daten der Phase-III-Studien ASCLEPIOS I und II aus. Es handelte sich um randomisierte, doppelblinde, aktivkontrollierte Multicenter-Studien mit identischem Design, parallel bei Patienten mit schubförmiger MS durchgeführt. Registriert bei ClinicalTrials.gov (NCT02792218 und NCT02792231).

Teilnehmer wurden im Verhältnis 1:1 randomisiert zu:

  1. Ofatumumab: 20 mg subkutan alle 4 Wochen (Start mit 20 mg an Tag 1, 7 und 14)
  2. Teriflunomid: 14 mg oral einmal täglich

Die Behandlung dauerte bis zu 30 Monate. Im Fokus stand die Subgruppe der kürzlich diagnostizierten, unbehandelten (RDTN) Teilnehmer – innerhalb von 36 Monaten vor Screening diagnostiziert und ohne vorherige KMT.

Ausgewertet wurden mehrere Endpunkte:

  • Jährliche Schubrate (ARR): Anzahl bestätigter Schübe pro Jahr
  • Bestätigte Behinderungsverschlechterung (CDW) nach 3 und 6 Monaten gemäß EDSS
  • Fortschreiten unabhängig von Schubaktivität (PIRA) nach 3 und 6 Monaten
  • MRT-Parameter: gadoliniumanreichernde T1-Läsionen, neue/vergrößerte T2-Läsionen, Hirnvolumenveränderungen
  • Keine Krankheitsaktivität (NEDA-3): keine Schübe, keine Behinderungsverschlechterung, keine MRT-Aktivität
  • Neurofilament-Leichtketten (NfL): Biomarker für Nervenschäden
  • Sicherheit: unerwünschte Ereignisse, schwere Nebenwirkungen, Abbruchraten

Studienteilnehmer: Wer mitgemacht hat

Von 1.882 Teilnehmern in den ASCLEPIOS-Studien erfüllten 615 (32,7%) die RDTN-Kriterien. Aufteilung:

  • Ofatumumab-Gruppe: 314 Patienten
  • Teriflunomid-Gruppe: 301 Patienten

RDTN-Teilnehmer waren sehr frisch diagnostiziert – median 0,35 Jahre (Ofatumumab) bzw. 0,36 Jahre (Teriflunomid) seit Diagnose, Spanne 0,1–2,9 Jahre.

Demografische und klinische Merkmale:

  • Alter: 36,8 Jahre (Ofatumumab) vs. 35,7 Jahre (Teriflunomid)
  • Geschlecht: 69,1% Frauen (Ofatumumab) vs. 64,8% Frauen (Teriflunomid)
  • MS-Typ: 99% schubförmig-remittierende MS (RRMS) in beiden Gruppen
  • EDSS-Score: 2,30 (Ofatumumab) vs. 2,28 (Teriflunomid) – leichte Behinderung
  • 44,9% (Ofatumumab) bzw. 43,2% (Teriflunomid) hatten zu Studienbeginn gadoliniumanreichernde Läsionen

Im Vergleich zur Gesamtpopulation waren RDTN-Teilnehmer jünger, mit niedrigeren Behinderungswerten und weniger T2-Läsionen.

Behandlungsdauer:

  • Median: 1,7 Jahre (Ofatumumab) vs. 1,6 Jahre (Teriflunomid)
  • 90% behandelten sich über 1 Jahr
  • Über 25% behandelten sich über 2 Jahre

Compliance war ausgezeichnet: 98,8% (Ofatumumab) und 98,9% (Teriflunomid), mit 54,5% bzw. 58,5% perfekter Einnahmetreue.

Hauptergebnisse: Detaillierte Resultate mit Zahlen

Ofatumumab zeigte signifikante Vorteile bei MS-Aktivität und -Fortschreiten.

Schubreduktion: Ofatumumab halbierte die jährliche Schubrate im Vergleich zu Teriflunomid:

  • ARR: 0,09 (Ofatumumab) vs. 0,18 (Teriflunomid)
  • Ratenverhältnis: 0,50 (95% KI: 0,33, 0,74)
  • Signifikanz: p < 0,001

Behinderungsfortschreiten: Ofatumumab verzögerte die Behinderungszunahme signifikant:

  • 3-Monats-CDW: 38% Risikoreduktion (HR: 0,62; 95% KI: 0,37, 1,03; p = 0,065)
  • 6-Monats-CDW: 46% Risikoreduktion (HR: 0,54; 95% KI: 0,30, 0,98; p = 0,044)

Über die Hälfte aller Behinderungsverschlechterungen trat ohne Schübe auf (PIRA):

  • 3mCDW: 13/24 (Ofatumumab) vs. 20/37 (Teriflunomid) waren PIRA
  • 6mCDW: 9/17 (Ofatumumab) vs. 17/30 (Teriflunomid) waren PIRA

PIRA (schubunabhängiges Fortschreiten): Bei Patienten ohne Schübe:

  • 3mPIRA: 6,6% (Ofatumumab) vs. 9,1% (Teriflunomid); HR: 0,55 (0,27, 1,11); p = 0,096
  • 6mPIRA: 3,6% (Ofatumumab) vs. 7,7% (Teriflunomid); HR: 0,44 (0,20, 1,00); p = 0,049

MRT-Ergebnisse: Ofatumumab reduzierte die MRT-Aktivität drastisch:

  • Gadoliniumanreichernde T1-Läsionen: 95% Reduktion (0,02 vs. 0,39 Läsionen pro Scan; Ratenverhältnis: 0,05; p < 0,001)
  • Neue/vergrößerte T2-Läsionen: 82% Reduktion (0,86 vs. 4,78 Läsionen pro Jahr; Ratenverhältnis: 0,18; p < 0,001)
  • Hirnvolumenverlust: Kein signifikanter Unterschied (-0,30% vs. -0,31% jährlich; p = 0,9)

Keine Krankheitsaktivität (NEDA-3): Ofatumumab erhöhte die NEDA-3-Raten signifikant:

  • Jahr 1: 47,0% vs. 24,7% (Odds Ratio: 3,31; p < 0,001)
  • Jahr 2: 92,1% vs. 46,8% (Odds Ratio: 14,68; p < 0,001)
  • Gesamt (0-24 Monate): 44,6% vs. 17,7% (Odds Ratio: 4,63; p < 0,001)

Neurofilament-Leichtkette (Biomarker): Serum-NfL-Werte (Nervenschäden) unter Ofatumumab signifikant niedriger:

  • Monat 3: 8,72 vs. 9,13 pg/mL (nicht signifikant)
  • Monat 12: 6,60 vs. 8,61 pg/mL (24% Reduktion; p < 0,001)
  • Monat 24: 6,47 vs. 8,10 pg/mL (20% Reduktion; p < 0,001)

Sicherheit: Nebenwirkungen und Verträglichkeit

Das Sicherheitsprofil bei RDTN-Teilnehmern war beherrschbar und konsistent mit der Gesamtpopulation.

Unerwünschte Ereignisse gesamt:

  • Ofatumumab: 84,7%
  • Teriflunomid: 86,0%

Häufige Nebenwirkungen (≥10%):

Für Ofatumumab:

  • Nasopharyngitis (Erkältung)
  • Systemische Injektionsreaktionen
  • Kopfschmerzen
  • Obere Atemwegsinfekte

Für Teriflunomid:

  • Nasopharyngitis
  • Haarausfall
  • Obere Atemwegsinfekte
  • Systemische Injektionsreaktionen (durch Placebo-Injektionen)
  • Kopfschmerzen
  • Müdigkeit

Schwere unerwünschte Ereignisse:

  • Ofatumumab: 22 Teilnehmer (7,0%)
  • Teriflunomid: 16 Teilnehmer (5,3%)
  • Keine Todesfälle in beiden Gruppen

Injektionsreaktionen:

  • Systemische Reaktionen: 20,1% (Ofatumumab) vs. 15,0% (Teriflunomid – Placebo-Injektionen)
  • Lokale Reaktionen: 14,0% (Ofatumumab) vs. 7,0% (Teriflunomid)
  • Nach Erstinjektion ähnliche Häufigkeit systemischer Reaktionen

Klinische Bedeutung: Was das für Patienten heißt

Diese Analyse belegt überzeugend, dass Ofatumumab bei neu diagnostizierten, unbehandelten MS-Patienten wirksamer ist als Teriflunomid. Die Halbierung der Schubrate, 46% geringere Behinderungsprogression und deutlich höhere NEDA-3-Raten zeigen erhebliche klinische Vorteile.

Für neu diagnostizierte Patienten deutet dies darauf hin, dass ein Start mit einer hochwirksamen Therapie wie Ofatumumab durch frühe Kontrolle der Krankheitsaktivität langfristig bessere Ergebnisse bringen kann. Die signifikante Reduktion schubunabhängigen Fortschreitens ist besonders relevant, da diese Behinderungszunahme oft unbemerkt verläuft.

Das beherrschbare Sicherheitsprofil und die Option der Heimapplikation ohne Vorbehandlung machen Ofatumumab zu einer praktischen Frühbehandlung. Die hohe Compliance spricht für gute Verträglichkeit.

Die drastische Reduktion von MRT-Läsionen (95% weniger gadoliniumanreichernde, 82% weniger neue T2-Läsionen) zeigt starke Unterdrückung entzündlicher Aktivität, was langfristig den Erhalt von Hirngewebe fördern könnte.

Studiengrenzen: Was nicht belegt werden konnte

Trotz wertvoller Einblicke sind einige Einschränkungen zu beachten:

Es handelte sich um eine Post-hoc-Analyse einer Subgruppe, nicht um einen primären Endpunkt. Die Ergebnisse sind explorativ, nicht definitiv.

Die Studiendauer mit median 1,7 Jahren Behandlungszeit ist relativ kurz für MS, die sich über Jahrzehnte entwickelt. Längere Nachbeobachtung ist nötig, um Langzeitauswirkungen auf die Behinderung zu verstehen.

Der Vergleich beschränkte sich auf Teriflunomid, nicht auf andere hochwirksame KMT. Es bleibt offen, wie Ofatumumab gegenüber allen Erstlinientherapien abschneidet.

Klinische und MRT-Daten wurden erfasst, nicht jedoch patientenberichtete Endpunkte oder Lebensqualität – wichtige Aspekte aus Patientensicht.

Schließlich sind die Ergebnisse der RDTN-Subgruppe möglicherweise nicht auf alle MS-Patienten übertragbar, besonders nicht auf solche mit längerer Krankheitsdauer oder Vorerfahrung mit Therapien.

Empfehlungen: Handlungsoptionen für Patienten

Basierend auf diesen Ergebnissen sollten neu diagnostizierte MS-Patienten folgendes bedenken:

Frühzeitige hochwirksame Behandlung ansprechen: Besprechen Sie mit Ihrem Neurologen die Vorteile eines Starts mit einer hochwirksamen Therapie wie Ofatumumab statt eines Eskalationsansatzes. Die Evidenz legt nahe, dass dies die Krankheitsaktivität von Anfang an besser kontrollieren kann.

Behandlungsoptionen vergleichen: Informieren Sie sich über Verabreichungsarten – Ofatumumab als monatliche subkutane Injektion für zu Hause, Teriflunomid als tägliche Tablette. Wählen Sie, was am besten zu Ihrem Leben passt.

Nebenwirkungen im Blick behalten: Seien Sie sich möglicher Nebenwirkungen bewusst: Ofatumumab kann anfangs Injektionsreaktionen verursachen, Teriflunomid Haarausfall. Teilen Sie Bedenken Ihrem Behandlungsteam mit.

Regelmäßige Kontrollen wahrnehmen: Halten Sie sich an empfohlene Nachsorgetermine und MRT-Untersuchungen. Frühes Erkennen von Krankheitsaktivität ermöglicht rechtzeitige Therapieanpassungen.

Gemeinsam entscheiden: Arbeiten Sie mit Ihrem Behandlungsteam zusammen, um Therapieentscheidungen zu treffen, die zu Ihren Zielen, Werten und Ihrer Lebensweise passen – unter Berücksichtigung der neuesten Erkenntnisse zu Wirksamkeit und Sicherheit.

Quellenangaben

Originaltitel: "Efficacy and safety of ofatumumab in recently diagnosed, treatment-naive patients with multiple sclerosis: Results from ASCLEPIOS I and II"

Autoren: Jutta Gärtner, Stephen L Hauser, Amit Bar-Or, Xavier Montalban, Jeffrey A Cohen, Anne H Cross, Kumaran Deiva, Habib Ganjgahi, Dieter A Häring, Bingbing Li, Ratnakar Pingili, Krishnan Ramanathan, Wendy Su, Roman Willi, Bernd Kieseier, Ludwig Kappos

Veröffentlichung: Multiple Sclerosis Journal, 2022, Vol. 28(10) 1562–1575

Hinweis: Dieser patientenfreundliche Artikel basiert auf begutachteter Forschung der ASCLEPIOS I- und II-Studien, registriert bei ClinicalTrials.gov (NCT02792218 und NCT02792231).