In zwei umfangreichen klinischen Studien mit fast 1.900 Patienten mit schubförmiger Multipler Sklerose erzielte die subkutane Gabe von Ofatumumab deutlich bessere Ergebnisse als die orale Einnahme von Teriflunomid. Unter Ofatumumab traten etwa halb so viele jährliche Schübe auf (0,10–0,11 vs. 0,22–0,25), das Risiko für eine Behinderungsprogression verringerte sich um 32–34 %, und in MRT-Untersuchungen zeigten sich deutlich weniger Hirnläsionen. Beide Therapien wiesen ein gutes Sicherheitsprofil auf, allerdings kam es unter Ofatumumab etwas häufiger zu injektionsbedingten Reaktionen (20,2 % vs. 15,0 %), während die Infektionsraten vergleichbar waren.
Ofatumumab vs. Teriflunomid: Vergleich zweier Therapien bei Multipler Sklerose
Inhaltsverzeichnis
- Hintergrund: Verständnis der Behandlungsoptionen bei MS
- Studiendesign: Durchführung der Untersuchung
- Patientencharakteristika: Studienteilnehmer
- Hauptergebnisse: Detaillierte Resultate beider Studien
- Sicherheitsprofil: Nebenwirkungen und unerwünschte Ereignisse
- Schlussfolgerungen: Bedeutung der Ergebnisse für Patienten
- Studienlimitationen: Nicht beantwortete Fragen
- Patientenempfehlungen: Therapieoptionen abwägen
- Quellenangaben
Hintergrund: Verständnis der Behandlungsoptionen bei MS
Multiple Sklerose ist eine komplexe neurologische Erkrankung, bei der das Immunsystem fälschlicherweise die Schutzschicht der Nervenfasern angreift. Studien zeigen, dass B-Zellen, eine bestimmte Art von Immunzellen, dabei eine Schlüsselrolle spielen. Ofatumumab ist ein subkutan (unter die Haut) verabreichter Wirkstoff, der gezielt B-Zellen bindet und abbaut. Es handelt sich um einen vollständig humanen Antikörper, der sich spezifisch an CD20-Rezeptoren auf B-Zellen anlagert und sich dadurch von ähnlichen Medikamenten unterscheidet.
Teriflunomid wird einmal täglich oral eingenommen und wirkt über einen anderen Mechanismus: Es hemmt die Pyrimidinsynthese und reduziert so die Aktivierung von T- und B-Zellen. Beide Medikamente sind für die Behandlung der schubförmigen Multiplen Sklerose zugelassen, doch ihre Wirksamkeit wurde bis zu dieser Studie nicht direkt in großen klinischen Studien verglichen.
Frühere Untersuchungen deuteten an, dass Teriflunomid eine ähnliche Wirksamkeit wie ältere injizierbare Präparate (z. B. Interferone und Glatirameracetat) aufweist, jedoch möglicherweise weniger effektiv ist als neuere orale Therapien oder monoklonale Antikörper. Diese Studie zielte darauf ab, klare Vergleichsdaten zu liefern, um Patienten und Ärzten fundiertere Therapieentscheidungen zu ermöglichen.
Studiendesign: Durchführung der Untersuchung
Die ASCLEPIOS-I- und -II-Studien waren zwei identische Phase-3-Studien, die parallel an mehreren Zentren weltweit durchgeführt wurden. Es handelte sich um doppelblinde Studien, bei denen weder Patienten noch Forscher wussten, wer welches Medikament erhielt. Um die Verblindung aufrechtzuerhalten, erhielten alle Patienten sowohl Wirkstoff- als auch Placebopräparate.
Die Teilnehmer wurden nach dem Zufallsprinzip einer der folgenden Gruppen zugeteilt:
- Subkutanes Ofatumumab (20 mg alle 4 Wochen nach Aufsättigungsdosen an Tag 1, 7 und 14) plus orales Placebo
- Orale Einnahme von Teriflunomid (14 mg täglich) plus subkutane Placeboinjektionen
Die Behandlungsdauer betrug bis zu 30 Monate, mit einer medianen Nachbeobachtungszeit von 1,6 Jahren. Nach dem ersten Monat unter Aufsicht lernten die Patienten, die subkutanen Injektionen selbst zu verabreichen. Die Studien waren darauf ausgelegt, einen Unterschied von 40 % in den jährlichen Schubraten zwischen den Behandlungen mit einer statistischen Power von über 90 % zu erkennen.
Gemessen wurden mehrere Endpunkte:
- Jährliche Schubrate (Anzahl bestätigter MS-Schübe pro Jahr)
- Bestätigte Behinderungsprogression nach 3 und 6 Monaten
- Bestätigte Besserung der Behinderung nach 6 Monaten
- MRT-Messungen von Hirnläsionen und Volumenveränderungen
- Blutspiegel von Neurofilament-Leichtketten (ein Biomarker für Nervenschäden)
- Sicherheits- und Nebenwirkungsprofile
Patientencharakteristika: Studienteilnehmer
Insgesamt nahmen 1.882 Patienten teil – 946 erhielten Ofatumumab, 936 Teriflunomid. Die Teilnehmer waren zwischen 18 und 55 Jahre alt und litten an schubförmigen Formen der Multiplen Sklerose, einschließlich schubförmig-remittierender MS und sekundär-progredienter MS mit anhaltender Krankheitsaktivität.
Wichtige Merkmale zu Studienbeginn:
- Durchschnittsalter: 37,8–38,9 Jahre in den Behandlungsgruppen
- Etwa 68 % waren Frauen
- 94 % hatten schubförmig-remittierende MS, 6 % sekundär-progrediente MS mit Aktivität
- Durchschnittliche Krankheitsdauer seit Symptombeginn: 8,2–8,4 Jahre
- Durchschnittliche Zeit seit Diagnose: 5,5–5,8 Jahre
- Etwa 40 % hatten zuvor keine krankheitsmodifizierende Therapie erhalten
- Durchschnittlicher EDSS-Score (Expanded Disability Status Scale): 2,86–2,97 (mittelschwere Behinderung)
Im Jahr vor Studieneintritt hatten die Patienten durchschnittlich 1,2–1,3 Schübe erlebt. Etwa 60 % wiesen in den Ausgangs-MRT-Aufnahmen keine gadoliniumverstärkenden Läsionen auf, was auf unterschiedliche Krankheitsaktivitätsgrade hindeutet.
Hauptergebnisse: Detaillierte Resultate beider Studien
Die Ergebnisse zeigten durchweg bessere Outcomes für Ofatumumab in beiden Studien und über alle Messgrößen hinweg. Der primäre Endpunkt, die jährliche Schubrate, wies deutliche Unterschiede zwischen den Behandlungen auf.
In der ASCLEPIOS-I-Studie:
- Ofatumumab-Gruppe: 0,11 Schübe pro Jahr
- Teriflunomid-Gruppe: 0,22 Schübe pro Jahr
- Differenz: -0,11 (95 %-KI: -0,16 bis -0,06)
- Statistische Signifikanz: P<0,001 (hochsignifikant)
In der ASCLEPIOS-II-Studie:
- Ofatumumab-Gruppe: 0,10 Schübe pro Jahr
- Teriflunomid-Gruppe: 0,25 Schübe pro Jahr
- Differenz: -0,15 (95 %-KI: -0,20 bis -0,09)
- Statistische Signifikanz: P<0,001 (hochsignifikant)
In der kombinierten Auswertung beider Studien zeigte Ofatumumab auch Vorteile bei den Behinderungsendpunkten:
- Bestätigte Verschlechterung der Behinderung nach 3 Monaten: 10,9 % unter Ofatumumab vs. 15,0 % unter Teriflunomid (Hazard Ratio 0,66, P=0,002)
- Bestätigte Verschlechterung der Behinderung nach 6 Monaten: 8,1 % unter Ofatumumab vs. 12,0 % unter Teriflunomid (Hazard Ratio 0,68, P=0,01)
- Bestätigte Besserung der Behinderung nach 6 Monaten: 11,0 % unter Ofatumumab vs. 8,1 % unter Teriflunomid (Hazard Ratio 1,35, P=0,09)
Die MRT-Ergebnisse bestätigten die Überlegenheit von Ofatumumab:
- Anzahl gadoliniumverstärkender Läsionen pro Scan: 0,03–0,05 unter Ofatumumab vs. 0,24–0,51 unter Teriflunomid (Ratenverhältnisse 0,10–0,11, P<0,001)
- Jährliche Rate neuer oder vergrößerter T2-Läsionen: 0,72–1,41 unter Ofatumumab vs. 4,00–5,01 unter Teriflunomid (Ratenverhältnisse 0,18–0,28, P<0,001)
- Serumspiegel von Neurofilament-Leichtketten (ein Biomarker für Nervenschäden) waren ab Monat 3 unter Ofatumumab signifikant niedriger
- Hirnvolumenveränderungen zeigten keinen signifikanten Unterschied zwischen den Behandlungen
Sicherheitsprofil: Nebenwirkungen und unerwünschte Ereignisse
Beide Behandlungen wiesen insgesamt günstige Sicherheitsprofile auf, mit einigen Unterschieden bei spezifischen Nebenwirkungen. Am auffälligsten waren die häufigeren injektionsbedingten Reaktionen unter Ofatumumab.
Wichtige Sicherheitsbefunde:
- Injektionsbedingte Reaktionen: 20,2 % unter Ofatumumab vs. 15,0 % unter Teriflunomid (Placeboinjektionen)
- Schwere Infektionen: 2,5 % unter Ofatumumab vs. 1,8 % unter Teriflunomid
- Für keine der Behandlungen traten unerwartete Sicherheitssignale auf
- Das Sicherheitsprofil entsprach den bisherigen Kenntnissen über diese Medikamente
Die ähnlichen Raten schwerer Infektionen sind bemerkenswert, da B-Zell-depletierende Therapien wie Ofatumumab eigentlich ein höheres Infektionsrisiko erwarten lassen. Die vergleichbaren Infektionsraten deuten darauf hin, dass der gezielte Mechanismus von Ofatumumab Wirksamkeit bietet, ohne die Infektionsabwehr übermäßig zu beeinträchtigen.
Schlussfolgerungen: Bedeutung der Ergebnisse für Patienten
Dieser direkte Vergleich liefert starke Evidenz dafür, dass Ofatumumab in mehreren wichtigen Bereichen der Krankheitsaktivität wirksamer ist als Teriflunomid. Die etwa 50 %ige Reduktion der jährlichen Schubraten stellt einen klinisch relevanten Unterschied dar, der die Lebensqualität der Patienten erheblich verbessern könnte.
Die Behinderungsendpunkte sind besonders bedeutsam, da die Verhinderung langfristiger Behinderungszunahme ein Hauptziel der MS-Behandlung ist. Die 32–34 %ige Risikoreduktion für Behinderungsprogression unter Ofatumumab legt nahe, dass diese Behandlung einen besseren langfristigen Schutz vor dauerhaften neurologischen Schäden bieten könnte.
Die MRT-Ergebnisse untermauern die klinischen Befunde biologisch und zeigen eine deutlich reduzierte entzündliche Aktivität und Läsionsbildung in der Ofatumumab-Gruppe. Die Reduktion der Neurofilament-Leichtketten-Spiegel unterstützt weiterhin, dass Ofatumumab den zugrundeliegenden Nervenschädigungsprozess bei MS wirksamer hemmt.
Studienlimitationen: Nicht beantwortete Fragen
Obwohl diese Studien wertvolle Vergleichsdaten liefern, sind einige Einschränkungen zu beachten. Die Nachbeobachtungszeit von etwa 1,6 Jahren ist relativ kurz für eine chronische Erkrankung wie MS, die sich über Jahrzehnte entwickelt. Langzeitdaten wären nötig, um die Langzeitwirkung beider Behandlungen besser zu verstehen.
Die Studien schlossen Patienten mit bestimmten Begleiterkrankungen und spezifischen Vorbehandlungen aus, sodass die Ergebnisse möglicherweise nicht auf alle MS-Patienten in der klinischen Praxis übertragbar sind. Zudem bestand die Studienpopulation überwiegend aus Patienten mit schubförmig-remittierender MS, sodass die Ergebnisse weniger auf progrediente Verlaufsformen ohne Schubaktivität anwendbar sein mögen.
Das doppelblinde Design bedeutete, dass alle Patienten sowohl Injektionen als auch Tabletten erhielten, was die Übertragbarkeit auf reale Behandlungssituationen beeinflussen könnte, in denen Patienten typischerweise nur eine Darreichungsform erhalten. Patientenpräferenzen für Injektions- versus Oraltherapie wurden nicht erfasst.
Patientenempfehlungen: Therapieoptionen abwägen
Basierend auf diesen Ergebnissen sollten Patienten und Ärzte mehrere Faktoren bei der Wahl zwischen diesen Behandlungen berücksichtigen:
- Wirksamkeitsprioritäten: Wenn maximale Schubreduktion und Behinderungsschutz im Vordergrund stehen, zeigte Ofatumumab überlegene Effektivität
- Verabreichungspräferenzen: Ofatumumab erfordert monatliche subkutane Injektionen nach initialen Aufsättigungsdosen, Teriflunomid eine tägliche orale Einnahme
- Nebenwirkungsprofil: Ofatumumab wies höhere Raten an Injektionsreaktionen auf, während beide ähnliche Infektionsrisiken hatten
- Individuelle Risikofaktoren: Persönliche Krankengeschichte und spezifische Bedenken sollten die gemeinsame Entscheidungsfindung mit dem Neurologen leiten
- Kostenerstattung: Praktische Erwägungen wie Versicherungszulassung und Selbstbeteiligungskosten können die Therapiewahl beeinflussen
Diese Ergebnisse liefern die höchste verfügbare Evidenzqualität für den Vergleich dieser beiden Therapieansätze. Patienten, die derzeit Teriflunomid einnehmen und weiterhin Krankheitsaktivität aufweisen, könnten mit ihren Ärzten besprechen, ob ein Wechsel zu Ofatumumab oder einer anderen hochwirksamen Therapie eine bessere Krankheitskontrolle bieten könnte.
Quellenangaben
Originalartikeltitel: Ofatumumab versus Teriflunomide in Multiple Sclerosis
Autoren: S.L. Hauser, A. Bar-Or, J.A. Cohen, G. Comi, J. Correale, P.K. Coyle, A.H. Cross, J. de Seze, D. Leppert, X. Montalban, K. Selmaj, H. Wiendl, C. Kerloeguen, R. Willi, B. Li, A. Kakarieka, D. Tomic, A. Goodyear, R. Pingili, D.A. Häring, K. Ramanathan, M. Merschhemke, und L. Kappos, für die ASCLEPIOS-I- und ASCLEPIOS-II-Studiengruppen
Veröffentlichung: New England Journal of Medicine 2020;383:546-57
DOI: 10.1056/NEJMoa1917246
Dieser patientenfreundliche Artikel basiert auf begutachteter Forschung aus einem bedeutenden medizinischen Fachjournal. Er bewahrt alle ursprünglichen Daten und Erkenntnisse, während die Informationen für Patienten und Betreuungspersonen zugänglich gemacht werden.