Diese Übersichtsstudie mit 285 Patientinnen aus fünf führenden europäischen Kinderwunschzentren zeigt, dass die Eierstockgewebstransplantation bei etwa einem Viertel der Frauen erfolgreich die Fruchtbarkeit wiederherstellt – mit 95 gesunden Geburten als Ergebnis. Das Verfahren erweist sich auch nach Chemotherapie als wirksam, allerdings sinken die Erfolgsraten nach einer Beckenbestrahlung deutlich. Obwohl eine spontane Schwangerschaft bessere Ergebnisse liefert als eine In-vitro-Fertilisation (IVF), birgt die Methode großes Potenzial für junge Krebspatientinnen, die ihre Fruchtbarkeit erhalten möchten.
Ovarialgewebetransplantation: Ein umfassender Leitfaden für Patientinnen
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung: Fertilitätserhalt gegen die Uhr
- Studiendesign und Methodik
- Patientenprofile: Wer kommt für den Eingriff infrage?
- Transplantationsmethoden und Erfolgsraten
- Spontane Konzeption versus IVF-Ergebnisse
- Auswirkungen der Beckenbestrahlung
- Einfluss der Chemotherapie auf den Erfolg
- Sicherheit: Geringes Risiko für Krebsrückfall
- Klinische Bedeutung für Patientinnen
- Studienlimitationen und Forschungsausblick
- Empfehlungen für Patientinnen
- Quellenangabe
Einleitung: Fertilitätserhalt gegen die Uhr
Für Frauen, deren Fruchtbarkeit durch eine notwendige Krebstherapie gefährdet ist, bietet die Kryokonservierung und spätere Transplantation von Eierstockgewebe eine vielversprechende Option, um später möglicherweise Kinder zu bekommen. Bei diesem Verfahren wird vor einer Chemo- oder Strahlentherapie Gewebe entnommen und eingefroren, um es nach Abschluss der Behandlung wieder einzupflanzen, sobald der Kinderwunsch besteht.
Während in den fünf beteiligten europäischen Zentren über 7.800 Frauen Ovarialgewebe einfrieren ließen, wurde bisher nur bei einem Teil davon tatsächlich transplantiert. Diese Übersichtsarbeit fasst die Daten von 285 Frauen zusammen, die sich einer Transplantation unterzogen haben, und bietet damit die bislang umfassendste Einschätzung, was Patientinnen von dieser innovativen Methode erwarten können.
Im Fokus stehen zentrale Fragen: Welche Operationstechniken sind am erfolgreichsten? Wie sind die Chancen auf natürliche Schwangerschaften im Vergleich zur künstlichen Befruchtung? Welche Rolle spielen Chemotherapie und Bestrahlung? Und vor allem: Wie hoch ist das Risiko, dass der Krebs durch das transplantierte Gewebe zurückkehrt?
Studiendesign und Methodik
Forschende aus fünf führenden europäischen Zentren für Fertilitätserhalt haben ihre umfangreichen Erfahrungen mit der Ovarialgewebetransplantation zusammengeführt. Beteiligt waren Teams aus Dänemark (62 Patientinnen), Spanien (53), Belgien (29), Frankreich (53) sowie dem FertiPROTEKT-Netzwerk in Deutschland, Österreich und der Schweiz (88 Patientinnen).
Ausgewertet wurden sämtliche verfügbaren Daten zu Patientinnenmerkmalen, Kryo- und Transplantationsverfahren sowie – besonders wichtig – zu Schwangerschafts- und Geburtsraten. Zusätzlich wurden alle relevanten Fachpublikationen zum Thema gesichtet, um den aktuellen Wissensstand abzubilden.
Dank dieser Kooperation konnte eine deutlich größere Fallzahl analysiert werden, als es jedem Zentrum allein möglich gewesen wäre. So ließen sich verlässlichere Aussagen zu Erfolgsquoten, Komplikationen und Einflussfaktoren treffen. Berücksichtigt wurden unter anderem Krebsart, Vorbehandlungen, Alter bei Kryokonservierung und Transplantation sowie spätere Fruchtbarkeitsergebnisse.
Patientenprofile: Wer kommt für den Eingriff infrage?
Die 285 Frauen der Studie bildeten eine heterogene Gruppe, die ihre Fruchtbarkeit vor unterschiedlichen medizinischen Risiken bewahren wollte. Die große Mehrheit (88,7%) litt an Krebserkrankungen, während 11,3% nicht-bösartige, aber die Fruchtbarkeit gefährdende Erkrankungen hatten.
Unter den Krebspatientinnen waren die häufigsten Diagnosen:
- Blutkrebs (37,2%): Morbus Hodgkin (24,6%), Non-Hodgkin-Lymphom (11,2%) und Leukämie (1,4%)
- Brustkrebs (33,3%)
- Verschiedene andere Krebsarten wie gastrointestinale Tumore, Gebärmutterhalskrebs, Borderline-Eierstocktumoren und Ewing-Sarkom
Bei den nicht-malignen Erkrankungen dominierten Hämoglobinopathien (3,1%), Autoimmunerkrankungen (3,1%) und aplastische Anämie (1,7%). Das Durchschnittsalter betrug 29,3 Jahre bei der Kryokonservierung und 34,6 Jahre bei der ersten Transplantation.
Die meisten Frauen (81,2%) hatten zum Zeitpunkt der Transplantation bereits eine vorzeitige Menopause, während 18,8% zwar noch unregelmäßige Blutungen, aber bereits Zeichen eingeschränkter Fruchtbarkeit zeigten – oft nach gescheiterten IVF-Versuchen. 59 Frauen erhielten eine zweite, 7 sogar eine dritte Transplantation, was auf mögliche Mehrfachversuche hindeutet.
Transplantationsmethoden und Erfolgsraten
Verglichen wurden verschiedene chirurgische Methoden zur Rückverpflanzung des kryokonservierten Gewebes. Bei der überwiegenden Mehrheit (97,5%) erfolgte eine orthotope Transplantation – das Gewebe wurde also im Beckenbereich positioniert, wo normalerweise die Eierstöcke liegen. Nur 5 Frauen erhielten ausschließlich eine heterotope Transplantation (außerhalb des Beckens, z.B. am Unterarm oder in der Bauchwand), 3 wurden kombiniert behandelt.
Bei den orthotopen Verfahren kamen folgende Techniken zum Einsatz:
- 16,7%: Transplantation auf die freigelegte Markregion dekortizierter Eierstöcke
- 62,7%: Transplantation in ein neu angelegtes Bauchfellfenster
- 20,4%: Kombination aus beiden Methoden
Die Geburtenraten waren bei diesen orthotopen Verfahren vergleichbar: 30,5% bei Eierstock-Transplantation, 34,8% beim Bauchfellfenster und 34% bei der Kombination. Entscheidend: Bei heterotoper Transplantation kam es zu keinen erfolgreichen Schwangerschaften – ein klares Indiz für die Überlegenheit der orthotopen Platzierung.
Insgesamt brachten 26% der 285 Frauen ein oder mehrere gesunde Kinder zur Welt – insgesamt 95 Neugeborene. Acht Frauen bekamen auf diese Weise mehr als ein Kind. Die Erfolgsrate war bei Frauen mit Restfunktion der Eierstöcke (30,6%) etwas höher als bei vollständigem Funktionsverlust (25,4%), der Unterschied war jedoch nicht signifikant.
Spontane Konzeption versus IVF-Ergebnisse
Die Studie zeigt deutliche Unterschiede zwischen natürlicher und künstlicher Befruchtung nach Gewebetransplantation. Zwar waren die Befruchtungsraten ähnlich (40% natürlich vs. 36% IVF), aber die Geburtenraten lagen bei spontaner Konzeption höher (30% vs. 21%) bei geringerer Fehlgeburtenrate (10% vs. 18%).
Erfolgreich schwanger gewordene Frauen waren bei der Kryokonservierung signifikant jünger – im Schnitt 26,9 versus 29,8 Jahre. Besonders ausgeprägt war dieser Altersunterschied in der IVF-Gruppe, wo die Obergrenze für eine erfolgreiche Geburt bei 33 Jahren zum Einfrierzeitpunkt lag.
Die IVF-Ergebnisse offenbarten mehrere Herausforderungen:
- Trotz wiederholter Stimulationsversuche kam nur bei 50% der IVF-Patientinnen tatsächlich ein Embryotransfer zustande
- 31% der gewonnenen Follikel enthielten keine Eizelle
- Nur 32% der entnommenen Eizellen entwickelten sich zu übertragbaren Embryonen
- 37% der Schwangerschaften nach Embryotransfer endeten in einer Fehlgeburt
Diese Zahlen spiegeln die stark reduzierte Eizellreserve nach Transplantation wider. Selbst im Idealfall dürften Patientinnen nur 5–8% ihrer ursprünglichen Eierstockfunktion zurückerhalten. Dies erklärt, warum sie von vornherein als "Poor Responder" auf Fertilitätsbehandlungen gelten.
Auswirkungen der Beckenbestrahlung
Eine Beckenbestrahlung wirkt sich dramatisch auf den Transplantationserfolg aus. Unter den 36 Frauen (12,6%), die vor der Transplantation bestrahlt worden waren, variierte der Erfolg stark in Abhängigkeit von Strahlendosis und Krebsart.
Frauen mit Anal- oder Gebärmutterhalskrebs (15 Patientinnen), die通常 Hochdosisbestrahlungen erhalten, hatten keine erfolgreichen Geburten. Bei Darmkrebspatientinnen (8 Frauen) mit geringerer Strahlenbelastung lag die Erfolgsrate bei 12,5%. Am besten schnitten systemisch erkrankte Frauen (Lymphom/Leukämie) ab, die eine Ganzkörperbestrahlung mit niedrigerer Beckendosis erhalten hatten – hier betrug die Erfolgsquote 50%.
Gründe für den verminderten Erfolg nach Hochdosisbestrahlung:
- Vernarbungen (Fibrosen) im Beckenbereich, die die Durchblutung der Transplantate beeinträchtigen
- Mögliche Schädigung der Gebärmutter, die deren Eignung als Einnistungsort mindert
- Allgemeine Gewebeschäden in der Beckenregion
Forschungsergebnisse zeigen, dass Strahlendosen über 2,5 Gy im Becken-/Bauchbereich das Risiko für Frühgeburten und niedriges Geburtsgewicht erhöhen. Bei Uterusdosen über 5 Gy steigen die Risiken deutlich – um das 6,8-Fache für niedriges Geburtsgewicht und das 3,5-Fache für Frühgeburten.
Einfluss der Chemotherapie auf den Erfolg
Im Gegensatz zur Bestrahlung beeinträchtigt eine vor der Kryokonservierung durchgeführte Chemotherapie den Transplantationserfolg nicht zwangsläufig – abhängig von Wirkstoffen und Gesamtdosis. Die Studie fand, dass eine vorausgehende Chemotherapie erfolgreiche Schwangerschaften nicht verhinderte.
Bestimmte Chemotherapeutika schädigen die Eierstöcke stärker als andere. Alkylanzien, insbesondere Cyclophosphamid, schädigen ruhende Follikel in dosisabhängiger Weise. Höhere kumulative Dosen führen zwar zu mehr Schaden, aber das die Kryokonservierung überlebende Gewebe kann dennoch funktionieren.
Betont wird die Bedeutung einer sorgfältigen Patientinnenauswahl. Ideale Kandidatinnen sind Frauen unter 35 (noch gute Eizellreserve), mit mindestens 50% Risiko für vorzeitige Menopause durch die Behandlung und realistischer Chance auf 5-Jahres-Überleben ihrer Grunderkrankung.
Sicherheit: Geringes Risiko für Krebsrückfall
Ein zentrales Ergebnis für Patientinnen ist das sehr geringe Risiko, dass der Krebs durch das rückverpflanzte Gewebe zurückkehrt. Nach aktuellen Daten scheint dieses Risiko minimal – eine wichtige Beruhigung für Frauen, die den Eingriff erwägen.
Bemerkenswert ist diese Sicherheitsbilanz angesichts des hohen Anteils von Blutkrebspatientinnen (37,2%), bei denen theoretisch Krebszellen im Eierstockgewebe vorhanden sein könnten. Die strengen Screening- und Sicherheitsprotokolle der Zentren haben dieses Risiko offenbar effektiv minimiert.
Das exzellente Sicherheitsprofil macht die Methode sogar für Blutkrebspatientinnen praktikabel, die früher von Gewebetransplantationen ausgeschlossen worden wären.
Klinische Bedeutung für Patientinnen
Die große gemeinsame Studie liefert mehrere wichtige Erkenntnisse für Frauen mit Kinderwunsch nach Krebstherapie:
Erstens hat sich die Ovarialgewebetransplantation in führenden Zentren von experimentell zu etablierter Praxis mit vorhersagbaren Erfolgsraten entwickelt. Die Gesamtgeburtenrate von 26% bedeutet eine substantielle Chance für Frauen, die sonst keine biologischen Kinder bekommen könnten.
Zweitens stellt das Verfahren bei fast allen Frauen die Eierstockfunktion wieder her – die Hormonproduktion setzt通常 binnen 4–5 Monaten wieder ein. Damit kehren natürliche Zyklen zurück, was sowohl Fruchtbarkeit als auch hormonelle Gesundheit bedeutet.
Drittens führt spontane Konzeption zu besseren Ergebnissen als IVF. Patientinnen sollten daher zunächst Zeit für natürliche Versuche einplanen, bevor sie Fertilitätsbehandlungen in Anspruch nehmen. Die natürliche Selektion scheint bei der Identifikation lebensfähiger Eizellen in dieser Gruppe effektiver zu sein als aktuelle IVF-Protokolle.
Schließlich ist das Verfahren hinsichtlich Krebsrückfallrisiko bemerkenswert sicher – selbst für Blutkrebspatientinnen mit theoretischem Restrisiko.
Studienlimitationen und Forschungsausblick
Trotz der bislang größten gepoolten Erfahrung weist die Studie einige Einschränkungen auf. Die Daten stammen aus fünf hochspezialisierten europäischen Zentren – Ergebnisse könnten in weniger erfahrenen Einrichtungen anders ausfallen.
Zudem repräsentieren die Daten frühe Erfahrungen mit der Technik. Mit verbesserten Methoden dürften die Erfolgsraten über die aktuellen 26% steigen. Laufende Forschung konzentriert sich auf besseres Überleben der Follikel während Kryo- und Transplantation.
Langzeitdaten zu den geborenen Kindern sind noch begrenzt, obwohl bei den 95 Kindern der Studie bislang keine Auffälligkeiten berichtet wurden. Weitere Nachbeobachtung ist wichtig.
Zukünftige Forschung sollte die unbefriedigenden IVF-Ergebnisse addressieren. Denkbar sind angepasste Stimulationsprotokolle, optimiertes Timing der Eizellentnahme und bessere Unterstützung der Gelbkörperfunktion.
Empfehlungen für Patientinnen
Basierend auf dieser Übersicht sollten Frauen, die eine Ovarialgewebetransplantation erwägen:
- Gewebe möglichst jung einfrieren lassen – die Erfolgsraten sinken ab 35 deutlich, nach 40 sind kaum noch Erfolge zu erwarten
- Auswirkungen einer Beckenbestrahlung bedenken – bei geplanter Hochdosistherapie sind die Chancen stark reduziert, wenn auch nicht ausgeschlossen
- Zuerst natürliche Konzeption versuchen – spontane Schwangerschaften bringen bessere Ergebnisse als IVF
- Mit möglichen Mehrfachtransplantationen rechnen – oft sind mehrere Anläufe nötig
- Erfahrene Zentren wählen – die Erfolgsraten variieren je nach Erfahrung erheblich
Patientinnen sollten wissen, dass das Verfahren die Fruchtbarkeit wiederherstellt, aber nicht die natürliche reproduktive Lebensspanne verlängert. Mit 30 eingefrorenes Gewebe entspricht bei Transplantation der Eizellreserve einer 30-Jährigen – altersbedingte Risiken bei späterem Kinderwunsch bleiben bestehen.
Quellenangabe
Originaltitel: Transplantation of cryopreserved ovarian tissue in a series of 285 women: a review of five leading European centers
Autoren: Marie-Madeleine Dolmans, Michael von Wolff, Catherine Poirot, Cesar Diaz-Garcia, Luciana Cacciottola, Nicolas Boissel, Jana Liebenthron, Antonio Pellicer, Jacques Donnez, Claus Yding Andersen
Veröffentlichung: Fertility and Sterility, Volume 115, Issue 5, Mai 2021, Seiten 1102-1115
Hinweis: Dieser patientenfreundliche Artikel basiert auf einer peer-geprüften Studie, originally erschienen in Fertility and Sterility, dem offiziellen Journal der American Society for Reproductive Medicine. Die Informationen wurden unter Wahrung aller wissenschaftlichen Erkenntnisse für die Patientenaufklärung aufbereitet.