Personalisierte Behandlung bei neu diagnostiziertem multiplem Myelom: Wie die Messung von Restkrebszellen die Therapieentscheidungen beeinflusst. A92

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Diese bahnbrechende Studie zeigt, dass bei neu diagnostizierten Multiplen-Myelom-Patienten die Behandlungsentscheidungen, die anhand des messbaren Resterkrankungsstatus (MRD) nach der Ersttherapie getroffen werden, mit unterschiedlichen Ansätzen zu vergleichbar wirksamen Ergebnissen führen können. Bei Patienten, die nach der Induktionstherapie eine tiefe Remission erreichen, führten entweder eine Stammzelltransplantation plus zwei Zyklen der Medikation oder sechs zusätzliche Zyklen der alleinigen Medikation zu annähernd gleichen Raten bei der Erzielung einer noch tieferen Remission. Bei Patienten mit nachweisbarer Erkrankung nach der Induktion erzielte eine einzelne Transplantation plus Medikation ähnliche Ergebnisse wie intensivere Tandemtransplantationen. Dies deutet darauf hin, dass Patienten unnötig intensive Behandlungen vermeiden könnten.

Personalisierte Behandlung des neu diagnostizierten multiplen Myeloms: Wie die Messung residueller Tumorzellen die Therapieentscheidungen lenkt

Inhaltsverzeichnis

Einleitung: Warum diese Forschung wichtig ist

Das multiple Myelom ist eine Krebserkrankung der Plasmazellen im Knochenmark, die jährlich Tausende Menschen betrifft. Für transplantationsfähige Patienten umfasst die derzeitige Standardtherapie eine Vierfachkombinationstherapie, gefolgt von einer autologen Stammzelltransplantation (ASCT), bei der Patienten nach Hochdosis-Chemotherapie ihre eigenen Stammzellen erhalten.

Kürzlich wurde entdeckt, dass die Messung minimaler Resttumorzellen (minimale Resterkrankung, MRD) vorhersagen kann, wie gut Patienten langfristig abschneiden. Patienten, die einen MRD-negativen Status erreichen (keine nachweisbaren Tumorzellen bei sehr empfindlicher Nachweisgrenze), haben bessere Ergebnisse als solche mit nachweisbarer Erkrankung.

Diese große klinische Studie, die MIDAS-Studie, sollte klären, ob Behandlungsentscheidungen nach der Ersttherapie anhand des MRD-Status personalisiert werden können. Die Forscher untersuchten, ob MRD-negative Patienten auf eine Transplantation verzichten können und ob MRD-positive Patienten von einer intensiveren Tandemtransplantation profitieren würden.

Studiendesign und Methoden

Diese Phase-3-Studie wurde zwischen Dezember 2021 und Juli 2023 in 72 Zentren in Frankreich und Belgien durchgeführt. Sie schloss 791 Patienten mit neu diagnostiziertem multiplem Myelom ein, die für eine Stammzelltransplantation geeignet waren.

Alle Patienten erhielten die gleiche Erstbehandlung: sechs 28-Tage-Zyklen einer Vierfachtherapie mit:

  • Isatuximab (monoklonaler Anti-CD38-Antikörper)
  • Carfilzomib (Proteasominhibitor)
  • Lenalidomid (Immunmodulator)
  • Dexamethason (Steroid)

Nach der Induktionstherapie wurde der MRD-Status mittels hochempfindlicher Next-Generation-Sequenzierung gemessen (Nachweisgrenze: 10⁻⁵, d.h. 1 Tumorzelle pro 100.000 normale Zellen).

Die Patienten wurden dann anhand ihrer MRD-Ergebnisse in zwei Gruppen eingeteilt:

  1. MRD-negative Patienten (keine nachweisbaren Tumorzellen): Randomisiert zu ASCT plus 2 Zyklen Medikation (242 Patienten) ODER 6 zusätzlichen Zyklen Medikation ohne Transplantation (243 Patienten)
  2. MRD-positive Patienten (nachweisbare Tumorzellen): Randomisiert zu Tandem-ASCT (Doppeltransplantation, 124 Patienten) ODER Einzel-ASCT plus 2 Zyklen Medikation (109 Patienten)

Primäres Ziel war die Rate an Patienten, die vor der Erhaltungstherapie einen tieferen MRD-negativen Status erreichten (Nachweisgrenze: 10⁻⁶, d.h. 1 Tumorzelle pro Million normale Zellen).

Studienteilnehmer

Die Studie umfasste 718 Patienten, die die Ersttherapie abschlossen und randomisiert wurden. Das Durchschnittsalter betrug 59 Jahre (25–66 Jahre), 57 % waren Männer.

Die Patienten hatten unterschiedliche Krankheitsstadien:

  • 13 % ISS-Stadium III (fortgeschritten)
  • 5 % R-ISS-Stadium III
  • 8 % Hochrisiko-Myelom basierend auf genetischen Merkmalen
  • 17 % Hochrisiko-Myelom laut Kriterien der International Myeloma Society

Die Behandlungsgruppen waren hinsichtlich Alter, Krankheitsmerkmalen und genetischen Risikofaktoren gut balanciert, was die Vergleichbarkeit der Ergebnisse sicherstellt.

Hauptergebnisse: Was die Forschung herausfand

Für MRD-negative Patienten nach Induktion: Unter den 485 Patienten ohne nachweisbare Erkrankung zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den Behandlungsarmen. In der Transplantationsgruppe erreichten 86 % den tieferen MRD-negativen Status, in der reinen Medikationsgruppe 84 %.

Die statistische Analyse ergab ein adjustiertes relatives Risiko von 1,02 (95 %-KI: 0,95–1,10; p=0,64), was auf keinen statistisch signifikanten Unterschied hindeutet.

Für MRD-positive Patienten nach Induktion: Unter den 233 Patienten mit nachweisbarer Resterkrankung schnitt die intensivere Tandemtransplantation nicht besser ab als die Einzeltransplantation. In der Tandemgruppe erreichten 32 % einen tiefen MRD-negativen Status, in der Einzeltransplantationsgruppe 40 %.

Die statistische Analyse ergab ein adjustiertes relatives Risiko von 0,82 (95 %-KI: 0,58–1,15; p=0,31), ebenfalls ohne signifikanten Unterschied. 15 % der Tandemgruppe erhielten die zweite Transplantation nicht, meist aufgrund von Komplikationen oder Patientenentscheidung.

Während der Konsolidierung konvertierten einige Patienten von MRD-positiv zu MRD-negativ (53 in der Transplantationsgruppe, 42 in der Medikationsgruppe), wenige verloren ihren MRD-negativen Status (6 bzw. 10 Patienten).

Behandlungssicherheit und Nebenwirkungen

Während der Konsolidierungsphase traten mehrere schwerwiegende Ereignisse auf:

  • 5 Patienten mit Krankheitsprogress
  • 2 nicht progressionsbedingte Todesfälle
  • Alle diese Ereignisse traten in der reinen Medikationsgruppe (MRD-negative Patienten) bzw. der Tandemtransplantationsgruppe (MRD-positive Patienten) auf

Es gab keine neuen Sicherheitsbedenken jenseits der bekannten Risiken. Die Nebenwirkungen entsprachen den dokumentierten Profilen der Therapien.

Die mediane Nachbeobachtungszeit betrug 16,8 Monate (MRD-negative Gruppen) bzw. 16,3 Monate (MRD-positive Gruppen), was substanzielle mittelfristige Sicherheitsdaten liefert.

Was dies für Patienten bedeutet

Diese Studie zeigt, dass die Behandlung des neu diagnostizierten multiplen Myeloms anhand des Ansprechens auf die Ersttherapie personalisiert werden kann. Patienten in tiefer Remission nach der Vierfachtherapie könnten mit alleiniger Medikation gleich gut abschneiden wie mit einer Stammzelltransplantation.

Das ist bedeutsam, da die Transplantation höhere Chemotherapiedosen, mehr Nebenwirkungen und längere Erholungszeiten mit sich bringt. Bei gleichwertigen Ergebnissen könnten viele Patienten diese Belastungen vermeiden.

Für Patienten mit nachweisbarer Resterkrankung lieferte die intensivere Tandemtransplantation keine besseren Ergebnisse als die Einzeltransplantation. Das ist relevant, da die Tandemtransplantation belastender und riskanter ist.

Die Ergebnisse unterstützen die ansprechadaptierte Therapie, bei der Behandlungsentscheidungen vom individuellen Ansprechen abhängen statt von standardisierten Schemata.

Studieneinschränkungen

Wichtige Einschränkungen der Studie:

  • Die Nachbeobachtungszeit von ~16 Monaten ist für das multiple Myelom relativ kurz; längere Beobachtung ist nötig, um Überlebensdaten vollständig zu bewerten
  • Die Studie wurde primär in Frankreich und Belgien durchgeführt; Ergebnisse könnten in anderen Populationen oder Gesundheitssystemen variieren
  • 15 % der für Tandemtransplantation vorgesehenen Patienten erhielten die zweite Transplantation nicht, was die Ergebnisse beeinflussen könnte
  • Aufgrund europäischer Datenschutzbestimmungen wurden keine Daten zu Rasse und Ethnizität erhoben; demografische Variationen sind unbekannt

Die Studie ist fortlaufend; längerfristige Daten zu Überleben und Progress werden weitere Erkenntnisse liefern.

Empfehlungen für Patienten

Für Patienten mit multiplem Myelom bedeutet diese Forschung:

  1. Fragen Sie nach MRD-Testing: Besprechen Sie mit Ihrem Arzt, ob die Messung der minimalen Resterkrankung nach der Erstbehandlung für Sie infrage kommt
  2. Verstehen Sie Ihre Optionen: Bei tiefer Remission nach Ersttherapie ist alleinige Medikation eine valide Alternative zur Transplantation
  3. Bedenken Sie die Abwägungen: Transplantation bringt mehr Nebenwirkungen, rein medikamentöse Ansätze erfordern längere Behandlungsdauer
  4. Nehmen Sie an gemeinsamer Entscheidungsfindung teil: Wählen Sie mit Ihrem Behandlungsteam den Ansatz, der zu Ihren Präferenzen und Ihrer Risikotoleranz passt
  5. Bleiben Sie informiert: Verfolgen Sie weitere Forschungsergebnisse, wenn längerfristige Daten verfügbar werden

Behandlungsentscheidungen sollten immer in Absprache mit Ihrem medizinischen Team unter Berücksichtigung Ihrer individuellen Situation getroffen werden.

Quelleninformationen

Originalartikeltitel: Measurable Residual Disease–Guided Therapy in Newly Diagnosed Myeloma

Autoren: A. Perrot, J. Lambert, C. Hulin, A. Pieragostini, L. Karlin, B. Arnulf, P. Rey, L. Garderet, M. Macro, M. Escoffre-Barbe, J. Gay, T. Chalopin, R. Gounot, J.-M. Schiano, M. Mohty, X. Leleu, S. Manier, C. Mariette, C. Chaleteix, T. Braun, B. De Prijck, H. Avet-Loiseau, J.-Y. Mary, J. Corre, P. Moreau, und C. Touzeau für die MIDAS Study Group

Veröffentlichung: New England Journal of Medicine, 31. Juli 2025, Band 393, Nummer 5

DOI: 10.1056/NEJMoa2505133

Hinweis: Dieser patientenfreundliche Artikel basiert auf begutachteter Forschung aus einem leading medical journal. Die Informationen wurden vereinfacht, behalten aber alle Schlüsselergebnisse der Originalstudie bei.