Diese Übersichtsarbeit hinterfragt die herkömmliche Vorstellung von Alopecia areata als einheitlicher Erkrankung und postuliert stattdessen verschiedene biologische Subtypen mit unterschiedlichen Prognosen. Der Artikel erörtert die Unterscheidung zwischen autoimmuner Alopecia areata (AAA) und nicht-autoimmunen Formen, untersucht die schlechteren Behandlungsergebnisse bei atopischen Patienten und betont die zentrale Rolle des Zusammenbruchs der immunologischen Privilegierung des Haarfollikels in allen AA-Fällen. Die Forschung deutet darauf hin, dass künftige Therapien auf spezifische AA-Subtypen zugeschnitten werden sollten, sobald zuverlässige Biomarker verfügbar sind.
Alopecia Areata neu denken: Verschiedene biologische Typen und Behandlungsimplikationen
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung: Traditionelle Ansichten hinterfragen
- Ist Alopecia Areata eine oder mehrere Erkrankungen?
- Autoimmune versus nicht-autoimmune Alopecia Areata
- Dringender Bedarf an besseren Biomarkern
- Warum die Prognose zwischen Patienten so stark variiert
- Über CD8+ T-Zellen hinaus: Weitere Immunakteure
- Die zentrale Rolle des Immunprivilegs der Haarfollikel
- Bedeutung für künftige Behandlungen
- Quelleninformation
Einleitung: Traditionelle Ansichten hinterfragen
Dieser Übersichtsartikel, basierend auf Diskussionen beim National Alopecia Areata Foundation Summit Meeting 2018, hinterfragt grundlegende Annahmen zur Ursache der Alopecia areata. Der Autor argumentiert, dass die traditionelle Sichtweise der AA (Alopecia areata) als einheitliche Erkrankung nicht mehr mit den variierenden Erscheinungsformen und Verläufen vereinbar ist.
Forscher erkennen heute, dass das charakteristische AA-Haarausfallmuster vier spezifische Bedingungen erfordert. Erstens muss ein entzündliches Zellinfiltrat um die Haarfollikelzwiebeln Interferon-gamma (IFNg) sezernieren. Zweitens muss das natürliche Immunprivileg der Haarfollikel kollabieren. Drittens muss eine majoräre Haarfollikeldystrophie mit nachfolgendem Haarausfall auftreten. Viertens kommt es typischerweise zur vorzeitigen Regression der Haarfollikel.
Besonders interessant ist, dass Forschungen zeigen, dass dieses AA-Haarausfallmuster manchmal ohne spezifische Autoimmunreaktion gegen Haarfollikelantigene entstehen kann. Dies legt nahe, dass AA nicht immer eine distinkte Erkrankung darstellt, sondern ein stereotypes Reaktionsmuster, das sogar gesunde Haarfollikel zeigen können, wenn diese vier Bedingungen zusammentreffen.
Ist Alopecia Areata eine oder mehrere Erkrankungen?
Die hochvariable Präsentation und Prognose verschiedener AA-Formen deutet lange darauf hin, dass es sich nicht um eine einheitliche Erkrankung handelt. Während die Einteilung nach Ausdehnung und Verteilung des Haarausfalls (fokal, multifokal, totalis, universalis, diffus) weiterhin verwendet wird, spiegeln diese klinischen Klassifikationen möglicherweise nicht die zugrundeliegenden biologischen Unterschiede wider.
Forschungen zeigen, dass sich das AA-Phänotyp mit zunehmender Chronizität dynamisch verändert. Akute, rasch progrediente AA zeigt ein Anagen-Effluvium (Haarausfall in der Wachstumsphase), während chronische AA ein Telogen-Effluvium (Ausfall ruhender Haare) mit vorzeitiger Exogenese (Haarausfall) aufweist.
Wir wissen, dass CD8+ T-Zellen allein AA-ähnliche Haarausfallläsionen auslösen können, während Autoantikörper gegen Haarfollikelantigene dies nicht vermögen. Bestimmte Subpopulationen natürlicher Killerzellen (NK-Zellen) können jedoch ebenfalls AA-Läsionen induzieren, ohne spezifische genetische Prädisposition oder Autoantigene zu benötigen. Dies unterstützt die Idee, dass unspezifische Haarfollikelschädigungen in manchen Fällen ausreichen könnten, um AA auszulösen.
Autoimmune versus nicht-autoimmune Alopecia Areata
Der Artikel schlägt vor, zwischen autoimmuner Alopecia areata (AAA) und nicht-autoimmunen Formen zu unterscheiden. Nur bei AAA-Patienten liegt Evidenz für eine spezifische CD8+ T-Zell-abhängige Autoimmunreaktion vor, bei der autoreaktive T-Zellen gegen Haarfollikel-assoziierte Autoantigene nachgewiesen werden können.
Patienten mit positiver Eigen- oder Familienanamnese anderer Autoimmunerkrankungen, häufig rezidivierender AA oder rasch progredienter AA sind primäre Kandidaten für die AAA-Variante. Nur in dieser Subpopulation ist die Suche nach pathogenen Autoantigenen und autoreaktiven T-Zellen sinnvoll.
Bei nicht-autoimmunen AA-Formen könnte das AA-Reaktionsmuster aus unspezifischen Haarfollikelschädigungen resultieren, die zum Kollaps des Immunprivilegs und ausreichender Haarfollikeldystrophie führen. Diese Unterscheidung hat majoräre Implikationen für Behandlungskonzepte, wie später in diesem Artikel diskutiert wird.
Dringender Bedarf an besseren Biomarkern
Die Identifikation zuverlässiger Biomarker zur Unterscheidung der AAA-Subgruppe von anderen AA-Typen ist klinisch entscheidend. Nur bei autoimmuner AA ist die Entwicklung kurativer Therapien sinnvoll, die auf die Wiederherstellung der Toleranz gegen Haarfollikelautoantigene oder die Elimination autoreaktiver CD8+ T-Zellen abzielen, um anhaltende Behandlungserfolge zu erzielen.
Bei nicht-autoimmunen AA-Formen könnte eine symptomatische Therapie, die das Haarfollikelimmunprivileg wiederherstellt und erhält, ausreichen. Das Feld benötigt molekulare Biomarker, die AAA-Patienten zuverlässig von nicht-autoimmunen Formen mit besserer Prognose unterscheiden können.
Aktuell liefern klinische Indikatoren die zuverlässigste prognostische Information. Dazu gehören:
- Ausdehnung, Verteilung und Progression der Haarausfallläsionen
- Vorliegen einer Ophiasis (bandförmiges Muster am Haarsaum)
- Nageldystrophie oder Tüpfelnägel
- Vorliegen einer Atopie (allergische Diathese)
- Alter bei erstmaligem AA-Auftreten
- Familienanamnese von AA oder assoziierten Autoimmunerkrankungen
Jegliche vorgeschlagenen molekularen Biomarker müssen nachweisen, dass sie informativer, zuverlässiger und kosteneffektiver als diese klinischen Indikatoren sind.
Warum die Prognose zwischen Patienten so stark variiert
Die AA-Forschung muss erklären, warum nicht nur Ausdehnung und Verteilung der Läsionen, sondern auch die Erkrankungsprognose zwischen Individuen erheblich differiert. Die Chance spontanen Haarwiederwachstums reicht von relativ hoch bei nicht-atopischen Patienten mit erstmaligem Auftreten nach der Pubertät ohne Nageldystrophie oder Familienanamnese, bis hin zu schlecht bei präpubertären atopischen Patienten mit Familienanamnese von AA oder anderen Autoimmunerkrankungen.
Wir haben immer noch keine zufriedenstellenden Erklärungen, warum bestimmte Läsionsmuster (wie Ophiasis) oder Nagelbeteiligung zuverlässige prognostische Marker darstellen, oder warum Komorbiditäten wie Down-Syndrom und Lupus erythematodes mit negativer Prognose assoziiert sind. Die molekulare Basis der "Atopie" bleibt unzureichend verstanden und könnte neurophysiologische Abnormalitäten wie defekte Beta-2-adrenerge Signalgebung umfassen, wie bei vielen Patienten mit atopischer Dermatitis gefunden.
Mastzellen und Eosinophile (mit Allergien assoziierte Immunzellen) könnten wichtig sein, um zu verstehen, warum atopische AA-Patienten eine schlechtere Prognose haben. Forschungen zeigen:
- Die Anzahl perifollikulärer Eosinophiler und Mastzellen ist in vielen läsionalen AA-Hautproben signifikant erhöht
- Diese klassischen atopieassoziierten Immunzellen könnten eine wichtigere Rolle bei AA spielen als bisher angenommen
- Beta-2-adrenerge Signaldefekte in Mastzellen und/oder Eosinophilen könnten zur schlechteren Prognose atopischer AA-Patienten beitragen
Über CD8+ T-Zellen hinaus: Weitere Immunakteure
Während sich viel Forschung auf CD8+ T-Zellen konzentriert hat, verdienen andere Immunzellen Aufmerksamkeit. Die Anzahl und der Anteil degranulierter perifollikulärer Mastzellen ist in läsionaler im Vergleich zu nicht-läsionaler AA-Haut signifikant höher. Diese Zellen proliferieren abnormal, zeigen vermehrte physische Kontakte mit CD8+ T-Zellen und wechseln von immuninhibitorischen zu proinflammatorischen, autoimmunitätsfördernden Phänotypen.
Die Rolle des Haarfollikel-Mikrobioms und seiner potenziellen Dysbiose (Ungleichgewicht) bei der Aufrechterhaltung oder Schädigung des Haarfollikelimmunprivilegs stellt eine im Wesentlichen unerforschte Frontier in der AA-Forschung dar. Der potenzielle therapeutische Effekt fäkaler Mikrobiotatransplantationen und die diskutierte Rolle intestinaler Dysbiose bei AA unterstützen weiterhin die Erforschung mikrobiologischer Faktoren.
Weitere Immunzellen neben CD8+ T-Zellen tragen zu AA bei:
- CD4+ T-Zellen treiben Erkrankungsschwere und -ausdehnung voran
- Regulatorische T-Zellen könnten wichtige modulatorische Rollen spielen
- Residente Gedächtnis-T-Zellen könnten an AA-Rezidiven an denselben Lokalisationen beteiligt sein
- NK-Zellen haben majoräre funktionelle Rollen in der AA-Pathobiologie
- Gamma- und/oder Delta-T-Zellen scheinen wichtige, nicht-antigenspezifische Rollen beim Auslösen des Immunprivilegkollapses zu spielen
Die zentrale Rolle des Immunprivilegs der Haarfollikel
Alle Evidenzen deuten darauf hin, dass das AA-Haarausfallmuster sich nicht ohne vorherigen Kollaps des relativen physiologischen Immunprivilegs der Haarfollikel entwickelt. Therapeutisch bleibt die primäre Herausforderung, den Kollaps des Immunprivilegs zu verhindern (um Progression zu stoppen) und es nachhaltig wiederherzustellen (um Wiederwachstum ohne sofortigen Reangriff zu ermöglichen).
JAK-Inhibitoren erreichen dies wahrscheinlich effektiv – allerdings nicht bei allen Patienten, typischerweise nur temporär und mit potenziellen Nebenwirkungen. Die höchste Priorität sollte die Entwicklung universell effektiver, gut verträglicher, kosteneffizienter Immunprivilegwächter und das Verständnis haben, wie Haarfollikel solche Agenzien produzieren.
Vielversprechende Kandidatentherapeutika umfassen topisches FK506 (Tacrolimus) in Vehikeln, die effektive Wirkstoffkonzentrationen zu den Haarbulbi liefern, und systemische "superpotente" Alpha-Melanozyten-stimulierende Hormonanaloga. Die attraktivste Strategie könnte die Entwicklung topischer Agenzien sein, die die Produktion endogener Immunprivilegwächter wie Alpha-MSH, TGFb1/2, IL-10 und VIP (vasoaktives intestinales Peptid) hochregulieren.
Bedeutung für künftige Behandlungen
Dieses neue Verständnis legt nahe, dass künftiges AA-Management auf den spezifischen Pathogeneseweg jedes Patienten zugeschnitten sein sollte. Dies würde diagnostische Biomarker erfordern, die die distinkten Pathways identifizieren, die dem AA-Reaktionsmuster individueller Patienten zugrunde liegen.
Da AA profound territorial (lokalisationsspezifisch) ist, wird dies wahrscheinlich Hautbiopsien erfordern, wobei Blut-/Serumbiomarker als auxiliary Parameter dienen. Das ultimative Ziel ist die Beherrschung des Schutzes und der Wiederherstellung des Haarfollikelimmunprivilegs, was einen majorären Fortschritt in der AA-Behandlung darstellen würde.
Wichtige Behandlungsimplikationen umfassen:
- Autoimmune AA könnte Therapien erfordern, die Toleranz gegen spezifische Autoantigene wiederherstellen
- Nicht-autoimmune Formen könnten auf Behandlungen ansprechen, die das Immunprivileg aufrechterhalten ohne spezifische Immunpathways zu targeten
- Kurze JAK-Inhibitor-Kuren könnten selbst bei nicht-AAA-Patienten mit extensivem, therapieresistentem Haarausfall gerechtfertigt sein
- Langzeit-systemische Therapie könnte in der nicht-AAA-Subgruppe aufgrund von Rezidiven nach Absetzen nicht gerechtfertigt sein
- Behandlung sollte personalisiert basierend auf dem spezifischen Pathogeneseweg jedes Patienten erfolgen
Quelleninformation
Originalartikeltitel: The Evolving Pathogenesis of Alopecia Areata: Major Open Questions
Autor: Ralf Paus
Publikation: Journal of Investigative Dermatology Symposium Proceedings (2020) 20, S6-S10
DOI: 10.1016/j.jisp.2020.04.002
Dieser patientenfreundliche Artikel basiert auf peer-reviewter Forschung aus einem führenden dermatologischen Journal. Der originale Übersichtsartikel wurde als Teil eines Supplements publiziert, das von der National Alopecia Areata Foundation nach ihrem 2018 Summit Meeting gesponsert wurde.