Entwicklung zielgerichteter Therapien für pädiatrische niedriggradige Hirntumoren

Entwicklung zielgerichteter Therapien für pädiatrische niedriggradige Hirntumoren

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Diese Übersichtsarbeit zeigt, dass zielgerichtete Therapien die Behandlung von pädiatrischen niedriggradigen Gliomen (pLGG) revolutionieren. BRAF- und MEK-Inhibitoren erzielen deutlich bessere Behandlungsergebnisse als herkömmliche Chemotherapien. Studien belegen Ansprechraten von bis zu 47 % unter kombinierter zielgerichteter Therapie, verglichen mit nur 11 % unter Chemotherapie, bei gleichzeitig signifikanter Reduktion schwerwiegender Nebenwirkungen. Dennoch bleiben Herausforderungen bestehen, wie Therapieresistenzen, Tumorrezidive nach Absetzen der Medikation und unbekannte Langzeitwirkungen dieser neueren Medikamente.

Die Entwicklung zielgerichteter Therapien für pädiatrische niedriggradige Hirntumore

Inhaltsverzeichnis

Einführung: Verständnis pädiatrischer niedriggradiger Gliome

Pädiatrische niedriggradige Gliome (pLGG) sind die häufigsten Hirntumore bei Kindern. Obwohl diese Tumore in der Regel nicht aggressiv sind, stellen sie erhebliche Herausforderungen dar, da sie nach der Erstbehandlung oft erneut wachsen und viele Patienten im Verlauf mehrere Therapien benötigen.

Die Langzeitüberlebensrate bei Kindern mit pLGG liegt bei über 90 %, was für Familien eine sehr gute Nachricht ist. Diese positive Prognose hat jedoch einen bedeutenden Haken: Viele Kinder leiden unter kumulativen Toxizitäten durch wiederholte Behandlungen, die zu ernsthaften Langzeitgesundheitsproblemen und einer verminderten Lebensqualität führen können.

Die chirurgische Entfernung bleibt die primäre Behandlung, wenn möglich, und führt in etwa 60 % der Fälle zur Heilung. Für Tumore, die nicht vollständig entfernt werden können oder nach der Operation erneut auftreten, sind zusätzliche Behandlungen erforderlich. Hier hat das Feld in den letzten Jahren bemerkenswerte Fortschritte erzielt.

Die Entwicklung der pLGG-Behandlungsansätze

Die Behandlung von pLGG hat sich über die Jahrzehnte dramatisch gewandelt. In den 1970er und 1980er Jahren war die Strahlentherapie die Standardbehandlung für Tumore, die nicht vollständig entfernt werden konnten oder nach der Operation rezidivierten. Forscher fanden jedoch heraus, dass Bestrahlung erhebliche Langzeitschäden verursachen kann, die manchmal schwerwiegender waren als die Erkrankung selbst.

Eine große Datenbankauswertung von 4.040 pädiatrischen LGG-Fällen, die zwischen 1973 und 2008 behandelt wurden, lieferte aufschlussreiche Daten: Der Erhalt einer Strahlentherapie war der größte Risikofaktor für den Tod in der multivariaten Analyse des 20-Jahres-Gesamtüberlebens, mit einer Hazard Ratio von 3,9. Das bedeutet, dass Kinder, die bestrahlt wurden, über einen Zeitraum von 20 Jahren fast viermal häufiger starben als jene ohne Bestrahlung.

Infolgedessen wurde die Chemotherapie zur bevorzugten Behandlung gegenüber der Bestrahlung. Eine entscheidende Phase-3-Studie zeigte, dass Chemotherapie ein 5-Jahres-ereignisfreies Überleben von 45 ± 3,2 % und ein Gesamtüberleben von 86 ± 2,2 % erreichte. Obwohl diese Zahlen einen Fortschritt darstellten, erlebten fast die Hälfte der Patienten innerhalb von fünf Jahren immer noch ein Tumorprogress, was weitere Behandlungen erforderlich machte.

Molekularer Durchbruch: Die Entdeckung des MAPK-Signalwegs

Das Behandlungsspektrum begann sich in den frühen 2000er Jahren dramatisch zu verändern, als Forscher eine entscheidende Entdeckung über die molekularen Mechanismen machten, die pLGG antreiben. Durch genomweite Analysen identifizierten Wissenschaftler, dass die Mehrheit dieser Tumore genetische Veränderungen im sogenannten MAPK-Signalweg aufweist.

Konkret fanden Forscher heraus, dass 84 % der pädiatrischen niedriggradigen Gliome eine genetische Alteration im MAPK-Signalweg aufweisen und dass dieser Signalweg in diesen Tumoren nahezu universell hochreguliert ist. Die häufigsten identifizierten genetischen Abnormalitäten waren:

  • KIAA1549-BRAF-Fusionen (treten in vielen pilozytischen Astrozytomen auf)
  • BRAF-V600-Mutationen (kommen in etwa 19 % der pädiatrischen LGG vor)

Diese Entdeckung war bahnbrechend, weil sie bedeutete, dass Ärzte nun statt breit wirksamer Chemotherapie, die sowohl Krebs- als auch gesunde Zellen angreift, zielgerichtete Therapien einsetzen konnten, die spezifisch die abnormalen Signale blockieren, die das Tumorwachstum verursachen.

Zielgerichtete Therapien für pLGG: BRAF- und MEK-Inhibitoren

Die Identifikation von MAPK-Signalweg-Alterationen führte zur Entwicklung zielgerichteter Behandlungen, die spezifisch darauf ausgelegt sind, diese abnormalen Signale zu blockieren. Die Hauptkategorien zielgerichteter Medikamente umfassen:

BRAF-V600E-Inhibitoren

Medikamente wie Dabrafenib zielen spezifisch auf die BRAF-V600-Mutation ab. In klinischen Studien zeigte Dabrafenib eine Gesamtansprechrate von 44 % mit einer 1-Jahres-progressionsfreien Überlebensrate von 85 %. Wichtig ist, dass diese Inhibitoren nur bei Tumoren mit der spezifischen BRAF-V600-Mutation wirken und bei Tumoren mit BRAF-Fusionen sogar ein paradoxes Tumorwachstum beschleunigen können.

MEK-Inhibitoren

Da MEK das nachgeschaltete Gen im MAPK-Signalweg ist, können MEK-Inhibitoren wie Selumetinib multiple Arten von MAPK-Alterationen anzielen. Klinische Studien haben beeindruckende Ergebnisse gezeigt:

  • Selumetinib erreichte ein 2-Jahres-progressionsfreies Überleben von 69 ± 9,8 %
  • 36 % der Patienten mit BRAF-alterierten Tumoren zeigten anhaltende partielle Remissionen
  • 40 % der Patienten mit Neurofibromatose Typ 1-assoziiertem pLGG zeigten anhaltende partielle Remissionen

Kombinationstherapie

Basierend auf der Erwachsenenkrebsforschung hat die Kombination von BRAF- und MEK-Inhibitoren bessere Ergebnisse gezeigt als Einzelmedikamente. In pädiatrischen Studien demonstrierte die Kombination von Dabrafenib und Trametinib:

  • Eine Gesamtansprechrate von 47 % verglichen mit 11 % unter Chemotherapie
  • Klinischen Benefit bei 86 % der Patienten versus 46 % unter Chemotherapie
  • Grad-3- oder höhere unerwünschte Ereignisse bei nur 47 % der Patienten versus 94 % unter Chemotherapie

Klinische Studienergebnisse und Wirksamkeitsdaten

Die Wirksamkeit verschiedener Behandlungen für pLGG wurde in klinischen Studien umfassend untersucht. Die Daten zeigen einen klaren Vorteil für zielgerichtete Therapien gegenüber traditionellen Ansätzen:

Traditionelle Chemotherapie-Ergebnisse:

  • Vincristin/Carboplatin: 5-Jahres-progressionsfreies Überleben von 39 ± 4 %
  • TPCV-Regime: 5-Jahres-progressionsfreies Überleben von 52 ± 5 %
  • Vinblastin: 5-Jahres-progressionsfreies Überleben von 53,2 %
  • Multiple Medikamentenkombinationen: 5-Jahres-progressionsfreies Überleben von 34 %
  • Avastin/Irinotecan: 2-Jahres-progressionsfreies Überleben von 47,8 ± 9,27 %

Zielgerichtete Therapie-Ergebnisse:

  • Dabrafenib: 1-Jahres-progressionsfreies Überleben von 85 %
  • Selumetinib: 2-Jahres-progressionsfreies Überleben von 70 %
  • Trametinib: 1-Jahres-progressionsfreies Überleben von 83,1 %
  • Dabrafenib + Trametinib: 1-Jahres-progressionsfreies Überleben von 67 % versus 26 % unter Chemotherapie

Diese Ergebnisse waren so überzeugend, dass im März 2023 die FDA die Kombination von Dabrafenib und Trametinib zur Behandlung von pLGG mit BRAF-V600E-Mutation zuließ und damit effektiv die Chemotherapie als Erstlinienbehandlung für diese spezifische Subgruppe ersetzte.

Aktuelle Herausforderungen und Grenzen zielgerichteter Therapien

Trotz der bemerkenswerten Fortschritte stehen zielgerichtete Therapien für pLGG vor mehreren bedeutenden Herausforderungen, an denen Forscher arbeiten:

Behandlungsresistenz

Einige Tumore entwickeln Resistenzen gegen zielgerichtete Therapien durch verschiedene Mechanismen. Die Forschung hat mehrere Resistenzwege identifiziert:

  • MEK/ERK-abhängige Resistenz (kann manchmal mit Kombinationstherapie überwunden werden)
  • MEK/ERK-unabhängige Resistenz (einschließlich EGFR-vermittelter Resistenz)
  • Autophagie (ein zellulärer Recyclingprozess, der Tumoren hilft, die Behandlung zu überleben)

Forscher testen Kombinationsansätze, wie die Zugabe von Hydroxychloroquin (ein Autophagie-Inhibitor) zu MAPK-Inhibitoren, um diese Resistenzmechanismen zu überwinden.

Rebound-Wachstum nach Behandlungsende

Ein besonders besorgniserregendes Phänomen ist das rasche Tumorwachstum nach Absetzen der zielgerichteten Therapie. Eine Studie mit 56 BRAF-V600E-mutanten pLGGs fand heraus, dass 76,5 % ein rasches Progress nach Absetzen von BRAF-Inhibitoren erlebten, wobei das Rebound-Wachstum nach median 2,3 Monaten auftrat.

Die gute Nachricht ist, dass 90 % dieser Patienten erneut ansprachen, wenn sie mit BRAF-Inhibition erneut behandelt wurden. Dies wirft jedoch schwierige Fragen darüber auf, wie lange Kinder diese Medikamente einnehmen müssen – möglicherweise unbegrenzt.

Nebenwirkungen und Management von Toxizitäten

Während zielgerichtete Therapien generell weniger schwere Nebenwirkungen haben als Chemotherapie, verursachen sie dennoch spezifische Toxizitäten, die ein sorgfältiges Management erfordern:

Hauttoxizität

Hautprobleme sind die häufigste Nebenwirkung und betreffen viele Patienten, die MAPK-Inhibitoren einnehmen. Diese können umfassen:

  • Makulopapulöses Exanthem (rote, erhabene Hautknötchen)
  • Follikuläre Eruptionen (Haarfollikelentzündungen)
  • Erythem (Hautrötung)
  • Keratosis-pilaris-ähnliche Veränderungen (raue, höckerige Haut)
  • Photosensitivität (erhöhte Sonnenempfindlichkeit)

Glücklicherweise haben Ärzte wirksame Präventions- und Managementstrategien entwickelt, einschließlich Sonnenschutz, Feuchtigkeitscremes, topischen Kortikosteroiden und manchmal oralen Antibiotika oder Steroiden.

Andere bedeutende Nebenwirkungen

Zielgerichtete Therapien können auch verursachen:

  • Kardiale Probleme: Etwa 10 % der erwachsenen Patienten erleben verminderte Herzfunktion
  • QTc-Verlängerung: Eine Herzrhythmusstörung, die bei 3 % der Patienten beobachtet wird
  • Ophthalmologische Probleme: Verschiedene Augenentzündungen und Sehveränderungen
  • Fieber und gastrointestinale Symptome

Zusätzlich können diese Medikamente, weil sie durch Leberenzyme metabolisiert werden, mit vielen anderen Medikamenten interagieren, was eine sorgfältige Überwachung erfordert.

Zukünftige Richtungen und laufende Forschung

Das Feld der pLGG-Behandlung entwickelt sich weiterhin rasch mit mehreren vielversprechenden Entwicklungen:

Inhibitoren der zweiten Generation

Neue Medikamente wie Tovorafenib zeigen Potenzial für die Behandlung sowohl von BRAF-Fusionen als auch BRAF-V600-Mutationen ohne paradoxe Aktivierung. Frühe Studien zeigen:

  • 67 % Gesamtansprechrate für BRAF-alterierte Tumore
  • Wöchentliches Dosierungsschema (besser für Kinder als tägliche Dosierung)
  • Tolerables Sicherheitsprofil mit Hauptnebenwirkungen wie Haarverfärbungen und erhöhten Muskeleenzymen

Basierend auf diesen Daten erhielt Tovorafenib im April 2024 die FDA-Zulassung für Kinder über 6 Monate mit rezidivierendem niedriggradigem Gliom mit BRAF-Alterationen.

Laufende klinische Studien

Multiple Phase-3-Studien vergleichen derzeit zielgerichtete Therapie mit Standardchemotherapie:

  • COG-Studien vergleichen Erstlinienchemotherapie mit Selumetinib-Monotherapie (NCT04166409, NCT03871257)
  • Studie vergleicht Selumetinib allein versus Selumetinib plus Vinblastin für rezidivierendes pLGG (NCT04576117)
  • Studie kombiniert Trametinib und Everolimus für rezidivierende Gliome (NCT04485559)

Was dies für Patienten und Familien bedeutet

Für Familien, die mit einer pLGG-Diagnose konfrontiert sind, stellen diese Fortschritte wahrhaft transformative Entwicklungen dar. Der Wechsel von Chemotherapie zu zielgerichteten Therapien bedeutet:

Bessere Behandlungsergebnisse mit höheren Ansprechraten und längerem progressionsfreiem Überleben. Reduzierte schwere Nebenwirkungen – Grad-3- oder höhere unerwünschte Ereignisse sanken von 94 % unter Chemotherapie auf 47 % unter zielgerichteten Kombinationen. Personalisiertere Behandlung basierend auf den spezifischen genetischen Alterationen im Tumor jedes Kindes.

Dennoch bleiben wichtige Fragen, die Familien mit ihrem medizinischen Team besprechen sollten:

  1. Wie lange dauert die Behandlung? Die optimale Dauer der zielgerichteten Therapie ist unbekannt, und ein Wiederaufflammen des Tumorwachstums ist eine reale Sorge.
  2. Welche Langzeitwirkungen gibt es? Da diese Medikamente relativ neu sind, ist ihre Auswirkung auf Wachstum, Entwicklung, Fruchtbarkeit und das Risiko für Zweittumore über Jahrzehnte hinweg nicht vollständig verstanden.
  3. Wie werden Nebenwirkungen behandelt? Obwohl sie generell besser vertragen werden als Chemotherapie, erfordern zielgerichtete Therapien dennoch eine sorgfältige Überwachung und Behandlung spezifischer Toxizitäten.
  4. Was ist mit Kosten und Verfügbarkeit? Diese neueren Behandlungen sind teuer, und der Zugang kann je nach Versicherung und geografischer Lage variieren.

Die Ära der zielgerichteten Therapie bei pädiatrischen niedriggradigen Gliomen ist nun angebrochen. Sie bietet neue Hoffnung für Kinder mit diesen Tumoren, stellt aber auch neue Herausforderungen dar, die Forschende weiterhin angehen.

Quelleninformationen

Originaltitel des Artikels: Future perspective of targeted treatments in pediatric low-grade glioma (pLGG): the evolution of standard-of-care and challenges of a new era

Autoren: Ashley S. Plant-Fox, Uri Tabori

Veröffentlichung: Child's Nervous System (2024)

DOI: https://doi.org/10.1007/s00381-024-06504-7

Dieser patientenfreundliche Artikel basiert auf peer-reviewter Forschung und zielt darauf ab, komplexe medizinische Informationen für Patienten und Familien zugänglich zu machen, wobei alle wesentlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse und Datenpunkte der Originalpublikation erhalten bleiben.