Verständnis eines komplexen medizinischen Falls: Wenn Rückenschmerzen und Müdigkeit auf einen verborgenen Tumor hindeuten. a29

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Bei dieser 65-jährigen Patientin entwickelten sich nach einer leichten Arbeitsverletzung eine ausgeprägte Schwäche, Rückenschmerzen und eine bedrohliche Panzytopenie. Trotz initialer Behandlung der Rückenschmerzen verschlechterte sich ihr Zustand rasch mit zunehmender Müdigkeit, Gewichtsverlust und auffälligen Blutwerten, die auf eine schwere Knochenmarkstörung hindeuteten. Umfangreiche Untersuchungen ergaben schließlich ein aggressives neuroendokrines Karzinom mit Knochenmarkbefall, das eine tumorbedingte thrombotische Mikroangiopathie auslöste – eine seltene Komplikation, bei der Krebszellen die Blutbildung unterdrücken und schwerwiegende systemische Schäden verursachen.

Verständnis eines komplexen medizinischen Falls: Wenn Rückenschmerzen und Müdigkeit auf verborgenen Krebs hinweisen

Inhaltsverzeichnis

Fallvorstellung: Symptome einer 65-jährigen Patientin

Eine 65-jährige Frau wurde mit Verdacht auf Panzytopenie (gefährlich niedrige Werte aller Blutzellen) und starken Rückenschmerzen ins Massachusetts General Hospital verlegt. Ihre Symptome hatten drei Wochen zuvor begonnen: mittellinienbetonte zervikale, thorakale und lumbale Rückenschmerzen, die nach dem Umdrehen eines Patienten während ihrer Tätigkeit als Haushaltshilfe auftraten.

Die anfängliche neurologische Untersuchung ergab eine erhaltene Kraft, normalen Gang und keine Wirbelsäulendruckempfindlichkeit. Sie erhielt Prednison, Tramadol und Cyclobenzaprin sowie Physiotherapie, doch die Schmerzen blieben bestehen. Röntgenaufnahmen der Wirbelsäule zeigten lediglich eine diffuse Osteopenie (verminderte Knochendichte) und eine mäßige degenerative Bandscheibenerkrankung ohne akute Fraktur.

Vier Tage vor der Verlegung fand ihre Schwester sie aufgrund der Rückenschmerzen bewegungsunfähig auf dem Fußboden ihrer Wohnung liegend. Sie wurde in die Notaufnahme eines anderen Krankenhauses gebracht, wo kritische Laborabweichungen festgestellt wurden: Thrombozytenzahl von 14.000 pro Mikroliter (Norm: 150.000–450.000), Hämoglobinwert von 8,9 g/dl (Norm: 12,0–16,0) und Leukozytenzahl von 5.100 pro Mikroliter (Norm: 4.500–11.000). Ihr Blutausstrich wies unreife Granulozyten und kernhaltige rote Blutzellen auf – beides abnorme Befunde, die auf eine Knochenmarkbelastung hindeuten.

Medizinische Anamnese und Risikofaktoren

Die Patientin hatte eine bedeutende medizinische Vorgeschichte mit primärer Hypothyreose, Typ-2-Diabetes, Migräne und einem bekannten intraduktal papillär muzinösen Neoplasma (eine Art Pankreaszyste). Sie hatte sich einer Sigmaresektion und partiellen Dünndarmresektion bei komplizierter Divertikulitis unterzogen, zudem in der Vergangenheit einer Hysterektomie und Cholezystektomie.

Ihre Medikation umfasste Escitalopram, Topiramat, Levothyroxin und eine Pankreasenzymersatztherapie. Kritisch war ihre 80-Packungsjahre Rauchgeschichte (zwei Packungen täglich über 40 Jahre), obwohl sie vor drei Jahren aufgehört hatte. Sie konsumierte keinen Alkohol oder Freizeitdrogen.

Ihre Familienanamnese war auffällig für Mammakarzinom bei ihrer Mutter (diagnostiziert mit 70 Jahren) und kolorektales Karzinom bei ihrer Nichte (diagnostiziert mit 40 Jahren). Vor 18 Monaten war eine Koloskopie durchgeführt worden, die hyperplastische Polypen und tubuläre Adenome zeigte, die reseziert wurden, sowie vor fünf Jahren eine unauffällige Mammographie.

Erstuntersuchung und Laborbefunde

Bei Aufnahme ins Massachusetts General Hospital zeigten die Vitalparameter eine Temperatur von 36,2°C, Herzfrequenz von 89 Schlägen pro Minute, Atemfrequenz von 16 Atemzügen pro Minute, Blutdruck von 167/71 mmHg und eine Sauerstoffsättigung von 95% unter Raumluft. Sie wirkte blass und müde mit epigastrischer Druckempfindlichkeit, jedoch ohne Ekchymosen oder Petechien (Hautblutungen).

Ihre Blutwerte hatten sich verschlechtert: Thrombozytenzahl auf 10.000 pro Mikroliter gesunken, Hämoglobin auf 7,5 g/dl und Leukozytenzahl auf 2.860 pro Mikroliter. Das manuelle Differentialblutbild zeigte 9,4% kernhaltige rote Blutzellen (Norm: 0%), 1,0% Plasmazellen (Norm: 0%) und 1,0% Metamyelozyten (Norm: 0%). Die Retikulozytenzahl betrug 1,9% (Norm: 0,7–2,5%).

Zusätzliche abnorme Laborbefunde umfassten:

  • Laktatdehydrogenase-Wert über 2500 U/l (Norm: 110–210)
  • Ferritin-Wert 24.325 μg/l (Norm: 10–200)
  • Haptoglobin-Wert 91 mg/dl (Norm: 30–200)
  • Aspartat-Aminotransferase 102 U/l (Norm: 9–32)
  • Alanin-Aminotransferase 64 U/l (Norm: 7–33)
  • Alkalische Phosphatase 308 U/l (Norm: 45–115)
  • Lipase über 3000 U/l (Norm: 13–60)

Der periphere Blutausstrich zeigte basophile Tüpfelung, hypolobierte Neutrophile mit prominenten Granula und Thrombozytopenie mit vereinzelten großen Thrombozyten. Es wurden keine Blasten oder Schistozyten (fragmentierte rote Blutzellen) gesehen.

Differenzialdiagnose: Abwägung aller Möglichkeiten

Die Ärzte zogen eine umfangreiche Liste möglicher Ursachen für ihre Panzytopenie in Betracht, gegliedert in mehrere Kategorien:

Nährstoffmängel: Vitamin-B12- und Folatmangel können megaloblastäre Anämie mit Panzytopenie verursachen, doch ihre Werte waren normal. Kupfermangel wurde ebenfalls durch normale Kupferwerte ausgeschlossen.

Toxine: Medikamente, Alkohol oder andere Toxine können Knochenmarksuppression verursachen, doch sie nahm keine typischerweise mit Panzytopenie assoziierten Medikamente ein und hatte keinen relevanten Alkoholkonsum.

Infektionen: Verschiedene Virusinfektionen (Epstein-Barr-Virus, Zytomegalievirus, HIV, Virushepatitis) können Panzytopenie verursachen, doch umfangreiche Tests hierfür und für zeckenübertragene Erkrankungen waren negativ.

Autoimmunerkrankungen: Autoimmunerkrankungen können über verschiedene Mechanismen Zytopenien verursachen, doch ihr fehlten typische systemische Manifestationen abgesehen von ihrem deutlich erhöhten Ferritin, das auf Entzündung hindeutete.

Thrombotische Mikroangiopathie: Dies umfasst Erkrankungen wie thrombotisch-thrombozytopenische Purpura (TTP), bei der sich kleine Blutgerinnsel im gesamten Körper bilden und rote Blutzellen sowie Thrombozyten zerstören. Sie wurde initial zur TTP-Abklärung verlegt, doch das Fehlen von Schistozyten im wiederholten Blutausstrich machte dies unwahrscheinlicher.

Primäre hämatologische Malignome: Leukämien oder Lymphome können die normale Blutbildung stören, doch ihre Präsentation war für diese Erkrankungen nicht typisch.

Myelophthise: Dies bezeichnet die Invasion und Verdrängung des Knochenmarks durch Nicht-Blutzellen, typischerweise durch metastasierenden Krebs. Ihr peripherer Blutausstrich mit kernhaltigen roten Blutzellen, Gewichtsverlust, Knochenschmerzen und Rauchgeschichte ließ dies stark in Betracht ziehen.

Diagnostischer Prozess und Bildgebungsergebnisse

Die CT-Bildgebung des Thorax ergab mehrere bedenkliche Befunde:

  • Supraklavikuläre, mediastinale und hiläre Lymphadenopathie mit vergrößerten Lymphknoten bis 26 mm
  • Ein 11 mm lobulierter, solider Knoten im rechten Mittellappen
  • Noduläre interlobuläre Septenverdickung und Milchglastrübungen im rechten Oberlappen
Diese Befunde könnten auf Infektion, Sarkoidose oder lymphangitische Karzinomatose (Krebsausbreitung über Lymphbahnen) hindeuten.

Angesichts dieser Befunde und ihres sich verschlechternden Zustands führten die Ärzte eine Knochenmarkbiopsie durch, um nach Hinweisen auf Krebsinfiltration zu suchen.

Endgültige Diagnose und Erklärung

Die Knochenmarkbiopsie zeigte eine extensive Infiltration durch atypische Zellen mit gesprenkeltem Chromatin, nuclear molding und Nekrosearealen. Die immunhistochemische Färbung ergab, dass diese Zellen positiv für CD56 und Synaptophysin waren – Marker, die auf neuroendokrine Differenzierung hindeuten.

Die endgültige Diagnose war Knochenmarkinfiltration durch metastasierendes neuroendokrines Karzinom mit kankerassoziierter thrombotischer Mikroangiopathie. Dies bedeutet, dass ein aggressiver neuroendokriner Krebs (wahrscheinlich von der Lunge ausgehend angesichts ihrer extensiven Rauchgeschichte) sich in ihr Knochenmark ausgebreitet hatte, die normale Blutbildung störte und die destruktiven Veränderungen im gesamten Körper verursachte.

Krebsassoziierte thrombotische Mikroangiopathie tritt auf, wenn Tumorzellen kleine Blutgefäße schädigen, was zur Fragmentierung roter Blutzellen, Thrombozytenverbrauch und Gewebeschäden führt. Dies erklärte ihre Kombination aus Panzytopenie, erhöhter Laktatdehydrogenase und anderen Laborabweichungen.

Klinische Implikationen für Patienten

Dieser Fall veranschaulicht mehrere wichtige klinische Punkte für Patienten:

Erstens können scheinbar routinemäßige Symptome wie Rückenschmerzen und Müdigkeit manchmal auf ernste zugrundeliegende Erkrankungen hinweisen, besonders wenn sie trotz angemessener Behandlung persistieren oder von anderen besorgniserregenden Symptomen wie Gewichtsverlust oder Nachtschweiß begleitet werden.

Zweitens ist eine umfassende Anamnese inklusive Rauchgeschichte, Familienkrebsgeschichte und vollständiger Medikamentenüberprüfung entscheidend für die korrekte Diagnose. Ihre 80-Packungsjahre Rauchgeschichte war ein kritischer Hinweis auf Lungenkrebs.

Drittens erfordert Panzytopenie (niedrige Blutwerte aller Zellreihen) eine gründliche Abklärung, da sie auf Knochenmarkinfiltration durch Krebs hinweisen kann, selbst wenn offensichtliche Tumormassen in der Bildgebung nicht sofort sichtbar sind.

Schließlich ist kankerassoziierte thrombotische Mikroangiopathie eine seltene aber ernste Komplikation fortgeschrittener Krebserkrankungen, die andere Blutstörungen imitieren kann. Früherkennung ist wichtig, da die Behandlung den zugrundeliegenden Krebs adressieren muss und nicht nur die Blutabweichungen.

Einschränkungen dieser Fallstudie

Während dieser Fall wertvolle Einblicke bietet, ist es wichtig, seine Einschränkungen als Einzelfallbericht zu erkennen:

Die beschriebene Präsentation stellt eine ungewöhnliche und schwere Krebsmanifestation dar. Die meisten Patienten mit Rückenschmerzen oder Müdigkeit haben keinen zugrundeliegenden Krebs, und die meisten Krebserkrankungen präsentieren sich nicht mit so dramatischen Blutabweichungen.

Die Patientin hatte multiple Risikofaktoren (extensive Rauchgeschichte, vorangegangene abdominale Operationen, Familienkrebsgeschichte), die auf andere Patienten mit ähnlichen Symptomen möglicherweise nicht zutreffen.

Als Fallbericht repräsentiert dies klinische Erfahrung eher als systematische Forschung. Die Befunde sollten nicht ohne Berücksichtigung individueller Umstände auf alle Patienten verallgemeinert werden.

Der beschriebene diagnostische Prozess erfolgte in einem großen akademischen Medizinzentrum mit umfangreichen Ressourcen. Gemeinschaftskrankenhäuser könnten ähnliche Fälle basierend auf verfügbarer Expertise und Testmöglichkeiten unterschiedlich angehen.

Patientenempfehlungen und Schlussfolgerungen

Basierend auf diesem Fall sollten Patienten:

  1. Persistierende Symptome melden, die sich unter Initialtherapie nicht bessern, besonders wenn begleitet von Gewichtsverlust, Nachtschweiß oder exzessiver Müdigkeit
  2. Vollständige medizinische Anamnesen liefern inklusive Rauchgeschichte, Familienkrebsgeschichte und aller Medikamente und Supplemente
  3. Empfohlene Krebsvorsorgeuntersuchungen wahrnehmen basierend auf Alter, Geschlecht und Risikofaktoren
  4. Umgehende Abklärung suchen bei besorgniserregenden Symptomen wie leichtem Blauecken, Blutungen oder schwerer unerklärlicher Müdigkeit
  5. Verstehen, dass umfassende Abklärung manchmal multiple Tests erfordert, um seltene oder ungewöhnliche Erkrankungen zu identifizieren

Für Patienten mit ähnlicher Präsentation betont dieser Fall, dass bei persistierenden Blutabweichungen ohne klare Erklärung gründliche Evaluation inklusive Knochenmarkuntersuchung notwendig sein kann, besonders bei Risikofaktoren für Krebs.

Quelleninformation

Originalartikeltitel: Fall 7-2025: Eine 65-jährige Frau mit Schwäche, Rückenschmerzen und Panzytopenie

Autoren: Rebecca K. Leaf, MD; Brandon H. Messick, DO; Catherine B. Meador, MD, PhD; Derek Loneman, MD

Publikation: The New England Journal of Medicine, 27. Februar 2025; 392:903–914

DOI: 10.1056/NEJMcpc2412515

Dieser patientenfreundliche Artikel basiert auf begutachteter Forschung des New England Journal of Medicine. Er bewahrt alle wesentlichen medizinischen Befunde, Laborwerte und klinischen Details des originalen Fallberichts, während er die Informationen für gebildete Patienten zugänglich macht.