Die Bedeutung von Anti-Natalizumab-Antikörpern in der Therapie der Multiplen Sklerose.

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Diese umfassende Analyse von 1.251 Patienten mit Multipler Sklerose unter Natalizumab-Therapie ergab, dass sich bei 12,3 % der Patienten Antikörper gegen das Medikament (Antidrug-Antikörper, ADA) bildeten, die signifikant mit infusionsbedingten Ereignissen assoziiert waren. Patienten mit Infusionsreaktionen entwickelten diese Antikörper doppelt so häufig (21,6 % vs. 10,8 %). Bei Patienten mit persistierenden Antikörpern traten häufig bereits früh in der Behandlung hohe Antikörperspiegel auf. Diese Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung des Antikörper-Monitorings zur Optimierung von Therapiesicherheit und -wirksamkeit.

Anti-Natalizumab-Antikörper in der MS-Therapie verstehen

Inhaltsverzeichnis

Einführung: Warum Antikörpertests wichtig sind

Natalizumab (Handelsname Tysabri) ist ein Biologikum zur Behandlung der schubförmig remittierenden Multiplen Sklerose (RRMS). Es wirkt, indem es spezifische Proteine auf Immunzellen blockiert und so verhindert, dass diese ins Zentralnervensystem eindringen und Entzündungen auslösen. Bei manchen Patienten erkennt das Immunsystem das Medikament jedoch als Fremdstoff und bildet Antikörper dagegen.

Diese Anti-Natalizumab-Antikörper (ANA) können erhebliche Probleme verursachen: Sie können die Wirksamkeit des Medikaments mindern, indem sie seine biologischen Effekte neutralisieren oder seinen Abbau beschleunigen. Zudem können sie zu Infusionsreaktionen führen und den Behandlungserfolg bei der Kontrolle der MS-Symptome beeinträchtigen.

Die Studie untersuchte, wie häufig diese Antikörper in der klinischen Praxis auftreten und in welchem Zusammenhang sie mit Infusionsreaktionen und Krankheitsschüben stehen. Dieses Wissen unterstützt Ärzte und Patienten bei Therapieentscheidungen und beim Management möglicher Komplikationen.

Studiendurchführung

Die Forscher werteten retrospektiv Daten von 1.251 MS-Patienten aus, die zwischen 2007 und 2020 mit Natalizumab behandelt wurden. Die Patienten stammten aus verschiedenen Krankenhäusern in Spanien und Portugal, was eine breite Abbildung der Behandlungspraxis ermöglichte.

Im Fokus standen Patienten, die entweder Infusionsreaktionen (IRE) oder Krankheitsschübe (KS) unter der Therapie entwickelten. IRE umfassten Reaktionen während oder nach der Infusion, KS bezogen sich auf klinische oder radiologische Hinweise für ein MS-Fortschreiten.

Für den Antikörpernachweis kam ein zweistufiger ELISA-Test zum Einsatz, entwickelt von Biogen, dem Hersteller von Natalizumab. Das Verfahren umfasste:

  • Ein Screening-Assay zum Antikörpernachweis
  • Ein Bestätigungstest zur Spezifitätsprüfung
  • Qualitätskontrollen zur Sicherung der Ergebnisse
  • Kompetitionskontrollen zur Bestätigung positiver Befunde

Patienten wurden je nach Antikörperstatus in drei Gruppen eingeteilt: negativ, transient positiv (ein positiver, dann negative Befunde) oder persistierend positiv (mindestens zwei positive Tests im Abstand von ≥1 Monat). Die Gruppen wurden statistisch auf signifikante Muster untersucht.

Detaillierte Studienergebnisse

Bei 153 von 1.251 Patienten (12,3%) wurden im Behandlungsverlauf Anti-Natalizumab-Antikörper nachgewiesen. Diese Patienten sind potenziell von verminderter Wirksamkeit oder Nebenwirkungen betroffen.

Unter den 539 Patienten (43,1%), die aufgrund von Krankheitsschüben getestet wurden, wiesen nur 58 (10,8%) Antikörper auf. Dagegen hatten von den 371 Patienten (29,7%) mit Infusionsreaktionen 80 (21,6%) Antikörper – ein hochsignifikanter Unterschied (p < 0,001).

Antikörper traten am häufigsten in den ersten sechs Infusionen auf: 150 positive Proben (21,1% aller Tests in diesem Zeitraum). Patienten mit Infusionsreaktionen entwickelten in dieser Phase signifikant häufiger Antikörper (38,28%) als Patienten mit Schüben (24,51%; p = 0,022).

Von 184 Patienten mit Mehrfachtests hatten 58 (31,5%) persistierende und 13 (7,1%) transiente Antikörper. Der mediane Testabstand betrug 42 Tage (Spanne: 2–169 Tage), was auf eine dynamische Antikörperentwicklung hindeutet.

Persistierende Antikörper korrelierten stärker mit klinischen Symptomen: Bei Patienten mit Schüben hatten 26,1% persistierende und 2,6% transiente Antikörper; bei IRE waren es 43% bzw. 9,3%.

Erstmals positive Patienten mit hohen Antikörperspiegeln entwickelten signifikant häufiger persistierende Antikörper (78,5% vs. 45,5% bei transienten Antikörpern; p = 0,02). Die initiale Antikörperhöhe könnte somit die Persistenz vorhersagen.

Bedeutung für Patienten

Die Ergebnisse haben direkte Konsequenzen für Natalizumab-behandelte MS-Patienten. Antikörper gegen das Medikament beeinflussen Sicherheit und Wirksamkeit der Therapie.

Patienten mit Infusionsreaktionen sollten besonders auf Antikörperentwicklung achten: Über 21% dieser Patienten hatten nachweisbare Antikörper. Ein frühzeitiger Test kann Therapieentscheidungen vor ernsteren Komplikationen lenken.

Die ersten sechs Infusionen sind ein kritisches Zeitfenster für die Überwachung, da hier die meisten Antikörper auftreten. Achten Sie in dieser Phase besonders auf Infusionsreaktionen oder nachlassende Wirksamkeit.

Bei persistierenden Antikörpern empfiehlt der Hersteller, Natalizumab abzusetzen, um Wirkverlust und Sicherheitsrisiken zu vermeiden. Hohe initiale Antikörperspiegel könnten eine engmaschigere Kontrolle und frühere Therapieanpassung rechtfertigen.

Studieneinschränkungen

Die retrospektive Design begrenzt die Aussagekraft: Es wurden vorhandene Daten ausgewertet, nicht prospektiv geplant erhoben.

Der Testzeitpunkt variierte zwischen Patienten, was Vergleiche über verschiedene Therapiephasen hinweg erschwert.

Es fehlten detaillierte klinische Daten zu Begleiterkrankungen, Medikation oder MS-Charakteristika, die die Antikörperentwicklung beeinflussen könnten.

Ohne Kontrollgruppe asymptomatischer Patienten bleibt unklar, wie häufig Antikörper ohne klinische Symptome auftreten.

Die Studie erfasste nicht, wie Ärzte die Testergebnisse in der Therapie umsetzten. Dies würde wertvolle Einblicke in die Versorgungspraxis geben.

Empfehlungen für Patienten

Für mit Natalizumab behandelte MS-Patienten ergeben sich folgende Empfehlungen:

  1. Wachsamkeit in der Frühphase – Besonders in den ersten sechs Infusionen auf Infusionsreaktionen oder Symptomveränderungen achten.
  2. Infusionsreaktionen erkennen – Typische Zeichen sind Hautrötung, Ausschlag, Juckreiz, Schwindel oder Atembeschwerden während oder nach der Infusion. Melden Sie diese umgehend.
  3. Antikörpertest ansprechen – Bei Infusionsreaktionen oder Schüben, besonders in den ersten sechs Monaten, auf einen Test hinwirken.
  4. Befunde richtig einordnen – Ein einmalig positiver Test bedeutet nicht zwangsläufig persistierende Antikörper. Verlaufskontrollen klären die Persistenz.
  5. Therapie aktiv mitgestalten – Bei persistierenden Antikörpern alternative Behandlungsoptionen mit dem Arzt besprechen.

Hinweis: Die meisten Patienten (ca. 88%) entwickeln keine Antikörper. Dennoch unterstützt das Bewusstsein für das Risiko eine adäquate Überwachung und rechtzeitige Intervention.

Quellen

Originaltitel: Natalizumab-Immunogenitätsbewertung bei Patienten mit infusionsbedingten Ereignissen oder Krankheitsschüben

Autoren: Nicolás Lundahl Ciano-Petersen, Pablo Aliaga-Gaspar, Isaac Hurtado-Guerrero, Virginia Reyes, José Luis Rodriguez-Bada, Eva Rodriguez-Traver, Ana Alonso, Isabel Brichette-Mieg, Laura Leyva Fernández, Pedro Serrano-Castro, und Begoña Oliver-Martos

Veröffentlichung: Frontiers in Immunology, 22. August 2023

DOI: 10.3389/fimmu.2023.1242508

Dieser patientengerechte Artikel basiert auf einer begutachteten Studie und hält sich an originale Daten, Statistiken und Ergebnisse, macht diese aber für Patienten und Angehörige verständlich.