Phäochromozytom und Paragangliom verstehen: Ein Patientenleitfaden zu Diagnose und Behandlung.

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Dieser Übersichtsartikel erläutert, dass Phäochromozytome und Paragangliome seltene Tumore sind, die zu gefährlichen Blutdruckkrisen führen und zahlreiche andere Erkrankungen nachahmen können. Mit einer jährlichen Inzidenz von etwa 0,6 Fällen pro 100.000 Einwohner erfordern sie eine spezialisierte Diagnostik, eine sorgfältige Operationsplanung sowie eine genetische Abklärung, da bis zu 40 % der Fälle auf vererbte Genmutationen zurückgehen. Die Behandlung besteht in der chirurgischen Entfernung nach spezifischer präoperativer Medikamenteneinstellung. Aufgrund des Risikos für Rückfälle oder weiterer Tumore ist eine langfristige Nachsorge unerlässlich.

Phäochromozytom und Paragangliom verstehen: Ein Patientenleitfaden zu Diagnose und Behandlung

Inhaltsverzeichnis

Einführung: Seltene, aber bedeutsame Tumore

Phäochromozytome und Paragangliome sind seltene Tumore, die Ärzte gleichermaßen faszinieren und vor Herausforderungen stellen. Sie produzieren übermäßig viele Katecholamine (Stresshormone wie Adrenalin), was Symptome auslösen kann, die über 30 verschiedenen Krankheitsbildern ähneln. Unerkannt können diese Tumore lebensbedrohlich sein, weshalb eine frühzeitige Diagnose für die Patientensicherheit entscheidend ist.

Der Diagnoseprozess umfasst komplexe biochemische Tests und spezialisierte bildgebende Verfahren zur Lokalisierung der Tumore. Obwohl die chirurgische Entfernung die primäre Behandlung darstellt, erfordert die Operationsvorbereitung eine sorgfältige Medikamenteneinstellung, und die Wahl der chirurgischen Technik hängt von den Tumoreigenschaften ab. Jüngste Fortschritte im Verständnis der genetischen Grundlagen haben die Behandlung zunehmend individualisiert und komplexer gemacht.

Historischer Hintergrund und Terminologie

Die erste detaillierte Beschreibung eines Phäochromozytoms stammt vom deutschen Pathologen Max Schottelius aus dem späten 19. Jahrhundert. Er dokumentierte 1886 den Fall einer 18-jährigen Frau, die nach Panikattacken, Herzrasen und starkem Schwitzen verstarb. Spätere Untersuchungen ergaben, dass die Patientin an einer multiplen endokrinen Neoplasie Typ 2 (MEN2) litt – der ersten dokumentierten Instanz dieses genetischen Syndroms.

Der Begriff "Phäochromozytom" wurde 1912 vom deutschen Pathologen Ludwig Pick geprägt. Laut der WHO-Klassifikation von 2017 bezeichnen Phäochromozytome Tumore der Nebennieren, während Paragangliome außerhalb der Nebennieren auftreten. Die Unterscheidung erfolgt nicht mikroskopisch, sondern ausschließlich anhand der Lage.

Mikroskopisch zeigen diese Tumore ein charakteristisches "Zellballen"-Muster: gut entwickelte Tumorzellen wachsen in Nestern, umgeben von Stützgewebe und spezialisierten Sustentakularzellen. Spezielle Färbungen heben Hauptzellen (Chromogranin-positiv) und Sustentakularzellen (S100-Protein-positiv) hervor.

Symptome und Diagnose

Diese Tumore treten mit einer Häufigkeit von etwa 0,6 Fällen pro 100.000 Personen pro Jahr auf. Typische Symptome sind Kopfschmerzen, Herzrasen (Palpitationen) und starkes Schwitzen. Viele Patienten leiden jedoch auch unter Angstzuständen und Panikattacken, die in der Allgemeinbevölkerung häufig sind – was die Identifizierung dieser seltenen Tumore erschwert.

Durch den zunehmenden Einsatz bildgebender Verfahren werden viele Nebennierenraumforderungen zufällig bei Untersuchungen aus anderen Gründen entdeckt. Zudem werden asymptomatische Fälle vermehrt durch Familienanamnese und Gentests auf bekannte Mutationen identifiziert.

Die Diagnose erfordert sowohl den biochemischen Nachweis einer übermäßigen Katecholaminproduktion als auch die bildgebende Darstellung des Tumors. Die Messung von plasmafraktionierten Metanephrinen (Abbauprodukte von Adrenalin) weist in 15 Studien eine Sensitivität von 97 % und eine Spezifität von 93 % auf. Die direkte Messung fraktionierter Katecholamine ist weniger sensitiv, aber Werte, die mehr als doppelt über der Norm liegen, gelten als diagnostisch.

Mehrere Faktoren können falsch positive Ergebnisse verursachen:

  • Medikamente wie trizyklische Antidepressiva, Antipsychotika, SSRI, SNRI und Levodopa
  • Akute Erkrankungen oder körperlicher Stress
  • Bestimmte klinische Umstände, die vorübergehend die Katecholaminspiegel erhöhen

Für zuverlässige Tests sollten trizyklische Antidepressiva und andere psychoaktive Medikamente mindestens zwei Wochen vor der Hormonbestimmung abgesetzt werden.

Bildgebende Verfahren

Die Bildgebung richtet sich nach drei klinischen Szenarien:

Szenario 1: Patienten mit Symptomen und deutlich erhöhten Metanephrinen oder Katecholaminen benötigen ein kontrastmittelverstärktes CT oder MRT des Abdomens. Bei unauffälligem Befund können zusätzlich MRT-Untersuchungen von Schädelbasis, Hals, Brustkorb und Becken erforderlich sein.

Szenario 2: Bei zufällig entdeckten Nebennieren- oder retroperitonealen Raumforderungen mit einer Dichte über 10 Hounsfield-Einheiten im Nativ-CT ist eine biochemische Abklärung notwendig. Bei auffälligen Werten folgt ein kontrastmittelverstärktes CT oder MRT. Bei Raumforderungen über 10 cm oder außerhalb der Nebenniere kann zusätzliche Bildgebung zum Ausschluss von Metastasen erforderlich sein.

Szenario 3: Patienten mit bekannten krankheitsverursachenden Mutationen benötigen mutationsspezifische Überwachungsprotokolle.

Funktionelle Bildgebungsverfahren sind besonders effektiv zur Tumorbokalisation:

  • 123I-MIBG-Szintigraphie (nuklearmedizinische Untersuchung)
  • 68Ga-DOTATATE-PET-CT (kombinierte PET-/CT-Untersuchung)
  • 18F-L-DOPA-PET-CT (funktionelle und anatomische Bildgebung)

Kopf-Hals-Paragangliome zeigen sich typischerweise als schmerzlose, langsam wachsende Raumforderungen, oft als Karotiskörperchentumore oder vagale Paragangliome. Bei Lage in der jugulotympanalen Region können sie Schallleitungsschwerhörigkeit und pulsierenden Tinnitus (im Rhythmus des Herzschlags) verursachen. Fortgeschrittene Fälle können mit Hirnnervenausfällen einhergehen. Eine Katecholaminübersekretion ist bei diesen Lokalisationen selten.

Behandlungsoptionen und chirurgische Verfahren

Die chirurgische Entfernung ist die Behandlung der Wahl. Die meisten Tumore werden auf Basis biochemischer und bildgebender Befunde reseziert. Entscheidend sind der Operationszeitpunkt und der chirurgische Zugang.

Die traditionelle präoperative Vorbereitung umfasst eine kombinierte Alpha- und Beta-Blockade zur Blutdruckkontrolle und Vermeidung gefährlicher intraoperativer Spitzen. Dazu gehören:

  • Alpha-Blocker: Phenoxybenzamin (beginnend mit 10 mg 2x täglich, Steigerung auf 30 mg 3x täglich) oder Doxazosin (beginnend mit 1 mg täglich, Steigerung auf 10 mg 2x täglich)
  • Hochsalzdiät (ca. 5000 mg/Tag) und reichlich Flüssigkeit (ca. 2,5 Liter/Tag)
  • Beta-Blocker: retardiertes Metoprolol (beginnend mit 25 mg 1x täglich, Steigerung auf 100 mg 2x täglich), erst nach wirksamer Alpha-Blockade zur Herzfrequenzkontrolle

Eine prospektive Studie aus dem Jahr 2017 mit 276 Patienten (110 mit, 166 ohne Blockade) fand jedoch keine signifikanten Unterschiede im intraoperativen Blutdruckverlauf, hypertensiven Episoden oder schwerwiegenden Komplikationen. Dies hat die Diskussion über Operationen ohne präoperative Blockade in ausgewählten Fällen eröffnet, obwohl die Leitlinien weiterhin eine Blockade für alle Patienten empfehlen.

Die chirurgischen Techniken haben sich erheblich weiterentwickelt. Während bis 1996 die offene Laparotomie mit vollständiger Nebennierenentfernung Standard war, sind heute endoskopische Verfahren (transabdominal oder retroperitoneal) aufgrund kürzerer Operationszeiten, weniger Komplikationen und kürzerer Krankenhausaufenthalte bevorzugt. Tumore bis 5 cm können sicher endoskopisch entfernt werden; bei größeren Tumoren entscheiden Tumoreigenschaften und chirurgische Expertise.

Bei beidseitigen Nebennierenphäochromozytomen ermöglicht die seit 1999 etablierte organerhaltende Chirurgie den Verzicht auf lebenslange Hormonersatztherapie. Bereits ein Drittel einer Nebenniere reicht für die normale Hormonproduktion aus. Tumore in ungewöhnlichen Lokalisationen (Becken, Brustkorb) können oft minimal-invasiv entfernt werden.

Kopf-Hals-Paragangliome erfordern individualisierte, interdisziplinäre Ansätze aus Chirurgie, stereotaktischer Radiochirurgie, Strahlentherapie oder Überwachung. Die chirurgische Resektion bietet die einzige kurative Option, fortgeschrittene Fälle weisen jedoch häufig postoperative Hirnnervenausfälle auf.

Genetische Ursachen und vererbte Syndrome

Seit der Identifizierung des RET-Proto-Onkogens 1993 wurden mindestens 19 Suszeptibilitätsgene für diese Tumore entdeckt. Etwa 40 % der Patienten tragen Keimbahnmutationen in bekannten Risikogenen. Die Forschung beschreibt 10 klinisch relevante Syndrome:

MEN2 (Multiple endokrine Neoplasie Typ 2): Verursacht durch RET-Mutationen. Bis zu 50 % der Patienten entwickeln Phäochromozytome, praktisch alle einen medullären Schilddrüsenkrebs, und 20 % der MEN2A-Patienten einen Hyperparathyreoidismus.

Von-Hippel-Lindau-Erkrankung: Verursacht durch VHL-Mutationen. Patienten entwickeln verschiedene Tumore, darunter retinale Angiome, ZNS-Hämangioblastome, Nierenzellkarzinome und Pankreastumoren neben Phäochromozytomen.

Neurofibromatose Typ 1: Verursacht durch NF1-Mutationen. Patienten entwickeln Neurofibrome, Café-au-lait-Flecken und andere Tumore, selten auch Phäochromozytome.

Paragangliom-Syndrome 1–5: Verursacht durch Mutationen in SDHD (Syndrom 1), SDHAF2 (Syndrom 2), SDHC (Syndrom 3), SDHB (Syndrom 4) und SDHA (Syndrom 5). Diese weisen unterschiedliche Vererbungsmuster und Tumorrisiken auf.

Hereditäre Phäochromozytom-Syndrome: Verursacht durch TMEM127- und MAX-Mutationen, die primär zu Nebennierentumoren führen.

Weitere assoziierte Gene umfassen EGLN1, EGLN2, KIF1B, IDH1, HIF2A, MDH2, FH, SLC25A11 und DNMT3A, die weitere klinische Evaluation erfordern.

Langzeitbehandlung und Nachsorge

Die Langzeitbehandlung richtet sich nach genetischem Status und vorausgegangener Therapie. Die Forschung empfiehlt spezifische Überwachungsstrategien:

Nach chirurgischer Entfernung sollten die Metanephrinspiegel postoperativ und dann jährlich kontrolliert werden. Patienten mit beidseitiger, kortikalerhaltender Nebennierenchirurgie benötigen einen Cosyntropin-Stimulationstest zur Dokumentation der Glukokortikoidfunktion.

Für Mutationsträger gelten maßgeschneiderte Protokolle:

  • RET-Mutationsträger: Jährliche Metanephrine, Serumkalzitonin und Kalzium
  • VHL-Mutationsträger: Jährliche Metanephrine, MRT von Gehirn/Rückenmark/Abdomen und Ophthalmoskopie
  • SDH-Mutationsträger: Genabhängige Protokolle, typischerweise jährliche Metanephrine und periodische MRT oder PET-CT
  • MAX/TMEM127-Mutationsträger: Jährliche Metanephrine, abdominales MRT alle 3 Jahre
  • Neurofibromatose Typ 1: Metanephritests bei Hypertonie oder Symptomen

Patienten mit metastasierter Erkrankung können auch ohne Operation lange überleben und ihre Symptome medikamentös kontrollieren.

Studieneinschränkungen

Dieser Übersichtsartikel benennt mehrere Einschränkungen im aktuellen Wissen. Die Seltenheit der Erkrankungen erschwert groß angelegte randomisierte Studien; die meisten Untersuchungen umfassen kleine Patientenzahlen.

Die Debatte um die präoperative adrenerge Blockade bleibt ohne Konsens und unterstreicht den Bedarf an weiterer Forschung. Chirurgische Techniken entwickeln sich stetig weiter, und die optimale Vorgehensweise bei Tumoren über 5 cm hängt von der individuellen Expertise ab.

Das genetische Verständnis wächst kontinuierlich, neu identifizierte Gene erfordern weitere klinische Korrelationen. Die Langzeitergebnisse nicht-operativ behandelter metastasierter Erkrankungen bedürfen zusätzlicher Studien.

Patientenempfehlungen

Basierend auf der Forschung sollten Betroffene folgende Empfehlungen beachten:

  1. Spezialisierte Versorgung aufsuchen: Behandlung durch mit diesen Tumoren vertraute Endokrinologen, Chirurgen und Genetiker
  2. Vollständige Diagnostik durchführen lassen: Sowohl biochemische Tests als auch bildgebende Verfahren sind essenziell
  3. Genetische Beratung und Testung erwägen: Bei 40 % erblichen Fällen kann eine genetische Abklärung Behandlung und Familienscreening leiten
  4. Präoperative Vorbereitung besprechen: Nutzen und Risiken einer adrenergen Blockade mit dem Behandlungsteam erörtern
  5. Langfristige Überwachung einhalten: Regelmäßige Nachsorge mit Tests und Bildgebung wegen des Rezidivrisikos
  6. Familienmitglieder informieren: Bei nachgewiesener Mutation können Verwandte von einem Screening profitieren
  7. Symptome umgehend melden: Kopfschmerzen, Herzrasen, Schwitzen oder Blutdruckanstiege sollten dem Behandlungsteam mitgeteilt werden

Quelleninformation

Originalartikeltitel: Phäochromozytom und Paragangliom

Autoren: Hartmut P.H. Neumann, M.D., William F. Young, Jr., M.D., und Charis Eng, M.D., Ph.D.

Veröffentlichung: The New England Journal of Medicine, 8. August 2019, Band 381, Seiten 552–565

DOI: 10.1056/NEJMra1806651

Dieser patientenfreundliche Artikel basiert auf begutachteter Forschung aus The New England Journal of Medicine und soll helfen, komplexe medizinische Informationen zu diesen seltenen Tumoren zu verstehen.