Diese Übersichtsarbeit beleuchtet das Prostatakrebs-Screening mittels PSA-Tests und zeigt, dass etwa 1,3 Prostatakrebs-Todesfälle pro 1000 Männer über einen Zeitraum von 13 Jahren verhindert werden können. Gleichzeitig birgt das Screening jedoch erhebliche Risiken, darunter unnötige Biopsien, Überdiagnosen und Nebenwirkungen der Behandlung. Die Evidenz belegt, dass die aktive Überwachung (Active Surveillance) eine sinnvolle Option bei Niedrigrisiko-Karzinomen darstellt, während definitive Behandlungen wie Operation und Strahlentherapie Risiken für Harninkontinenz, erektile Dysfunktion und Darmprobleme mit sich bringen. Der Artikel unterstreicht, dass Screening-Entscheidungen eine gründliche partizipative Entscheidungsfindung zwischen Patienten und Ärzten erfordern, die individuelle Risikofaktoren und persönliche Präferenzen berücksichtigt.
Prostatakrebs-Screening verstehen: Nutzen, Risiken und Entscheidungsfindung
Inhaltsverzeichnis
- Das klinische Problem: Die Belastung durch Prostatakrebs
- PSA-Testung: Geschichte und Grenzen
- Wichtige Studienergebnisse aus großen Untersuchungen
- Mögliche Schäden durch Screening
- Behandlung nach positivem Screening
- Gemeinsamer Entscheidungsfindungsprozess
- Aktuelle Screening-Leitlinien
- Klinische Empfehlungen
- Studienlimitationen und Unsicherheiten
- Quelleninformation
Das klinische Problem: Die Belastung durch Prostatakrebs
Prostatakrebs ist derzeit die häufigste Krebsdiagnose (abgesehen von nicht-melanomem Hautkrebs) und die zweithäufigste Krebstodesursache bei Männern in den USA. Schätzungsweise 268.500 Männer erhielten 2022 die Diagnose Prostatakrebs, etwa 34.500 starben daran.
Die Erkrankung betrifft vor allem ältere Männer, mit der höchsten Neuerkrankungsrate bei Siebzigjährigen und der höchsten Sterblichkeit bei Achtzigjährigen. Es zeigen sich erhebliche ethnische Unterschiede: Nicht-hispanische schwarze Männer haben eine 1,7-fach höhere Erkrankungsrate und eine 2,1-fach höhere Sterblichkeit im Vergleich zu nicht-hispanischen weißen Männern. Hispanoamerikanische und asiatische Männer weisen niedrigere Raten auf als beide Gruppen.
Wird Prostatakrebs früh erkannt, solange er noch auf die Prostata begrenzt ist, liegt die 10-Jahres-Überlebensrate bei etwa 95%. Bei metastasiertem Krebs sinkt die 5-Jahres-Überlebensrate jedoch drastisch auf rund 35%.
PSA-Testung: Geschichte und Grenzen
Das prostataspezifische Antigen (PSA) wird sowohl von gesunden als auch von Krebszellen der Prostata gebildet. Die FDA (Food and Drug Administration) genehmigte den PSA-Test 1986 zur Verlaufskontrolle bei bekannten Prostatakrebs-Patienten und 1994 als Screening-Instrument für Männer ab 50 Jahren, kombiniert mit der digital-rektalen Untersuchung.
Bemerkenswerterweise erfolgte die Zulassung ohne Nachweis, dass die Früherkennung die Prognose der Patienten tatsächlich verbessert. Die breite Einführung des PSA-Screenings Ende der 1980er Jahre führte in den 1990ern zu einem starken Anstieg der Prostatakrebs-Neuerkrankungen, der um 2009 zu sinken begann.
Gleichzeitig ging die Prostatakrebs-Sterblichkeit seit dem Höchststand in den frühen 1990ern um etwa 50% zurück und blieb seitdem relativ konstant. Studien deuten darauf hin, dass knapp die Hälfte dieses Rückgangs auf das Screening zurückzuführen ist, der Rest auf verbesserte Behandlungen.
Wichtige Studienergebnisse aus großen Untersuchungen
Mehrere große randomisierte kontrollierte Studien haben die Wirksamkeit des PSA-Screenings untersucht:
Die European Randomized Study of Screening for Prostate Cancer (ERSPC) beobachtete 162.388 Männer im Alter von 55–69 Jahren über 16 Jahre. Die Screening-Gruppe erhielt alle 4 Jahre PSA-Tests mit einer Biopsie-Schwelle von 3,0 ng/mL. Die Studie ergab:
- Prostatakrebs-Diagnosen waren in der Screening-Gruppe nach 9 Jahren um 90% und nach 16 Jahren um 41% höher
- Die Sterberate durch Prostatakrebs betrug 0,80 (95% CI, 0,72–0,90) nach 16 Jahren
- Das entspricht der Vermeidung von 1,76 Prostatakrebs-Todesfällen pro 1000 gescreenten Männern
- Die Number Needed to Invite (NNI) für das Screening, um einen Todesfall zu verhindern, lag bei 570
Die U.K. Cluster Randomized Trial of PSA Testing (CAP) umfasste 419.582 Männer im Alter von 55–69 Jahren. Nur 36% der Interventionsgruppe unterzogen sich dem angebotenen einmaligen PSA-Screening. Nach 10 Jahren Nachbeobachtung:
- Die Prostatakrebs-Diagnoserate war in der Screening-Gruppe um 19% höher (Rate Ratio 1,19)
- Es gab keinen signifikanten Unterschied in der Prostatakrebs-Sterblichkeit
- Die Sterberate betrug 0,30 pro 1000 Personenjahre in der Interventions- gegenüber 0,31 in der Kontrollgruppe
Die U.S. Prostate, Lung, Colorectal and Ovarian (PLCO)-Studie mit 76.683 Männern im Alter von 55–74 Jahren zeigte nur begrenzten Nutzen, vermutlich weil viele Kontrollpersonen außerhalb der Studie PSA-Tests erhielten.
Basierend auf diesen Studien schätzen Forscher, dass das Screening von 1000 US-Männern im Alter von 55–69 Jahren über 13 Jahre hinweg möglicherweise 1,3 Todesfälle durch Prostatakrebs verhindern kann.
Mögliche Schäden durch Screening
Das PSA-Screening birgt mehrere erhebliche Risiken, die Patienten beachten sollten:
Falsch-positive Ergebnisse: Das kumulative Risiko eines falsch-positiven PSA-Tests über mehrere Screening-Runden wird auf 10–15% geschätzt. Etwa 5% der Screenings führen zu falsch-positiven Befunden, die unnötige Biopsien nach sich ziehen.
Biopsie-Komplikationen: Prostatabiopsien bergen Risiken wie:
- Infektionen (bei 5–7% der Patienten, Hospitalisierung bei 1–3%)
- Rektale Blutung, die medizinische Intervention erfordert (ca. 2,5%)
- Blut im Urin (Hämaturie, bei weniger als 1%)
- Harnwegsobstruktion oder -retention
- Vorübergehende erektile Dysfunktion
- Erhebliches Unbehagen während des Eingriffs
Überdiagnose: Dies tritt auf, wenn Screening Krebserkrankungen aufdeckt, die im Leben des Patienten nie Symptome verursacht oder zum Tod geführt hätten. Studien schätzen, dass 23–42% der zwischen 1985 und 2000 durch Screening entdeckten Prostatakarzinome überdiagnostiziert wurden.
Behandlungsnebenwirkungen: Für Männer, die sich behandeln lassen, sind folgende Komplikationen möglich:
- Radikale Prostatektomie: Deutlich erhöhtes Risiko für erektile Dysfunktion und Harninkontinenz
- Strahlentherapie: Mögliche Darmfunktionsstörungen und erektile Dysfunktion
- In der ProtecT-Studie war Strahlentherapie im Vergleich zur aktiven Überwachung mit schlechterer Darmfunktion verbunden
Behandlung nach positivem Screening
Bei erhöhten PSA-Werten (typischerweise über 4,0 ng/mL in den USA) stehen mehrere Optionen zur Verfügung:
Erste Schritte:
- Wiederholung des PSA-Tests zur Bestätigung und zum Ausschluss von Laborfehlern
- Abklärung vorübergehender Ursachen für PSA-Erhöhung (Prostatitis, gutartige Vergrößerung, kürzliche Ejakulation oder intensive körperliche Betätigung)
- Antibiotika werden nur bei Infektionssymptomen empfohlen
Weitere Beurteilungsinstrumente: Vor einer Biopsie können mehrere Tests das Krebsrisiko einschätzen helfen:
- PSA-Kinetik (Veränderungen der PSA-Werte über die Zeit)
- Blutbasierte Tests: Prostate Health Index, 4Kscore Test
- Urinbasierte Tests: PCA3-Test
- Stockholm-3-Modell (kombiniert multiple Faktoren)
Biopsieverfahren:
- Standardansatz: 12-Kern-ultraschallgesteuerte systematische Biopsie
- Neuerer Ansatz: Multiparametrische Magnetresonanztomographie (MRT) mit gezielter Biopsie verdächtiger Areale
- MRT-gesteuerte Biopsien verbessern die Detektion klinisch signifikanter Krebserkrankungen und reduzieren Fehlklassifikationen
- Das Prostate Imaging Reporting and Data System (PI-RADS) bewertet Läsionen von 1–5, wobei Scores ab 3+ typischerweise eine Biopsie veranlassen
Gemeinsamer Entscheidungsfindungsprozess
Gemeinsame Entscheidungsfindung ist beim Prostatakrebs-Screening entscheidend. Dieser Prozess umfasst offene Gespräche zwischen Patienten und Ärzten über:
Nutzen des Screenings:
- Mögliche Senkung der Prostatakrebs-Sterblichkeit
- Früherkennung aggressiver Krebserkrankungen
- Beruhigung durch negative Ergebnisse
Risiken des Screenings:
- Falsch-positive Ergebnisse, die zu unnötigen Eingriffen führen
- Biopsie-Komplikationen
- Überdiagnose und Übertherapie
- Behandlungsnebenwirkungen (Inkontinenz, erektile Dysfunktion)
Patientenspezifische Faktoren:
- Alter und Lebenserwartung
- Familienanamnese von Prostatakrebs
- Ethnie (höheres Risiko für schwarze Männer)
- Persönliche Werte und Präferenzen
- Komfort mit Unsicherheit versus Intervention
Entscheidungshilfen – Werkzeuge, die Patienten bei der Abwägung von Nutzen und Risiken unterstützen – können das Wissen verbessern und Entscheidungskonflikte reduzieren. Studien zeigen, dass sie das Verständnis der Patienten moderat verbessern, ohne signifikant zu beeinflussen, ob sie sich letztlich für das Screening entscheiden.
Aktuelle Screening-Leitlinien
Berufsverbände geben unterschiedliche Empfehlungen zum Prostatakrebs-Screening:
U.S. Preventive Services Task Force (USPSTF):
- Empfiehlt individualisierte Entscheidungsfindung für Männer im Alter von 55–69 Jahren
- Stellt fest, dass Screening einen kleinen potenziellen Nutzen, aber erhebliche Schäden bietet
- Rät von routinemäßigem Screening für Männer ab 70+ ab
American Cancer Society:
- Empfiehlt die Diskussion des Screenings im Alter von 50 Jahren für Männer mit durchschnittlichem Risiko
- Empfiehlt frühere Diskussion (ab 45) für Hochrisiko-Männer (schwarze Männer, positive Familienanamnese)
- Noch frühere Diskussion (ab 40) für höchstrisiko-Männer (mehrere Familienmitglieder jung diagnostiziert)
American Urological Association:
- Empfiehlt gemeinsame Entscheidungsfindung für Männer im Alter von 55–69 Jahren
- Selektives Screening für Männer im Alter von 40–54 Jahren mit höherem Risiko
- Gegen routinemäßiges Screening für Männer ab 70+ oder mit weniger als 10–15 Jahren Lebenserwartung
Alle großen Leitlinien betonen, dass Screening nicht ohne vorherige Diskussion von Nutzen und Schäden erfolgen sollte.
Klinische Empfehlungen
Für einen 60-jährigen Mann, der ein Prostatakrebs-Screening erwägt, empfehlen wir:
1. Engagieren Sie sich in gemeinsamer Entscheidungsfindung: Führen Sie ein detailliertes Gespräch mit Ihrem Arzt über Ihre persönlichen Risikofaktoren, Werte und Präferenzen. Besprechen Sie sowohl Nutzen als auch Schäden des Screenings.
2. Verwenden Sie Entscheidungshilfen: Nutzen Sie Bildungsmaterialien oder Entscheidungshilfen, die speziell für Prostatakrebs-Screening-Entscheidungen entwickelt wurden. Diese Werkzeuge können Ihnen helfen, die komplexen Abwägungen besser zu verstehen.
3. Berücksichtigen Sie persönliche Risikofaktoren: Beziehen Sie Ihre Ethnie, Familienanamnese und allgemeine Gesundheit in Ihre Entscheidung ein. Schwarze Männer und solche mit positiver Familienanamnese können von früheren oder häufigeren Screening-Diskussionen profitieren.
4. Verstehen Sie den Ablauf: Machen Sie sich klar, dass ein positives Screening-Ergebnis nur der Beginn eines Prozesses ist, der Wiederholungstests, mögliche Biopsien und schwierige Behandlungsentscheidungen beinhaltet, falls Krebs gefunden wird.
5. Kennen Sie alle Optionen: Verstehen Sie, dass aktive Überwachung (Monitoring statt sofortiger Behandlung) ein valider Ansatz für niedrigrisiko Prostatakarzinome ist, die durch Screening entdeckt wurden.
6. Berücksichtigen Sie die Lebenserwartung: Männer mit weniger als 10–15 Jahren Lebenserwartung profitieren wahrscheinlich nicht vom Screening, können aber dennoch Schäden erleiden.
Studienlimitationen und Unsicherheiten
Beim Prostatakrebs-Screening bleiben mehrere wichtige Unsicherheiten bestehen:
Fragen zur aktiven Überwachung: Obwohl sich die aktive Überwachung bei Niedrigrisikokarzinomen als sicher erwiesen hat, sind folgende Fragen offen:
- Welche Patienten mit intermediärem Risiko (Gradgruppe 2) sicher auf eine Behandlung verzichten können
- Optimale Überwachungsstrategien während der aktiven Überwachung
- Die besten Biomarker zur Steuerung von Überwachungsentscheidungen
- Appropriate Auslöser für den Wechsel von Überwachung zur Behandlung
Personalisierung des Screenings: Es ist unklar, ob eine Anpassung des Screenings basierend auf Ethnizität, genetischen Risikoscores oder anderen Faktoren die Behandlungsergebnisse tatsächlich verbessert.
Implementierung der MRT: Offen ist die Sicherheit des Verzichts auf Standardbiopsien bei Männern mit erhöhtem PSA-Wert aber unauffälligem MRT-Befund, insbesondere bei bisher nicht biopsierten Patienten.
Langzeitergebnisse: Weitere Forschung zu den sehr langfristigen Outcomes (über 15–20 Jahre hinaus) von Screening-Entscheidungen und Behandlungsansätzen ist erforderlich.
Quelleninformation
Originaltitel: Screening for Prostate Cancer
Autoren: Paul F. Pinsky, Ph.D., und Howard Parnes, M.D.
Veröffentlichung: The New England Journal of Medicine, 13. April 2023
DOI: 10.1056/NEJMcp2209151
Dieser patientenfreundliche Artikel basiert auf begutachteter Forschung aus The New England Journal of Medicine. Er bewahrt alle Originaldaten, Ergebnisse und klinischen Empfehlungen, während die Informationen für gebildete Patienten zugänglich gemacht werden.