Verständnis von spontanen Hirnblutungen: Ein umfassender Patientenleitfaden.

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Spontane intrazerebrale Blutungen (nicht traumatisch bedingte Hirnblutungen) sind für 10–15 % aller Schlaganfälle verantwortlich und weisen eine Letalitätsrate von 30–40 % auf. Zu den Hauptrisikofaktoren gehören arterielle Hypertonie, zerebrale Amyloidangiopathie (Eiweißablagerungen in den Hirngefäßen) sowie die Einnahme von Antikoagulanzien. Aktuelle Studien deuten darauf hin, dass eine frühzeitige Blutdruckeinstellung und gezielte Therapien zwar zur Komplikationskontrolle beitragen können, die chirurgische Entfernung von Blutgerinnseln jedoch nur in ausgewählten Fällen Vorteile bietet. Laufende klinische Studien befassen sich mit sichereren Antikoagulationsoptionen für Überlebende, die weiterhin Schlaganfallprävention benötigen.

Spontane Hirnblutungen verstehen: Ein umfassender Patientenratgeber

Inhaltsverzeichnis

Einführung: Was ist eine spontane intrazerebrale Blutung?

Eine spontane intrazerebrale Blutung ist eine plötzliche Blutung im Gehirn, die ohne äußere Verletzung auftritt. Sie macht etwa 10–15 % aller Schlaganfälle aus und stellt einen schwerwiegenden neurologischen Notfall dar. Anders als bei Blutungen durch Trauma, Aneurysmen oder Gefäßfehlbildungen geht die spontane Blutung direkt vom Hirngewebe aus.

Die Erkrankung hat in den letzten Jahren zunehmend Aufmerksamkeit erhalten, da die jährliche Fallzahl in den USA in den letzten zwei Jahrzehnten auf etwa 80.000 gestiegen ist. Besorgniserregend ist die hohe Sterblichkeitsrate von 30–40 %. Überlebende leiden häufig unter schweren Behinderungen, kognitiven Einschränkungen und einem erhöhten Risiko für weitere Schlaganfälle.

Symptome und frühe Beurteilung

Patienten mit spontanen Hirnblutungen entwickeln typischerweise plötzliche neurologische Symptome, die sich innerhalb von Minuten verschlechtern. Im Gegensatz zu ischämischen Schlaganfällen (durch Gefäßverschlüsse) gehen hämorrhagische Schlaganfälle oft mit zusätzlichen Beschwerden wie Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und häufig auch Bewusstseinstrübungen einher.

Die spezifischen Symptome hängen vom Ort der Blutung ab:

  • Basalganglienblutung: Verursacht Schwäche auf der gegenüberliegenden Körperseite und eine Augenabweichung zur Blutungsseite
  • Thalamusblutung: Führt zu Schwäche sowie ungewöhnlichen Augenbewegungen nach unten und innen, engen Pupillen und manchmal einer Blickwendung von der Blutungsseite weg
  • Lappenblutung (Hemisphären): Symptome entsprechen der betroffenen Hirnregion und können Schwäche, Gefühlsstörungen und Blickpräferenzen umfassen
  • Hirnstammblutung: Meist in der Brücke lokalisiert; verursacht Bewusstseinsstörungen, Ausfälle von Hirnnerven, stecknadelkopfgroße Pupillen, eingeschränkte Augenbeweglichkeit und Gesichtslähmungen
  • Kleinhirnblutung: Verursacht Schwindel, Erbrechen und Gangunsicherheiten

Die Unterscheidung zwischen hämorrhagischem und ischämischem Schlaganfall erfordert bildgebende Verfahren, da die Symptome allein nicht ausreichend sind.

Wie häufig sind Hirnblutungen und wer ist gefährdet?

Eine Metaanalyse aus 21 Ländern (1983–2006) ergab eine Inzidenz intrazerebraler Blutungen von 24,6 Fällen pro 100.000 Personenjahre. Das Risiko steigt mit dem Alter deutlich an und variiert zwischen ethnischen Gruppen.

Asiatische Bevölkerungen haben ein etwa doppelt so hohes Risiko wie Weiße. In den USA sind Schwarze und Hispanics etwa 1,6-mal häufiger betroffen. Die wichtigsten Risikofaktoren sind:

  • Bluthochdruck: Der stärkste Risikofaktor in den meisten Bevölkerungsgruppen
  • Zerebrale Amyloidangiopathie: Proteinablagerungen in den Hirngefäßen
  • Antikoagulationstherapie: Blutverdünner erhöhen das Blutungsrisiko
  • Hohes Alter: Das Risiko steigt ab 60 Jahren signifikant an
  • Genetische Faktoren: Bestimmte Apolipoprotein-Genotypen (ApoE2 und ApoE4) erhöhen das Risiko um das 3- bis 5-Fache

Studien zur Blutdruckkontrolle (PROGRESS und SPS3) zeigten, dass eine Senkung des Blutdrucks die Häufigkeit intrazerebraler Blutungen reduziert. Moderne orale Antikoagulanzien senken das Risiko im Vergleich zu Vitamin-K-Antagonisten, bleiben aber dennoch relevant.

Ursachen und Lokalisation von Hirnblutungen

Spontane intrazerebrale Blutungen entstehen typischerweise in tiefen Hirnstrukturen durch Schäden an kleinen Gefäßwänden. Diese kleinen Arterien und Arteriolen versorgen wichtige Areale wie Basalganglien, Thalamus, Brücke und tiefes Kleinhirn.

Zwei Hauptprozesse schädigen diese Gefäße:

  1. Hypertensive zerebrale Vaskulopathie: Chronischer Bluthochdruck verursacht „lipohyalinotische Veränderungen“ – eine Kombination aus Hyalinisierung und Fetteinlagerungen in den Gefäßwänden
  2. Zerebrale Amyloidangiopathie: β-Amyloid-Ablagerungen in Arteriolen und Kapillaren, vor allem bei Lappen- oder Kleinhirnblutungen

Interessanterweise sind Lappenblutungen (in äußeren Hirnregionen) in neueren Studien häufiger als tiefe Blutungen. Während Bluthochdruck ein Risikofaktor bleibt, spielen Antikoagulation und Gefäßfehlbildungen hier eine größere Rolle.

Bei zerebraler Amyloidangiopathie zeigen MRT-Aufnahmen oft mehrere asymptomatische Mikroblutungen unterschiedlichen Alters, erweiterte perivaskuläre Räume und oberflächliche Siderose (Eisenablagerungen von früheren Blutungen).

Bildgebende Diagnostik bei Hirnblutungen

Computertomographie (CT) und Magnetresonanztomographie (MRT) sind hochempfindlich und spezifisch für die Diagnose akuter intrazerebraler Blutungen. Diese Verfahren bestimmen die genaue Lage und das Ausmaß des Blutgerinnsels und sind entscheidend für die Therapieplanung.

Die Leitlinien der American Heart Association empfehlen eine CT-Angiographie für:

  • Patienten unter 70 mit Lappenblutung
  • Patienten unter 45 mit tiefer oder hinterer Schädelgrubenblutung
  • Patienten zwischen 45 und 70 ohne bekannten Bluthochdruck

Diese Zusatzuntersuchung kann zugrundeliegende Aneurysmen oder Gefäßfehlbildungen aufdecken, obwohl solche Befunde bei rein intrazerebralen Blutungen selten sind.

Das Gerinnselvolumen bei der Aufnahme ist ein starker Prädiktor für das funktionelle Ergebnis nach drei Monaten. Etwa 25 % der spontanen Blutungen zeigen eine Ausdehnung des Hämatoms zwischen erster CT und Kontrollaufnahme (innerhalb von 6–24 Stunden). Unter Antikoagulation tritt diese Expansion noch häufiger auf (30–40 %).

Schweregrad-Einschätzungsskalen

Mediziner verwenden validierte Skalen zur schnellen Einschätzung des Schweregrads. Am gebräuchlichsten ist der Intracerebral Hemorrhage (ICH) Score, der folgende Faktoren berücksichtigt:

  • Glasgow Coma Scale (Bewusstseinslage)
  • Alter des Patienten
  • Infratentorielle Blutung (untere Hirnareale)
  • Intraventrikuläre Blutung (Hirnventrikel)
  • Gerinnselvolumen

Dieses System hilft bei der Abschätzung der Frühsterblichkeit, der Sterblichkeit nach 12 Monaten und des funktionellen Outcomes. Sein Hauptzweck liegt jedoch in der Qualitätssicherung und Aufklärung der Angehörigen, nicht in der Therapieentscheidung für den Einzelfall.

Behandlungsansätze bei früher Verschlechterung

Nach einer Hirnblutung liegt der Fokus auf der Vermeidung weiterer Schäden. Drei Hauptaspekte stehen im klinischen Mittelpunkt: Gerinnselausdehnung, sekundäres Hirnödem und intraventrikuläre Blutung.

Management der Hämatomexpansion

Die Hämatomexpansion tritt typischerweise innerhalb der ersten 6 Stunden nach Symptombeginn auf und verursacht zusätzliche Gewebeschäden. Die FAST-Studie testete rekombinanten Faktor VIIa innerhalb von 4 Stunden und erzielte eine 15%ige Reduktion der Expansion mit der höchsten Dosis. Dies führte jedoch nicht zu weniger schweren Behinderungen oder Todesfällen. Die laufende FASTEST-Studie testet Faktor VIIa innerhalb von 2 Stunden.

Bei antikoagulierten Patienten ist das Expansionsrisiko 3- bis 6-fach höher. Vier-Faktor-Prothrombinkomplexkonzentrat wirkt bei Vitamin-K-Antagonisten besser als Frischplasmapräparate. Für neue orale Antikoagulanzien stehen spezifische Antidote (Idarucizumab und Andexanet Alfa) zur Verfügung.

Interessanterweise verdoppelte die PATCH-Studie die Sterblichkeit durch Thrombozytentransfusionen unter Antiplättchentherapie und erhöhte die Behinderungsraten. Daher raten aktuelle Leitlinien von Thrombozytentransfusionen außer bei neurochirurgischen Eingriffen ab.

Blutdruckmanagement

Zwei große Studien untersuchten die Blutdruckkontrolle nach intrazerebraler Blutung:

  • ATACH-2-Studie: 1000 Patienten erhielten eine intensive (110–139 mmHg) oder standardmäßige (140–180 mmHg) Blutdruckeinstellung über 24 Stunden. Die Ergebnisse nach 90 Tagen waren ähnlich, aber einige intensiv behandelte Patienten erlitten Nierenschäden.
  • INTERACT2-Studie: 2783 Patienten erhielten ähnliche Blutdruckziele über 7 Tage. Die Ergebnisse bezüglich Sterblichkeit oder schwerer Behinderung nach 90 Tagen waren neutral.

Basierend auf diesen Ergebnissen zielt die aktuelle Praxis oft auf systolische Werte zwischen 130 und 150 mmHg, besonders bei Werten über 220 mmHg innerhalb von 2 Stunden nach der Blutung, unter sorgfältiger Überwachung der Nierenfunktion.

Management intraventrikulärer Blutungen und Masseneffekte

Intraventrikuläre Blutungen treten bei 30–50 % der Patienten auf und verursachen oft einen Hydrozephalus mit Bewusstseinsminderung. Die CLEAR-III-Studie testete Alteplase zur Auflösung ventrikulärer Gerinnsel bei 500 Patienten. Während die Gesamtergebnisse nicht unterschiedlich waren, könnte die Thrombolyse das Überleben verbessern.

Die chirurgische Gerinnselentfernung zeigte uneinheitliche Ergebnisse. Die STICH-II-Studie fand ähnliche Outcomes bei operativer und konservativer Behandlung, obwohl die Entfernung oberflächlicher Lappengerinnsel vorteilhaft sein könnte. Bei Kleinhirnblutungen wird typischerweise operiert, wenn Zeichen einer Hirnstammkompression vorliegen oder das Gerinnselvolumen über 15 ml beträgt.

Sekundärprävention und Antikoagulationsentscheidungen

Für Überlebende intrazerebraler Blutungen, die aufgrund anderer Erkrankungen (besonders Vorhofflimmern) Antikoagulanzien benötigen, ist die Entscheidung zur Wiederaufnahme der Blutverdünnung komplex. Laufende klinische Studien befassen sich mit dieser wichtigen Frage:

  • ASPIRE-Studie (NCT03907046): Vergleich neuer oraler Antikoagulanzien mit Acetylsalicylsäure bei Überlebenden einer intrazerebralen Blutung
  • ENRICH-AF (NCT03950076): Bewertung von Edoxaban versus keine Behandlung bei Patienten mit Vorhofflimmern und vorangegangenen Hirnblutungen

Diese Studien werden dazu beitragen zu klären, ob neuere Antikoagulanzien im Vergleich zu bestehenden Optionen eine Schlaganfallprävention mit geringeren Raten an erneuten Hirnblutungen bieten können.

Aktuelle Wissenslücken

Trotz intensiver Forschung bleiben wichtige Fragen zur intrazerebralen Blutung offen:

  • Das ideale Blutdruckziel, die Wahl der Medikamente und die Behandlungsdauer nach der Blutung
  • Ob intensives Monitoring auf spezialisierten Stationen die Ergebnisse verbessert
  • Die Rolle prophylaktischer Antiepileptika
  • Wie die Prognose am besten vorhergesagt werden kann, ohne lebenserhaltende Maßnahmen vorzeitig zu beenden
  • Die Sicherheit der Wiederaufnahme der Antikoagulation bei Überlebenden, die diese benötigen

Aktuelle Erkenntnisse legen nahe, dass in den ersten Tagen nach der Blutung Zurückhaltung bei Prognoseeinschätzungen angemessen ist, da einige Patienten, die überleben könnten, versterben, wenn lebenserhaltende Maßnahmen zu früh beendet werden.

Patientenempfehlungen und Handlungsschritte

Basierend auf der aktuellen Evidenz können Patienten mehrere wichtige Schritte unternehmen:

  1. Blutdruck kontrollieren: Dies bleibt der wichtigste beeinflussbare Risikofaktor zur Vorbeugung erster und wiederkehrender Blutungen
  2. Risiken der Antikoagulation besprechen: Falls Sie Blutverdünner einnehmen, führen Sie regelmäßige Gespräche mit Ihrem Arzt über Nutzen und Risiken
  3. Symptome kennen: Erkennen Sie die Anzeichen einer intrazerebralen Blutung – plötzliche neurologische Symptome, Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Bewusstseinsminderung
  4. Umgehende Versorgung suchen: Suchen Sie bei Auftreten von Symptomen sofort medizinische Hilfe, da eine frühe Behandlung Schäden begrenzen kann
  5. An partizipativer Entscheidungsfindung teilnehmen: Als Überlebender führen Sie gründliche Gespräche mit Ihrem Behandlungsteam über Therapieoptionen und -ziele

Für Patienten mit zerebraler Amyloidangiopathie (oft durch multiple kleine Hirnblutungen im MRT angezeigt) ist besondere Vorsicht bei antikoagulierenden Medikamenten geboten.

Quellenangaben

Originalartikeltitel: Spontane intrazerebrale Blutung
Autoren: Kevin N. Sheth, M.D.
Veröffentlichung: The New England Journal of Medicine, 27. Oktober 2022; 387:1589–1596
DOI: 10.1056/NEJMra2201449

Dieser patientenfreundliche Artikel basiert auf peer-reviewter Forschung aus The New England Journal of Medicine. Er bewahrt alle signifikanten Daten, Statistiken und klinischen Befunde der ursprünglichen wissenschaftlichen Übersicht bei und macht die Informationen für Patienten und Betreuungspersonen zugänglich.