Wenn Bauchschmerzen nicht auf eine Leberzirrhose zurückgehen: Wie ein Autounfall einen Pfortaderverschluss verursachte.

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Ein 62-jähriger Mann mit seit zwei Jahren bestehenden postprandialen Bauchschmerzen wurde zunächst mit Leberzirrhose diagnostiziert. Spezialisten des Massachusetts General Hospital fanden jedoch heraus, dass seine Symptome tatsächlich auf eine chronische Pfortaderthrombose (PVT) zurückzuführen waren, die durch einen Autounfall fünf Jahre zuvor verursacht worden war. Erweiterte Bildgebung und eine Leberbiopsie zeigten einen vollständigen Verschluss der Pfortader, der zu einer Schrumpfleber und schwerer portaler Hypertension führte. Dies erklärte seine Schmerzen, den Gewichtsverlust und die Varizenbildung trotz normaler Leberfunktionstests. Der Fall verdeutlicht, wie ein abdominelles Trauma eine Pfortaderthrombose auslösen kann, die eine Zirrhose nachahmt, und unterstreicht die Notwendigkeit einer gründlichen Abklärung, wenn Standarddiagnosen nicht alle klinischen Befunde schlüssig erklären.

Wenn Bauchschmerzen nicht von einer Zirrhose stammen: Wie ein Autounfall einen Pfortader-Verschluss verursachte

Inhaltsverzeichnis

Hintergrund: Das medizinische Rätsel

Dieser Fall betrifft einen 62-jährigen Mann, der sich mit seit zwei Jahren bestehenden postprandialen Bauchschmerzen vorstellte. In Costa Rica war bei ihm zuvor eine Zirrhose (Lebervernarbung) diagnostiziert worden. Nach seiner Einreise in die USA hatte sein neues medizinisches Team jedoch keinen Zugriff auf seine ausländischen Krankenakten. Die Ärzte am Massachusetts General Hospital standen vor einer diagnostischen Herausforderung, da die Symptome und Befunde des Patienten nicht vollständig zu einer typischen Zirrhose passten.

Besonders auffällig war die Diskrepanz zwischen der vermuteten Zirrhose-Diagnose und der relativ gut erhaltenen Leberfunktion. Normalerweise führt eine Zirrhose sowohl zu portaler Hypertension (Bluthochdruck in den Lebergefäßen) als auch zu einer eingeschränkten Leberfunktion. Dieser Patient jedoch wies normale Werte wichtiger, von der Leber produzierter Proteine auf.

Patientensymptome und Anamnese

Die Beschwerden des Patienten begannen zwei Jahre vor der Aufnahme mit erstmals auftretenden postprandialen Bauchschmerzen (Beschwerden nach dem Essen). Ein Jahr vor der Aufnahme erhielt er in Costa Rica die Diagnose einer Zirrhose. Acht Monate später zog er in die USA, wo seine neuen Ärzte keinen Zugang zu seinen früheren Krankenakten hatten.

Drei Monate vor der Aufnahme bemerkte er eine reponible Nabelhernie (eine Vorwölbung im Nabelbereich, die sich zurückschieben ließ). Sechs Wochen später verschlimmerten sich seine postprandialen Bauchschmerzen in Intensität und Häufigkeit und wurden von Übelkeit begleitet. Einen Monat vor der Aufnahme ließ sich die Nabelhernie nicht mehr zurückschieben, was seinen ersten Krankenhausbesuch in den USA auslöste.

Wichtige Aspekte seiner Anamnese:

  • Deutlicher Gewichtsverlust: etwa 20 kg innerhalb von zwei Monaten
  • Kein Alkoholkonsum, Rauchen oder Drogenmissbrauch
  • Vorgeschichte einer Hepatitis im Kindesalter, die ohne Behandlung ausheilte
  • Verkehrsunfall vor fünf Jahren, bei dem er unangeschnallt war und ein Bauchtrauma durch das Lenkrad erlitt
  • Tätigkeit in der Rinderzucht in Costa Rica ohne Auslandsreisen vor der Einwanderung
  • Keine familiäre Vorgeschichte von Lebererkrankungen oder Gerinnungsstörungen

Erstuntersuchung und Testergebnisse

Bei der Untersuchung am Massachusetts General Hospital zeigte der Patient:

  • Körpertemperatur: 36,7°C
  • Herzfrequenz: 49 Schläge pro Minute
  • Blutdruck: 90/61 mmHg
  • Sauerstoffsättigung: 97% bei Raumluft
  • Body-Mass-Index: 26,7
  • Diffuse Bauchschmerzen, stärker im Oberbauch
  • Keine Bein- oder Bauchschwellungen, keine Verwirrtheit

Die Laboruntersuchungen ergaben mehrere wichtige Befunde:

Wichtige Laborergebnisse:

  • Hämatokrit: 40,5% (Norm: 41,0-53,0%)
  • Hämoglobin: 14,0 g/dL (Norm: 13,5-17,5 g/dL)
  • Leukozyten: 3.900/μL (Norm: 4.500-11.000/μL)
  • Thrombozyten: 70.000/μL (Norm: 130.000-400.000/μL) – deutlich erniedrigt
  • Alkalische Phosphatase: 118 U/L (Norm: 45-115 U/L) – leicht erhöht
  • Alanin-Aminotransferase (ALT): 43 U/L (Norm: 10-55 U/L) – normal
  • Aspartat-Aminotransferase (AST): 53 U/L (Norm: 10-40 U/L) – leicht erhöht
  • Gesamtbilirubin: 1,8 mg/dL (Norm: 0,0-1,0 mg/dL) – erhöht
  • Direktes Bilirubin: 0,5 mg/dL (Norm: 0,0-0,4 mg/dL) – leicht erhöht
  • International Normalized Ratio (INR): 1,1 (Norm: 0,9-1,1) – normal
  • Albumin: 4,5 g/dL (Norm: 3,3-5,0 g/dL) – normal

Auffällig war seine deutlich erniedrigte Thrombozytenzahl von 70.000/μL (Norm: 130.000-400.000), was häufig bei portaler Hypertension auftritt, wenn Blutzellen in einer vergrößerten Milz eingeschlossen werden. Seine Leberenzyme waren nur leicht erhöht, und die Lebersynthesefunktion (gemessen an INR und Albumin) blieb normal – ungewöhnlich für eine fortgeschrittene Zirrhose.

Was die Bildgebung zeigte

Die Computertomographie (CT) von Abdomen und Becken mit intravenösem Kontrastmittel ergab mehrere entscheidende Befunde:

Die Aufnahmen zeigten eine Nabelhernie mit einem 3,6 Zentimeter weiten Bruchpfortenhals, der eine nicht-obstruierte Dünndarmschlinge enthielt. Noch wichtiger war:

  • Eine geschrumpfte Leber mit lobulierter Kontur und diffuser Hypodensität (auf CT dunkler als normal)
  • Ausgedehnte paraösophageale und mesenteriale Varizen (abnorm erweiterte Venen)
  • Die Hauptpfortader und Vena mesenterica superior waren nicht darstellbar, was auf eine kavernöse Transformation hindeutete (Entwicklung kleiner Umgehungsgefäße bei blockierter Hauptvene)
  • Deutlich vergrößerte Milz mit 18,2 cm (normal unter 13,0 cm)

Die Doppler-Sonographie bestätigte keinen Blutfluss in der Hauptpfortader, aber normalen Fluss in den Lebervenen, der Leberarterie und der Vena cava inferior. Diese Befunde sprachen für eine Pfortaderthrombose (Blutgerinnsel in der Pfortader) mit nachfolgender kavernöser Transformation.

Differentialdiagnose: Alle Möglichkeiten in Betracht ziehen

Das medizinische Team erwog mehrere mögliche Ursachen für die portale Hypertension des Patienten:

Posthepatische Ursachen: Zustände, die den Blutfluss nach Verlassen der Leber blockieren, wie Blutgerinnsel in der Vena cava inferior oder Herzprobleme wie konstriktive Perikarditis. Diese wurden basierend auf Bildgebung und dem Fehlen charakteristischer Symptome wie Atemnot oder Beinschwellungen ausgeschlossen.

Intrahepatische Ursachen: Zustände innerhalb der Leber selbst, einschließlich: - Zirrhose (Erstdiagnose, aber unwahrscheinlich aufgrund erhaltener Leberfunktion) - Hepathische Amyloidose oder Sarkoidose (ausgeschlossen aufgrund fehlender typischer Merkmale) - Hepatische Schistosomiasis (eine parasitäre Infektion, die in Costa Rica unüblich ist)

Prähepatische Ursachen: Zustände bevor das Blut die Leber erreicht, einschließlich: - Extrinsische Kompression der Pfortader (durch Bildgebung ausgeschlossen) - Pfortaderthrombose (wurde zum Hauptverdacht)

Das Team konzentrierte sich besonders auf die Möglichkeit einer Pfortaderthrombose und vermutete, dass das Bauchtrauma aus dem Autounfall vor fünf Jahren eine endotheliale Verletzung (Schädigung der Gefäßinnenwand) verursacht haben könnte, die die Gerinnselbildung auslöste.

Sie erwogen auch, warum die Leber in der Bildgebung geschrumpft erschien. Die Leber erhält etwa 75% ihrer Blutversorgung aus der Pfortader, die nährstoffreiches Blut aus dem Darm transportiert. Wenn diese Versorgung durch ein Gerinnsel blockiert wird, kann die Leber im Laufe der Zeit aufgrund des Mangels an essentiellen hepatotrophen Substanzen atrophieren (schrumpfen), während sie ihre Synthesefunktion beibehält.

Die korrekte Diagnose

Die endgültige Diagnose lautete hepatische Atrophie aufgrund chronischer Pfortaderthrombose, mit wahrscheinlicher mesenterialer Kongestion als Ursache der postprandialen Bauchschmerzen.

Das bedeutete, dass das Blutgerinnsel in der Pfortader wahrscheinlich nach dem Bauchtrauma aus dem Autounfall vor fünf Jahren entstanden war. Im Laufe der Zeit führte der vollständige Verschluss zu:

  • Entwicklung kollateraler Blutgefäße (kavernöse Transformation)
  • Erhöhter Druck im portovenösen System (portale Hypertension)
  • Schrumpfung der Leber aufgrund reduzierter Durchblutung
  • Vergrößerung der Milz
  • Entwicklung von Varizen (erweiterten Venen) in Speiseröhre und Magen

Die postprandialen Bauchschmerzen traten auf, weil das Essen die Durchblutung des Darms erhöht, die dann nicht ordnungsgemäß durch das blockierte Pfortadersystem abfließen konnte, was zu Kongestion und Schmerzen führte.

Leberbiopsie-Befunde

Eine transjuguläre Leberbiopsie (durch eine Halsvene durchgeführt) lieferte definitive Beweise:

  • Keine Zirrhose oder fortgeschrittene Fibrose
  • Leichte Verzerrung der Leberarchitektur mit erweiterten Portalfeldern
  • Multiple unregelmäßige Blutgefäße in Portalbereichen, einige mit medialer Hyperplasie (verdickten Wänden) oder intravaskulären Thromben (Gerinnseln)
  • Vage noduläres Muster der Expansion mit Kompression und Atrophie der Leberplatten
  • Keine signifikante Entzündung, Fettansammlung oder Eisenüberladung

Die pathologische Diagnose bestätigte eine portale Gefäßumbildung, die mit den Auswirkungen einer Pfortaderthrombose vereinbar ist, nodulär-regeneratorische Hyperplasie-ähnliche Veränderungen, hepatische Parenchymverzerrung und -atrophie, und keine Merkmale einer Zirrhose.

Behandlungsansätze

Die Behandlung der Pfortaderthrombose hängt davon ab, ob sie akut (weniger als 6 Monate) oder chronisch (6 Monate oder länger) ist und ob eine Zirrhose vorliegt. In diesem chronischen, nicht-zirrhotischen Fall umfasste die Behandlung:

Zunächst zeigte die Ösophagogastroduodenoskopie Grad-3-(große) nicht-blutende Ösophagusvarizen und eine portale hypertensive Gastropathie. Die Behandlung umfasste:

  • Varizenligatur (Anbringen von Gummibändern um erweiterte Venen zur Blutungsprävention)
  • Nadolol (ein nicht-selektiver Betablocker) zur Druckreduktion im portalen System

Entscheidungen über Antikoagulation (Blutverdünner) basierten auf der Bewertung des Risikos einer Gerinnselausdehnung und zugrunde liegender thrombophiler Faktoren. Der hämatologische Dienst wurde zur Mitbehandlung hinzugezogen.

Eingriffe zur Reduktion des Pfortaderdrucks wurden erwogen, einschließlich:

  • Chirurgische Shunt-Techniken (heute weniger gebräuchlich)
  • Transjugulärer intrahepatischer portosystemischer Shunt (TIPS) – ein Verfahren, bei dem ein Radiologe einen Kanal zwischen Pfortader und Lebervenen anlegt
  • Pfortader-Rekanalisation und TIPS-Anlage (PVR-TIPS)
  • Angioplastie der Vena mesenterica superior

Das Team der interventionellen Radiologie bewertete, welches Verfahren für die spezifische Anatomie dieses Patienten am geeignetsten wäre.

Was dies für Patienten bedeutet

Dieser Fall veranschaulicht mehrere wichtige Punkte für Patienten mit abdominalen Symptomen:

Erstens kann ein Bauchtrauma – selbst aus vor Jahren – langfristige Folgen haben. Patienten sollten ihre Ärzte immer über signifikante Unfälle oder Verletzungen informieren, egal wie lange diese zurückliegen.

Zweitens sind nicht alle Leberprobleme Zirrhosen. Eine Pfortaderthrombose kann ähnliche Komplikationen verursachen (Varizen, Splenomegalie, portale Hypertension), während die Leberfunktion erhalten bleibt. Diese Unterscheidung ist entscheidend, da sich die Behandlungsansätze signifikant unterscheiden.

Drittens waren die normalen Werte für INR (1,1) und Albumin (4,5 g/dL) bei diesem Patienten wichtige Hinweise darauf, dass seine Leber trotz des geschrumpften Erscheinungsbilds in der Bildgebung noch gut funktionierte. Patienten sollten verstehen, was diese Tests messen und warum sie wichtig sind.

Viertens kann die Behandlung bei Patienten mit Pfortaderthrombose multiple Spezialisten einbeziehen: Gastroenterologen, Hepatologen, interventionelle Radiologen und Hämatologen. Ein multidisziplinärer Ansatz führt oft zu den besten Ergebnissen.

Abschließend unterstreicht dieser Fall die Bedeutung einer gründlichen diagnostischen Abklärung, wenn das klinische Bild nicht vollständig mit einer häufigen Diagnose übereinstimmt. Zweitmeinungen und zusätzliche Untersuchungen (wie in diesem Fall die Leberbiopsie) können unerwartete Ursachen für die Symptome aufdecken.

Quelleninformation

Originaltitel des Artikels: Fall 6-2025: Ein 62-jähriger Mann mit Bauchschmerzen

Autoren: Gabrielle K. Bromberg, Katayoon Goodarzi, Robert G. Rasmussen, Kenneth E. Sherman, Sanjeeva P. Kalva, Jonathan N. Glickman, Dennis C. Sgroi, Eric S. Rosenberg

Veröffentlichung: The New England Journal of Medicine, 20. Februar 2025; 392:807-16

DOI: 10.1056/NEJMcpc2412516

Dieser patientenfreundliche Artikel basiert auf begutachteter Forschung aus den Fallberichten des Massachusetts General Hospital, ursprünglich veröffentlicht in The New England Journal of Medicine.