Wenn Müdigkeit und Muskelschmerzen auf Herzprobleme hindeuten: Eine Fallstudie zur Lyme-Borreliose. a39

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Diese Fallstudie beschreibt eine 32-jährige Patientin, die nach anfänglicher Müdigkeit und Muskelschmerzen schwere Herzrhythmusstörungen entwickelte. Trotz wiederholter Krankenhausaufenthalte und umfangreicher Diagnostik wurde die Ursache erst erkannt, als sie sich an einen charakteristischen Wanderröte-Ausschlag erinnerte, der Wochen zuvor aufgetreten war. Die Diagnose lautete schließlich Lyme-Karditis – eine Herzbeteiligung im Rahmen der Lyme-Borreliose. Der Fall veranschaulicht, wie die Erkrankung einen potenziell lebensbedrohlichen Herzblock verursachen kann, der sich unter Antibiotikatherapie zurückbildet, und betont die Bedeutung der Früherkennung von Zeckenstichen sowie typischer Frühsymptome.

Wenn Müdigkeit und Muskelschmerzen auf Herzprobleme hindeuten: Eine Fallstudie zur Lyme-Borreliose

Inhaltsverzeichnis

Hintergrund: Warum dieser Fall relevant ist

Laut Schätzungen der CDC erkranken jährlich etwa 476.000 Amerikaner an Lyme-Borreliose, was sie zur häufigsten durch Vektoren übertragenen Erkrankung in den USA macht. Dieser Fall zeigt, wie die Lyme-Borreliose mitunter schwerwiegende Herzkomplikationen verursachen kann, die mit anderen Erkrankungen verwechselt werden. Der Weg der Patientin durch mehrere Gesundheitseinrichtungen bis zur korrekten Diagnose unterstreicht die diagnostischen Herausforderungen – besonders wenn Patienten sich an keinen Zeckenstich erinnern oder frühe Symptome übersehen.

Besonders relevant ist dieser Fall, da sich das Verbreitungsgebiet der Lyme-Borreliose durch den Klimawandel und andere Faktoren weiter ausdehnt. Menschen, die sich in Endemiegebieten im Freien aufhalten, sollten sowohl über typische als auch ungewöhnliche Krankheitsmanifestationen Bescheid wissen. Die hier beschriebenen Herzkomplikationen treten zwar nur bei etwa 1 % der Lyme-Erkrankungen auf, können jedoch schwerwiegend sein, wenn sie nicht rechtzeitig erkannt und behandelt werden.

Krankengeschichte: Symptome und Verlauf

Eine 32-jährige Frau suchte wegen starker Müdigkeit und Muskelschmerzen (Myalgien) medizinische Hilfe. Ihre gesundheitlichen Probleme begannen zweieinhalb Jahre zuvor, als sie nach einer SARS-CoV-2-Infektion Müdigkeit, Kopfschmerzen, Muskelschmerzen und „Gehirnnebel“ entwickelte. Damals konsultierte sie Fachärzte für Neurologie, Immunologie und Rheumatologie in einem anderen Krankenhaus, doch umfangreiche Untersuchungen blieben ohne auffällige Befunde.

Ihre Blutwerte – einschließlich Elektrolyte, Schilddrüsenfunktion, Leberenzyme, Bilirubin, alkalische Phosphatase, C-reaktives Protein und Ferritin – waren normal. Auch das Blutbild und die Nierenfunktionstests ergaben keine Auffälligkeiten. Tests auf Cytomegalievirus, Epstein-Barr-Virus, Ehrlichia, Anaplasma und Borrelia burgdorferi (der Erreger der Lyme-Borreliose) fielen negativ aus. Eine MRT des Kopfes zeigte ebenfalls keine Besonderheiten.

In den folgenden zwei Jahren erfuhr sie durch Akupunktur und pflanzliche Nahrungsergänzungsmittel eine gewisse Linderung. Fünf Wochen vor der jetzigen Vorstellung infizierte sie sich erneut mit SARS-CoV-2, erholte sich aber innerhalb von fünf Tagen. Neun Tage vor der Aufnahme entwickelte sie nach dem Heben schwerer Gegenstände Nackensteifigkeit und Schmerzen, die in den Kopf und die Schulterblätter ausstrahlten.

Sechs Tage vor der Aufnahme fand ihr Hausarzt bei der Untersuchung keine Auffälligkeiten und empfahl Ibuprofen, Magnesium, Akupunktur und Massage. Als die Schmerzen anhielten und drei Tage später in den rechten Arm ausstrahlten, begleitet von starker Müdigkeit, suchte sie die Notaufnahme auf.

Medizinische Vorgeschichte und Risikofaktoren

In der Vorgeschichte der Patientin fanden sich eine Nabelhernien-OP, Hyperemesis gravidarum (schwere Schwangerschaftsübelkeit), Angststörungen und eine leichte chronische Gastritis. Sie nahm Magnesiumpräparate, Probiotika sowie ein Supplement mit Kurkuma, tierischem Leberextrakt und Mariendistel ein.

Bemerkenswerterweise war sie nicht gegen SARS-CoV-2 geimpft. Sie lebte mit ihrem Ehemann und zwei Kindern in einem bewaldeten Gebiet in New England, wo sie Kaninchen und Schafe hielt. Regelmäßig war sie outdoor aktiv – wandern, campen und Yoga. Sie dampfte E-Zigaretten und hatte in der Vergangenheit Tabak und Marihuana konsumiert.

In ihrer Familie gab es Hypertonie, ein offenes Foramen ovale (eine meist nach der Geburt verschlossene Herzöffnung) und einen Schlaganfall bei der Großmutter mütterlicherseits; Hypertonie beim Großvater mütterlicherseits; kolorektalen Krebs bei der Großmutter väterlicherseits; und Kawasaki-Syndrom bei einem ihrer Kinder.

Untersuchungs- und Testergebnisse

Bei ihrem ersten Notaufnahmebesuch betrug ihre Temperatur 36,8 °C, die Herzfrequenz 50 Schläge pro Minute und der Blutdruck 109/55 mm Hg. Der Nacken war voll beweglich, aber druckempfindlich auf der rechten Seite des oberen Nackens und Rückens. Eine Röntgenaufnahme der Halswirbelsäule war unauffällig. Sie erhielt Ketorolac intravenös, Methocarbamol oral und transdermales Lidocain sowie eine ausschleichende Dosis Methylprednisolon oral.

Zwei Tage später hatten sich die Rücken- und Nackenschmerzen gebessert, aber die Müdigkeit verschlimmerte sich und es traten Muskelschmerzen auf. Sie berichtete von Herzklopfen, unregelmäßigem Puls und wechselnden Schmerzen im unteren Brustbereich, die sie als Engegefühl beschrieb – atem- und lageabhängig. Auf der Schmerzskala stufte sie diese mit 5/10 ein.

In einer zweiten Notaufnahme betrug ihre Temperatur 36,3 °C, die Herzfrequenz 58 Schläge pro Minute, der Blutdruck 124/79 mm Hg und die Sauerstoffsättigung 100 %. Blutuntersuchungen zeigten normale Elektrolyte und Troponin I (ein Herzenzym), aber erhöhte Alanin-Aminotransferase (170 U/L, Norm: 7–40), Aspartat-Aminotransferase (104 U/L, Norm: 8–30) und D-Dimer (1760 ng/mL, Norm: <520).

Das EKG wies einen AV-Block ersten Grades (verzögerte Erregungsleitung im Herzen) bei einer Herzfrequenz von 55 Schlägen pro Minute auf. Röntgenthorax und Leberultraschall waren normal. Die CT-Angiographie des Thorax ergab keinen Hinweis auf eine Lungenembolie, Herz und Lunge waren unauffällig.

Im Massachusetts General Hospital zeigte die Untersuchung einen unregelmäßigen Herzrhythmus, eine Temperatur von 36,3 °C, eine Herzfrequenz von 52 Schlägen pro Minute und einen Blutdruck von 140/76 mm Hg. Blutuntersuchungen ergaben erhöhte Alanin-Aminotransferase (89 U/L, Norm: 7–33) und NT-proBNP (604 pg/mL, Norm: <450) – ein Marker für eine Herzbeeinträchtigung. D-Dimer war leicht erhöht auf 436 ng/mL (Norm: <500).

Ein EKG zeigte einen AV-Block zweiten Grades vom Mobitz-Typ I sowie einen AV-Block ersten Grades mit einem PR-Intervall von 240 ms (Norm: 120–200). Zudem fanden sich Q-Zacken in den inferioren Ableitungen, die auf eine frühere Herzschädigung hindeuten könnten.

Differentialdiagnostische Überlegungen

Das Behandlungsteam zog mehrere mögliche Ursachen für ihre Symptome in Betracht:

  • COVID-19-Komplikationen: Etwa Herzentzündung (Perikarditis oder Myokarditis) oder Multisystem-Entzündungssyndrom, jedoch machten die normalen Entzündungsmarker dies unwahrscheinlich.
  • Lungenembolie: Blutgerinnsel in der Lunge, aber die CT-Angiographie schloss dies aus.
  • Akutes Koronarsyndrom: Herzinfarkt oder verwandte Zustände, unwahrscheinlich aufgrund ihres Alters und normalen Troponins.
  • Kardiomyopathie: Herzmuskelerkrankung, aber die Herzgröße in der Bildgebung war normal.
  • Infektionen: Wie Brucellose oder Tularämie durch Tierkontakt, jedoch weniger wahrscheinlich.
  • Lyme-Karditis: Herzkomplikationen durch Lyme-Borreliose, die zur führenden Diagnose wurde angesichts ihrer Herzleitungsstörungen, ländlichen Wohnsituation und Outdoor-Aktivitäten.

Endgültige Diagnose und Behandlung

Lyme-Karditis wurde als wahrscheinlichste Diagnose identifiziert. Das Team veranlasste umgehend einen Lyme-Bluttest und begann eine empirische Antibiotikatherapie mit intravenösem Ceftriaxon.

Ihre Herzleitungsstörungen verschlechterten sich zunächst trotz Behandlung. Am ersten Krankenhaustag verlängerte sich das PR-Intervall auf 350 ms. Am zweiten Tag entwickelte sie einen kompletten AV-Block (AV-Block dritten Grades), bei dem die elektrische Erregungsleitung zwischen Vorhöfen und Kammern vollständig unterbrochen war.

Glücklicherweise war dieser komplette Herzblock vorübergehend und besserte sich innerhalb von Stunden ohne die Notwendigkeit eines temporären Schrittmachers. Das Team erwog die Anlage einer transvenösen Schrittmacherelektrode, verzichtete jedoch darauf, da sie beschwerdefrei blieb und eine ausreichende Herzleistung beibehielt.

Grundlagen der Lyme-Borreliose und Diagnostik

Lyme-Borreliose wird durch das Bakterium Borrelia burgdorferi verursacht, das durch Bisse infizierter Ixodes scapularis-Zecken im Nordosten der USA übertragen wird. Die Erkrankung verläuft typischerweise in drei Stadien:

  1. Frühes lokales Stadium: Tritt 3–30 Tage nach einem Zeckenstich auf, gekennzeichnet durch Erythema migrans (Wanderröte) und grippeähnliche Symptome.
  2. Frühes disseminiertes Stadium: Entwickelt sich Wochen bis Monate nach der Infektion mit systemischen Symptomen, einschließlich möglicher Herz- und neurologischer Beteiligung.
  3. Spätes disseminiertes Stadium: Tritt Monate bis Jahre später auf und verursacht oft Arthritis in großen Gelenken.

Bis zu 40 % der Lyme-Patienten erinnern sich nicht an einen Zeckenstich, und viele bemerken den charakteristischen Hautausschlag nicht. Die serologische Diagnostik folgt einem Zwei-Stufen-Ansatz:

  • Standard-Zwei-Stufen-Testung (STTT): Ein Enzymimmunoassay gefolgt von einem Immunoblot-Assay.
  • Modifizierte Zwei-Stufen-Testung (MTTT): Ein Enzymimmunoassay gefolgt von einem zweiten Enzymimmunoassay mit unterschiedlichen Eigenschaften.

Beide Ansätze weisen eine gute klinische Leistungsfähigkeit für späte Lyme-Stadien auf, mit einer Sensitivität von nahezu 100 % für tertiäre Infektionen. Bei dieser Patientin war der Enzymimmunoassay positiv, bestätigt durch einen Immunoblot-Assay, der sowohl IgM- als auch IgG-Antikörper nachwies.

Die Perspektive der Patientin

Am dritten Krankenhaustag erinnerte sich die Patientin daran, ihrem Arzt ein Foto zu zeigen, das sie drei Wochen zuvor von einem Hautausschlag am Arm gemacht hatte. Sie berichtete, damals ähnliche Ausschläge am ganzen Körper gehabt zu haben. Das Foto zeigte einen erythematösen (roten), kreisförmigen, makulösen Ausschlag, der zum Erythema migrans passte – dem charakteristischen Zielscheibenausschlag der Lyme-Borreliose.

Diese retrospektive Erkennung des klassischen Ausschlags bestätigte die Diagnose und verdeutlichte, wie Patienten solche Symptome anfangs nicht mit ihrer späteren Erkrankung in Verbindung bringen, besonders wenn der Ausschlag an schwer einsehbaren Stellen auftritt oder multiple Hautveränderungen vorliegen.

Bedeutung für Patienten

Dieser Fall veranschaulicht mehrere wichtige Punkte für Patienten:

  • Lyme-Borreliose kann schwerwiegende Herzkomplikationen verursachen, einschließlich verschiedener Grade von Herzblock.
  • Diese kardialen Probleme bessern sich typischerweise unter angemessener Antibiotikabehandlung.
  • Patienten erinnern sich möglicherweise nicht an Zeckenstiche oder erkennen frühe Symptome wie den charakteristischen Ausschlag nicht.
  • Menschen, die in oder besuchen von bewaldeten Gebieten in Lyme-Endemiegebieten leben, sollten sich dieser Möglichkeiten bewusst sein.
  • Kardiale Manifestationen der Lyme-Borreliose sprechen meist gut auf Antibiotika an und vermeiden oft die Notwendigkeit permanenter Schrittmacher.

Die vorübergehende Natur des kompletten Herzblocks in diesem Fall zeigt, wie sich die Lyme-Karditis unter angemessener Behandlung oft zurückbildet – im Gegensatz zu vielen anderen Ursachen von Herzblock, die eine permanente Schrittmacherimplantation erfordern können.

Einschränkungen dieses Falls

Obwohl dieser Fall wertvolle Einblicke bietet, weist er mehrere Einschränkungen auf:

  • Es handelt sich um einen Einzelfallbericht, daher sind die Ergebnisse nicht auf alle Lyme-Patienten verallgemeinerbar.
  • Die Patientin hatte eine komplexe medizinische Vorgeschichte, einschließlich früherer COVID-19-Infektionen, die ihr Erscheinungsbild beeinflusst haben könnten.
  • Sie verwendete verschiedene Nahrungsergänzungsmittel und Behandlungen, die ihre Symptome oder Testergebnisse verändert haben könnten.
  • Die Diagnose wurde retrospektiv bestätigt, nachdem sie sich erinnerte und fotografische Beweise des Ausschlags vorlegte.
  • Einige Tests auf andere durch Zecken übertragene Erkrankungen (wie Babesiose und Anaplasmose) waren negativ, aber nicht alle möglichen Infektionen wurden ausgeschlossen.

Empfehlungen für Patienten

Basierend auf diesem Fall sollten Patienten Folgendes beachten:

  1. Prävention: Verwenden Sie Zeckenschutzmaßnahmen in Endemiegebieten, einschließlich Schutzbekleidung, Zeckenabwehrmittel und gründlicher Zeckenkontrolle nach Outdoor-Aktivitäten.
  2. Bewusstsein: Lernen Sie, den Erythema migrans-Ausschlag zu erkennen, der nicht immer das klassische Zielscheibenmuster aufweisen und überall am Körper auftreten kann.
  3. Dokumentation: Fotografieren Sie ungewöhnliche Ausschläge oder Hautveränderungen, um sie später medizinischem Personal zu zeigen, falls Symptome auftreten.
  4. Anamnese: Informieren Sie Ärzte über Outdoor-Aktivitäten, Tierkontakte und alle Ausschläge – selbst solche, die geringfügig schienen oder schnell abklangen.
  5. Nachsorge: Suchen Sie umgehend medizinische Hilfe auf, wenn Sie nach möglichem Zeckenkontakt unerklärliche Müdigkeit, Muskelschmerzen, Herzklopfen oder andere besorgniserregende Symptome entwickeln.

Patienten sollten wissen, dass die meisten Lyme-Erkrankungen erfolgreich mit Antibiotika behandelt werden, besonders bei frühzeitiger Diagnose. Selbst bei Komplikationen wie Lyme-Karditis führt eine angemessene Therapie in der Regel zur vollständigen Genesung.

Quellenangaben

Originalartikeltitel: Fall 24-2025: Eine 32-jährige Frau mit Müdigkeit und Myalgien

Autoren: Deborah Gomez Kwolek, MD; Julian S. Haimovich, MD; Marc D. Succi, MD; David M. Dudzinski, MD; Sarah E. Turbett, MD

Veröffentlichung: The New England Journal of Medicine, 2025;393:799–807

DOI: 10.1056/NEJMcpc2312739

Dieser patientenfreundliche Artikel basiert auf begutachteter Forschung aus einem Fallbericht, der im The New England Journal of Medicine veröffentlicht wurde. Fallberichte des Massachusetts General Hospital bieten detaillierte, lehrreiche Darstellungen interessanter Patientenfälle, die wertvolle Lernpunkte für medizinisches Fachpersonal und Patienten bieten.