Dr. Ido Wolf, MD, ein führender Experte für Brustkrebs und Präzisionsmedizin, erklärt, wie eine spezifische Östrogenrezeptor-Mutation bei 30–40 % der Patientinnen mit metastasierendem Brustkrebs zu einer Resistenz gegen die endokrine Therapie führt. Diese Erkenntnis ist entscheidend für die Entwicklung neuer zielgerichteter Medikamente, die den mutierten Rezeptor blockieren. Die Therapien der nächsten Generation zielen darauf ab, die Ansprechbarkeit auf die Behandlung wiederherzustellen und den Einsatz von Chemotherapie hinauszuzögern. Dieser Ansatz verspricht, das Überleben zu verlängern und die Lebensqualität der Patientinnen erheblich zu verbessern.
Zielgerichtete Therapie: Überwindung der endokrinen Resistenz beim metastasierten Brustkrebs
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- Mechanismus der endokrinen Resistenz
- Entdeckung der Östrogenrezeptor-Mutation
- Klinische Auswirkungen der Resistenz
- Inhibitoren der neuen Generation
- Behandlungszukunft und Lebensqualität
- Vollständiges Transkript
Mechanismus der endokrinen Resistenz bei hormonrezeptorpositivem Brustkrebs
Über 75 % der Brustkrebserkrankungen weisen Östrogen- oder Progesteronrezeptoren auf. Die endokrine Therapie ist bei diesen hormonrezeptorpositiven Tumoren die Standardbehandlung. Allerdings stellt die intrinsische und erworbene Resistenz gegen diese Therapien eine erhebliche klinische Herausforderung dar. Laut Dr. med. Ido Wolf entwickeln alle Patientinnen mit metastasiertem Brustkrebs unter Hormontherapie letztendlich eine Resistenz. Dieser Resistenzmechanismus ermöglicht es den Tumoren, der Behandlung zu entgehen und weiter fortzuschreiten.
Entdeckung und Bedeutung der Östrogenrezeptor-Mutation
Ein entscheidender Durchbruch gelang 2013 mit der Identifizierung eines Schlüsselmechanismus der endokrinen Resistenz. Dr. med. Ido Wolf weist darauf hin, dass sein Labor gemeinsam mit zwei anderen eine spezifische Mutation im Östrogenrezeptor entdeckte. Diese Mutation ist funktionell besonders, da sie eine vollständige Resistenz gegen alle Formen der endokrinen Therapie verleiht. Brustkrebszellen, die dieses mutierte Protein exprimieren, können unabhängig von Östrogen proliferieren. Dr. med. Anton Titov betont die Bedeutung dieser Erkenntnis für das Verständnis der Ursachen des Therapieversagens.
Klinische Auswirkungen der endokrinen Resistenz
Die Östrogenrezeptor-Mutation ist nicht nur ein Resistenzmarker, sondern verändert auch die Tumorbiologie. Dr. med. Ido Wolf zufolge ist diese Mutation für die Resistenz bei etwa 30 bis 40 % aller Brustkrebspatientinnen verantwortlich. Zudem begünstigt sie einen aggressiveren Krebsphänotyp. Betroffene Patientinnen erleben oft ein rasches Fortschreiten der Erkrankung mit einer höheren Metastasenlast. Dies erklärt die klinische Beobachtung eines plötzlichen, aggressiven Krankheitsverlaufs nach Entwicklung einer Hormonresistenz.
Entwicklung von Rezeptorinhibitoren der neuen Generation
Die Entdeckung dieser Mutation hat die Entwicklung neuartiger Therapeutika beschleunigt. Dr. med. Ido Wolf bestätigt, dass mehrere Unternehmen an spezifischen Inhibitoren arbeiten, die den mutierten Östrogenrezeptor gezielt angreifen. Bisherige Brustkrebsmedikamente können diesen veränderten Rezeptor nicht effektiv binden und hemmen. Die neue Wirkstoffgeneration soll diese Limitation überwinden. Dr. med. Anton Titov fragt, ob diese Medikamente die Tumorempfindlichkeit wiederherstellen und so einen Wechsel zur Chemotherapie vermeiden könnten.
Zukunft der Behandlung und Lebensqualität der Patientinnen
Diese Fortschritte werden das Behandlungsparadigma für metastasierten Brustkrebs verändern. Dr. med. Ido Wolf erklärt, dass diese neuen Inhibitoren beim triple-negativen Brustkrebs nicht wirksam sein werden, da diesen Tumoren der Östrogenrezeptor als Angriffspunkt fehlt. Für hormonrezeptorpositive Erkrankungen stellen diese Medikamente jedoch einen bedeutenden Fortschritt dar. Das Ziel ist, eine weitere wirksame endokrine Therapieoption zu bieten, anstatt frühzeitig auf Chemotherapie zurückzugreifen. Dr. med. Ido Wolf betont, dass diese Strategie nicht nur das Überleben verlängern, sondern auch die Lebensqualität der Patientinnen durch eine besser verträgliche Behandlung erheblich verbessern wird.
Vollständiges Transkript
Die Hormontherapie bei Brustkrebs wird häufig durch Resistenzen eingeschränkt. Ein führender Onkologe und Experte für Präzisionsmedizin erörtert neue Ansätze zur Überwindung der Medikamentenresistenz bei Brustkrebs.
Dr. med. Anton Titov: Sprechen wir über Brustkrebs. Über 75 % der Mammakarzinome exprimieren Östrogen- und/oder Progesteronrezeptoren. Endokrine Therapien kommen bei diesen Brustkrebserkrankungen zum Einsatz. Leicht sprechen nicht alle Patientinnen auf diese Behandlungen an. Wir beobachten auch, dass Tumoren molekulare Ausweichmechanismen entwickeln, um der endokrinen Therapie zu entgehen.
Sie forschen auf dem Gebiet der endokrinen Krebstherapie. Wie kann sie Patientinnen mit metastasiertem Brustkrebs helfen?
Dr. med. Ido Wolf: Alle Frauen mit Brustkrebs, die Hormonrezeptoren (Östrogen- oder Progesteronrezeptor) exprimieren, erhalten bei metastasierter Erkrankung eine Hormontherapie. Mit der Zeit entwickeln jedoch alle diese Patientinnen eine Resistenz gegen die Behandlung.
Die Frage war lange: Warum? Bis vor wenigen Jahren war der Hauptmechanismus dieser Resistenz unbekannt. 2013 entdeckte unser Labor parallel zu zwei anderen Arbeitsgruppen weltweit eine neue Mutation im Östrogenrezeptor. Diese Mutation ist besonders: Sie verleiht endokrine Resistenz.
Das bedeutet, Brustkrebszellen, die dieses mutierte Protein exprimieren, können auch ohne Östrogen in ihrer Umgebung überleben und sind resistent gegen alle endokrinen Therapien. Das war eine bedeutende Entdeckung.
Heute wissen wir, dass bei etwa 30 bis 40 % aller Brustkrebspatientinnen diese spezifische Mutation für die endokrine Resistenz verantwortlich ist. Das ist wichtig, denn um eine Krebserkrankung wirksam zu behandeln, muss man zunächst ihre Ursache kennen.
Die Identifizierung dieser Mutation hat neue Wege in der Brustkrebsbehandlung eröffnet. Mehrere Unternehmen arbeiten nun an spezifischen Inhibitoren dieses Rezeptors. Von der Entdeckung einer Mutation bis zur klinischen Anwendung dauert es zwar immer seine Zeit, aber die Entdeckung war von größter Bedeutung.
Wir wissen auch, dass die Mutation nicht nur die Resistenz vermittelt, sondern den Tumor aggressiver macht. Das erklärt, warum Frauen mit endokriner Resistenz plötzlich einen viel aggressiveren Krebsverlauf haben.
Der Brustkrebs breitet sich mit mehr Metastasen aus, die sich schnell entwickeln, weil die Mutation das Wachstum der Krebszellen an verschiedenen Stellen im Körper beschleunigt.
Dr. med. Anton Titov: Könnten Medikamente, die diese Mutation gezielt adressieren, die Empfindlichkeit der Tumoren gegenüber der endokrinen Therapie wiederherstellen? Würden sie helfen, die Behandlung auf die mutierten Tumoren zu fokussieren, ohne dass eine endokrine Therapie erforderlich wäre?
Dr. med. Ido Wolf: Es werden derzeit neue Krebsmedikamente entwickelt, die den mutierten Östrogenrezeptor hemmen können. Bisherige Brustkrebsmedikamente können diesen Rezeptor nicht binden. Die neue Wirkstoffgeneration wird in der Lage sein, den mutierten Östrogenrezeptor zu binden und das Krebswachstum zu hemmen.
Dr. med. Anton Titov: Wären diese Medikamente auch beim triple-negativen Brustkrebs wirksam?
Dr. med. Ido Wolf: Wahrscheinlich nicht, denn diese Medikamente zielen spezifisch auf den Östrogenrezeptor ab. Triple-negative Mammakarzinome exprimieren den Östrogenrezeptor gar nicht. Für diese Brustkrebsform benötigen wir völlig neue Medikamente.
Für Tumoren mit Östrogen- oder Progesteronrezeptoren wird diese Entwicklung unsere Behandlungsmöglichkeiten jedoch erheblich verbessern. Wir sollten in der Lage sein, eine weitere endokrine Therapielinie einzusetzen, anstatt zur Chemotherapie überzugehen.
Das wird nicht nur das Leben verlängern, sondern auch die Lebensqualität deutlich verbessern. Die neue Generation der Hormontherapie wird für die Patientinnen viel verträglicher sein als eine Chemotherapie.