Fetale Chirurgie bei Spina bifida. Wann ist der optimale Zeitpunkt für einen fetalchirurgischen Eingriff während der Schwangerschaft?

Fetale Chirurgie bei Spina bifida. Wann ist der optimale Zeitpunkt für einen fetalchirurgischen Eingriff während der Schwangerschaft?

Can we help?

Dr. Yves Ville, MD, ein führender Experte für Fetalchirurgie, erläutert die Vor- und Nachteile eines fetalen Eingriffs bei Spina bifida. Er geht detailliert auf die Zwei-Treffer-Hypothese der Rückenmarksschädigung ein und erklärt, wie eine intrauterine Operation die freiliegende Wirbelsäule vor dem Fruchtwasser schützen kann. Dadurch lässt sich möglicherweise eine umfangreichere Operation nach der Geburt vermeiden. Allerdings besteht das Risiko einer Frühgeburt infolge eines vorzeitigen Blasensprungs. Der optimale Zeitpunkt für einen fetalen endoskopischen Eingriff liegt zwischen der 20. und 25. Schwangerschaftswoche.

Fetale Chirurgie bei Spina bifida: Nutzen, Risiken und Zeitpunkt

Direkt zum Abschnitt

Die Zwei-Treffer-Hypothese der Rückenmarksschädigung

Dr. Yves Ville, MD, erläutert die Zwei-Treffer-Hypothese, die der fetalen Chirurgie bei Spina bifida zugrunde liegt. Der erste Treffer ist die angeborene Fehlbildung selbst, bei der das Rückenmark ungeschützt freiliegt. Der zweite Treffer ist die ständige Einwirkung des Fruchtwassers auf das ungeschützte Nervengewebe. Fruchtwasser ist chemisch aggressiv und verursacht weitere Schäden am freiliegenden Rückenmark. Diese sekundäre Schädigung verschlimmert die Gesamtläsion und beeinträchtigt die neurologische Prognose des Kindes.

Vorteile der fetalen Chirurgie bei Spina bifida

Das Hauptziel der fetalen Chirurgie ist es, die Spina-bifida-Läsion vor den toxischen Effekten des Fruchtwassers zu schützen. Dr. Yves Ville, MD, erklärt, dass das Abdecken des Defekts im Mutterleib diese sekundäre Schädigung verhindern kann. Ein bedeutender Vorteil ist, dass viele Kinder nach der Geburt keine größere Nachoperation benötigen. Einige benötigen später möglicherweise nur einen kleineren Eingriff bei einem fixierten Rückenmark (Tethered Cord). Dieser Eingriff bietet einen greifbaren Nutzen für Familien, die sich für den Erhalt der Schwangerschaft entscheiden.

Risiken von Frühgeburtlichkeit und vorzeitigem Blasensprung

Ein Hauptrisiko jeder fetalen endoskopischen Chirurgie ist der vorzeitige Blasensprung (pPROM). Diese Komplikation kann zu einer erheblichen Frühgeburtlichkeit führen. Dr. Yves Ville, MD, weist darauf hin, dass der Zusammenhang komplex ist: Eine moderate Frühgeburt könnte die Expositionszeit mit Fruchtwasser sogar verringern. Eine extreme Frühgeburt ist jedoch lebensbedrohlich. Etwa 15 % der Föten profitieren deutlich von der Operation. Im Gegensatz dazu haben 5 % bis 10 % keinen Nutzen und könnten sogar ein schlechteres Outcome haben.

Optimaler Zeitpunkt für die fetale Chirurgie

Der Zeitpunkt der fetalen Chirurgie ist entscheidend für ihren Erfolg und ihre Sicherheit. Dr. Yves Ville, MD, betont, dass das ideale Fenster in der Mitte der Schwangerschaft, zwischen der 20. und 25. Schwangerschaftswoche (SSW), liegt. Ein zu früher Eingriff erhöht das Risiko für Komplikationen wie einen Blasensprung. Ein zu später Eingriff, nach der 30. SSW, bringt wenig Nutzen, da die Schädigung dann oft irreversibel ist. In diesem Stadium ist es meist besser, die Entbindung zu planen und stattdessen postnatal zu operieren.

Postoperative Schwangerschaftsbetreuung und Entbindung

Dr. Yves Ville, MD, hebt einen Schlüsselvorteil der endoskopischen gegenüber der offenen fetalen Chirurgie hervor: die postoperative Betreuung. Nach einem endoskopischen Eingriff unterscheidet sich die Schwangerschaftsbetreuung kaum. Die Mutter muss nicht dauerhaft im Krankenhaus bleiben und kann oft nach Hause zurückkehren. Zudem ist weiterhin eine vaginale Entbindung möglich. Das steht im starken Kontrast zur offenen fetalen Chirurgie, die immer einen Kaiserschnitt erfordert – selbst bei extrem frühen Wehen.

Globale Bedeutung für die Behandlung von Spina bifida

Dr. Yves Ville, MD, erörtert die globale Bedeutung dieses minimal-invasiven Ansatzes. In Entwicklungsländern ist der Zugang zu sofortiger, komplexer postnataler Chirurgie oft begrenzt. Eine Operation im Mutterleib bedeutet, dass das Kind überall – sogar in abgelegenen Gebieten – ohne unmittelbares Risiko geboren werden kann. Das ist entscheidend in Regionen, wo perinatale Infektionen vor oder nach einer postnatalen Operation ein großes Problem darstellen. Die fetale Chirurgie könnte daher weltweit einen wichtigen Behandlungsweg eröffnen.

Vollständiges Transkript

Dr. Anton Titov, MD: Spina bifida kann bei ungeborenen Kindern diagnostiziert werden. Sie haben bereits einige Punkte angesprochen. Als Experte für fetale Chirurgie und intrauterine endoskopische Chirurgie: Eine fetale Chirurgie kann bei einem ungeborenen Kind mit Spina bifida durchgeführt werden. Wie Sie erwähnt haben, beseitigt sie die Spina bifida nicht vollständig. Dennoch gibt es Indikationen für diesen Eingriff. Könnten Sie bitte die Vor- und Nachteile der endoskopischen fetalen Chirurgie zusammenfassen, wenn Spina bifida vor der Geburt festgestellt wird?

Dr. Yves Ville, MD: Der Vorteil der intrauterinen Chirurgie bei Spina bifida liegt darin, dass man neben der Fehlbildung auch die schädliche Wirkung des aggressiven Fruchtwassers auf das freiliegende Rückenmind verhindert. Das fetale Rückenmark ist weder durch Knochen noch durch Haut geschützt. Das Fruchtwasser wirkt also aggressiv auf das Rückenmark ein und verschlimmert die Läsion und ihre Folgen.

Man spricht hier von der Zwei-Treffer-Hypothese. Der eine Treffer ist die Fehlbildung, der zweite die Aggressivität oder Toxizität des Fruchtwassers auf die Rückenmarksläsion. Indem man die Läsion schützt, hilft man also. Viele dieser Kinder benötigen nach der Geburt keine Nachoperation, oder sie haben später ein fixiertes Rückenmark (Tethered Cord), was einen kleineren Eingriff erfordert als eine vollständige Spina-bifida-Korrektur.

Es geht hauptsächlich darum, diese Fruchtwasser-assoziierte Morbidität zu verhindern. Das erklärt wahrscheinlich, warum der Effekt der intrauterinen Chirurgie im Vergleich zur postnatalen nicht so groß ist. Aber er ist vorhanden. Für Frauen, die die Schwangerschaft fortsetzen möchten und einen Abbruch nicht in Betracht ziehen, kann diese fetale Chirurgie daher hilfreich sein.

Der Nachteil ist das Risiko der Frühgeburtlichkeit aufgrund eines Blasensprungs. Wie bei allen endoskopischen Eingriffen besteht vor allem dieses Risiko. Bei Spina bifida ist Frühgeburtlichkeit jedoch eine offene Frage. Abgesehen von extrem frühgeborenen Entbindungen, die lebensbedrohlich sind, könnte eine moderate Frühgeburt sogar einen positiven Effekt haben, weil das Kind dann weniger dem Fruchtwasser ausgesetzt ist.

Der Zusammenhang ist nicht ganz klar. Im Grunde möchte man die Schwangerschaft fortsetzen und diesen kleinen Nutzen erzielen, von dem etwa 15 % der Föten zu profitieren scheinen. Im Gegensatz dazu profitieren etwa 5 bis 10 % der Föten mit Spina bifida nicht von der fetalen Chirurgie und verschlechtern sich sogar. Die Balance ist also sehr schmal.

Dr. Anton Titov, MD: Wann wird die Spina-bifida-Operation typischerweise in der Schwangerschaft durchgeführt? Wie viel Zeit vergeht üblicherweise zwischen der fetalen endoskopischen Chirurgie und der Entbindung?

Dr. Yves Ville, MD: Bei allen fetalen Chirurgien gibt es zwei Phasen. Operiert man zu früh, ist die Rate an Komplikationen wie Blasensprung sehr hoch. Daher sollte die fetale endoskopische Chirurgie etwa in der Mitte der Schwangerschaft, zwischen der 20. und 25. SSW, durchgeführt werden. Das ist der richtige Zeitpunkt, und das gilt für alle Operationen.

Dann ist der Uterus toleranter gegenüber der Instrumenteneinwirkung, und die Läsionen sind wahrscheinlich noch nicht irreversibel oder in einem Stadium, in dem keine Verbesserung mehr zu erwarten ist. Es würde keinen Sinn machen, einen Fötus in der 30. SSW zu operieren – etwa bei fetaler Chirurgie allgemein. Besser ist es dann, das Kind zu entbinden und postnatal zu operieren oder, wie beim Feto-fetalen Transfusionssyndrom, zu retten.

Das Ziel ist also, die Schwangerschaft im Wesentlichen noch etwa zehn Wochen aufrechtzuerhalten. Man erwartet, dass das Kind zwei gute Monate im Mutterleib bleibt, um zu wachsen, zu reifen und nicht der Läsion ausgesetzt zu sein.

Dr. Anton Titov, MD: Unterscheidet sich die Schwangerschaftsbetreuung nach uteriner Chirurgie in diesen zehn Wochen signifikant? Wie sieht es im Durchschnitt aus?

Dr. Yves Ville, MD: Nein, normalerweise nicht. Das ist ein Vorteil der endoskopischen Chirurgie gegenüber der offenen uterinen Chirurgie. Bei einer offenen Operation gibt es keine Alternative zum Kaiserschnitt – selbst wenn die Wehen sehr früh einsetzen. Nach einer endoskopischen Operation kann die Frau dagegen jederzeit normal, zumindest vaginal, entbinden. Die Betreuung unterscheidet sich nicht.

Die Mutter muss nicht kontinuierlich im Krankenhaus bleiben. Sie kann nach Hause gehen und eine übliche geburtshilfliche Nachsorge erhalten. Anders ist es, wenn die fetale endoskopische Chirurgie einmalig ist. Denken Sie an die Zwerchfellhernie mit einem Ballon, der die Trachea blockiert: Dieses Kind kann nicht überall geboren werden.

Es muss idealerweise nach Entfernung des Ballons im Mutterleib oder durch ein sehr erfahrenes Team bei der Geburt zur Welt kommen. Das ist also eine andere Situation. Ein Spina-bifida-Kind dagegen könnte sogar in einem Hintergarten geboren werden – das ist kein Problem. Das könnte ein Vorteil für Entwicklungsländer sein, denn dies ist ein globales Problem.

In einigen Ländern führen postoperative Infektionen vor und nach der Geburt zu erheblichen Problemen. Es könnte daher von Vorteil sein, diese Kinder bereits vor der Geburt zu operieren. Das ist ein sehr wichtiger Punkt.

Dr. Anton Titov, MD: Vielen Dank.