Dr. Dominique Bremond-Gignac, eine führende Expertin für pädiatrische Ophthalmologie, erklärt, wie moderne Screening-Methoden und die Anti-VEGF-Therapie die Behandlung der Frühgeborenenretinopathie revolutionieren und so bei extrem untergewichtigen Frühgeborenen Erblindung im Kindesalter verhindern.
Moderne Diagnostik und Behandlung der Frühgeborenenretinopathie
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- Überblick Frühgeborenenretinopathie
- Screening- und Diagnosemethoden
- Telemedizin im Screening
- Anti-VEGF-Injektionsbehandlung
- Laser- und Operationsoptionen
- Früherkennung und Prognose
- Vollständiges Transkript
Überblick Frühgeborenenretinopathie
Die Frühgeborenenretinopathie ist weltweit eine der Hauptursachen für Erblindung im Kindesalter. Dr. med. Dominique Bremond-Gignac betont, dass die Erkrankung durch medizinische Fortschritte zunehmend an Bedeutung gewinnt, da mehr Frühgeborene mit sehr niedrigem Geburtsgewicht überleben. Charakteristisch ist ein abnormales Gefäßwachstum in der Netzhaut, das unbehandelt zu Netzhautablösung und dauerhaftem Sehverlust führen kann.
Screening- und Diagnosemethoden
Das moderne Screening der Frühgeborenenretinopathie hat sich im Vergleich zu herkömmlichen Methoden erheblich weiterentwickelt. Dr. med. Dominique Bremond-Gignac beschreibt den Übergang von aufwändigen Untersuchungen mit Headsets zu fortschrittlichen Weitwinkel-Fundus-Bildgebungssystemen. Diese handlichen Geräte liefern umfassende Netzhautansichten und sind unabhängig von größeren Apparaten, was die Anwendung an den winzigen Augen von Frühgeborenen deutlich erleichtert.
Die Weitwinkel-Bildgebung markiert einen entscheidenden Fortschritt in der Früherkennung. Sie ermöglicht medizinischem Fachpersonal, detaillierte Aufnahmen der gesamten Netzhaut zu erstellen und so frühzeitig Gefäßveränderungen zu identifizieren, die eine Intervention erforderlich machen.
Telemedizin im Screening
Die Telemedizin hat sich als effizientes Instrument etabliert, um Screening-Programme für Frühgeborenenretinopathie auszuweiten. Geschultes Pflegepersonal oder Paramedics können Netzhautbilder direkt am Bett aufnehmen, die dann zur Fernbegutachtung an Netzhautspezialisten übermittelt werden. Dieser Ansatz macht die physische Anwesenheit von Spezialisten beim Erstcreening überflüssig, ohne die diagnostische Genauigkeit zu beeinträchtigen.
Netzhautchirurgen können die Bilder auswerten und die weitere Vorgehensweise festlegen – sei es regelmäßige Kontrolle oder sofortige Überweisung an ein spezialisiertes Zentrum. Die Skalierbarkeit dieses Modells deckt den dringenden Bedarf an flächendeckendem Screening auf neonatologischen Intensivstationen.
Anti-VEGF-Injektionsbehandlung
Anti-VEGF-Injektionen gelten als bahnbrechende Therapie der Frühgeborenenretinopathie. Dr. med. Dominique Bremond-Gignac verweist auf eine wegweisende Studie im New England Journal of Medicine, die die Wirksamkeit dieses Ansatzes belegt. Die Medikamente hemmen den vaskulären endothelialen Wachstumsfaktor (VEGF), der für das krankhafte Gefäßwachstum in der geschädigten Netzhaut verantwortlich ist.
Die gezielte Therapie unterbindet den für fortgeschrittene Stadien typischen Prozess der Neovaskularisation. So kann sie Netzhautablösungen verhindern und das Sehpotenzial erhalten, was sie zu einer wertvollen Alternative oder Ergänzung zur herkömmlichen Lasertherapie macht.
Laser- und Operationsoptionen
Obwohl die Anti-VEGF-Therapie das Management revolutioniert hat, behält die Lasertherapie in bestimmten Fällen ihre Bedeutung. Dr. med. Dominique Bremond-Gignac betont, dass Laser möglichst sparsam eingesetzt und manchmal mit Anti-VEGF-Injektionen kombiniert werden sollten, um optimale Ergebnisse zu erzielen. Die Behandlung muss stets an die individuellen Netzhautbefunde und den Krankheitsverlauf des Säuglings angepasst werden.
Die Netzhautchirurgie bleibt das letzte Mittel bei fortgeschrittenen Fällen, die auf andere Interventionen nicht ansprechen. Die Ergebnisse sind in der Regel weniger günstig, was die immense Bedeutung frühzeitiger Erkennung und Behandlung unterstreicht, bevor operative Eingriffe nötig werden.
Früherkennung und Prognose
Die Früherkennung ist der entscheidende Faktor für den Behandlungserfolg bei Frühgeborenenretinopathie. Dr. Bremond-Gignac hebt hervor, dass rechtzeitiges Screening Interventionen ermöglicht, bevor irreversible Netzhautschäden entstehen. Die Kombination aus moderner Weitwinkelbildgebung, Telemedizin und wirksamer Anti-VEGF-Therapie hat die Prognose für gefährdete Frühgeborene erheblich verbessert.
Dr. med. Anton Titov und Dr. med. Dominique Bremond-Gignac sind sich einig, dass systematische Screening-Programme mit diesen fortschrittlichen Technologien die Zukunft der Prävention darstellen. Bei effektiver Umsetzung können sie die Rate kindlicher Erblindungen durch Frühgeborenenretinopathie durch frühzeitige Erkennung und gezielte Behandlung signifikant senken.
Vollständiges Transkript
Dr. med. Anton Titov: Die Frühgeborenenretinopathie ist eine der Hauptursachen für Erblindung im Kindesalter. Da heute mehr Frühgeborene mit sehr niedrigem Geburtsgewicht überleben, stellt sie ein erhebliches Problem dar.
Wie lässt sich die Erkrankung verhindern? Wie wird sie diagnostiziert? Und was sind die besten Behandlungsmethoden?
Dr. med. Dominique Bremond-Gignac: Eine sehr, sehr gute Frage. Weil die Frühgeborenenretinopathie für manche Babys ein echtes Erblindungsrisiko birgt, brauchen wir Screening von höchster Qualität. Anschließend geht es um die Behandlung.
Zunächst aber zum Screening. Dafür benötigen wir diagnostische Methoden, die einfach anzuwenden sind und gute Netzhautansichten liefern. Es gibt neue Verfahren, die deutlich besser sind als frühere Methoden.
Als ich Assistenzärztin war, untersuchten wir die Netzhaut noch mit Headsets. Das war sehr schwierig, weil die Kinder und ihre Augen so winzig sind.
Heute haben wir Diagnosesysteme mit Handstücken, die einen Weitwinkel-Fundus bieten. Der große Vorteil moderner Methoden ist, dass die Handstücke unabhängig von der Maschine sind. Sie sind einfach zu handhaben und haben die Diagnostik erleichtert.
In einigen Zentren führt bereits Pflegepersonal das Screening durch. Das finde ich sehr interessant. Natürlich ist das eine Herausforderung, weil Neonatologie-Pflegekräfte sehr beschäftigt sind. Aber ein professioneller Paramedic, der die Netzhuntersuchung übernimmt, wäre ideal.
Wir arbeiten auch mit Bildübertragung per Telemedizin. Das ist ebenfalls vielversprechend, weil man für die Diagnose nicht vor Ort sein muss. Wenn jemand die Bilder aufnimmt, kann der Netzhautspezialist sie begutachten und entscheiden: "Alles in Ordnung, weiter beobachten" oder "Der Patient muss in ein spezialisiertes Zentrum zur Behandlung."
Und was die Behandlung angeht: Wir haben verschiedene Optionen. Eine neue Methode sind Anti-VEGF-Injektionen, die sehr nützlich sind.
Vor einigen Jahren gab es eine wichtige Veröffentlichung im New England Journal of Medicine, die die Wirksamkeit belegte. Das ist aber nicht die einzige Behandlung.
Wir müssen die Neovaskularisation in der geschädigten Netzhaut stoppen. Eine weitere Option ist die Netzhautchirurgie, falls nötig. Laser sollten möglichst wenig eingesetzt werden.
Anti-VEGF-Injektionen können auch kombiniert werden. Die Netzhautchirurgie ist das letzte Mittel. Wenn wir dazu übergehen müssen, ist die Prognose leider nicht gut. Daher ist die Früherkennung absolut entscheidend für den Erfolg.
Dr. med. Anton Titov: Sehr interessant, dass Sie die Telemedizin erwähnen. Sie macht das Screening skalierbar, auch ohne dass ein Netzhautspezialist vor Ort sein muss. Die Fernbegutachtung der Bilder hilft, betroffene Babys zu diagnostizieren und hoffentlich früh nicht-chirurgisch zu behandeln.
Dr. med. Dominique Bremond-Gignac: Genau. Das frühzeitige Screening ist der Schlüssel zum Erfolg.