Bei dieser 63-jährigen Patientin mit rheumatoider Arthritis traten schwere Atembeschwerden und Symptome einer Herzinsuffizienz auf. Umfangreiche Untersuchungen zeigten abnormales Weichteilgewebe um Herz, große Gefäße und Nieren. Das Ärzteteam erwog mehrere seltene Diagnosen, bevor die wahrscheinlichste durch sorgfältige Analyse der Symptome, Laborwerte und Bildgebung ermittelt wurde.
Ein komplexer Fall: Ungeklärte Herzinsuffizienz bei einer Patientin mit rheumatoider Arthritis
Inhaltsverzeichnis
- Fallvorstellung
- Krankengeschichte und Hintergrund
- Diagnostische Untersuchungen und Ergebnisse
- Bildgebende Befunde
- Differenzialdiagnose
- Klinische Einschätzung
- Bedeutung für Patienten
- Quellenangaben
Fallvorstellung
Eine 63-jährige Frau stellte sich am Massachusetts General Hospital mit seit zwei Monaten bestehender, zunehmender Atemnot vor. Anfangs bemerkte sie bei Wanderungen mit Freundinnen eine ungewöhnliche Erschöpfung – obwohl sie sonst stets als Erste das Ziel erreichte. Innerhalb von zwei Wochen entwickelte sie einen trockenen Husten, und ihre Atemprobleme verschlimmerten sich so sehr, dass sie nach nur zehn Minuten auf Laufband oder Ellipsentrainer pausieren musste.
Die Symptome wurden derart schwerwiegend, dass sie aufgrund der Luftnot mit drei Kissen hochgelagert schlief. Zudem klagte sie über Bauchspannung, Appetitverlust und Übelkeit nach dem Essen. Diese Beschwerden traten etwa ein Jahr nach der Diagnose einer rheumatoiden Arthritis auf, einer Autoimmunerkrankung, die Gelenkentzündungen und Schmerzen verursacht.
Krankengeschichte und Hintergrund
Fünfzehn Monate vor Auftreten der aktuellen Symptome wurde bei der Patientin in der rheumatologischen Ambulanz eines anderen Krankenhauses eine rheumatoide Arthritis diagnostiziert. Sie berichtete über seit sechs Monaten bestehende Schwellungen und Steifheit der Handgelenke sowie Hautstraffungen an mehreren Fingern. Die Untersuchung ergab Schwanenhalsdeformitäten an beiden Händen; Röntgenaufnahmen zeigten marginale Erosionen der Handknochen.
Die Laborwerte wiesen normale Leukozytenzahlen, Schilddrüsenfunktion und weitere Blutmarker auf. Mehrere Antikörpertests – einschließlich Untersuchungen auf Autoimmunerkrankungen sowie Infektionen wie Lyme-Borreliose und Hepatitis – fielen negativ aus. Die Blutsenkungsgeschwindigkeit (ein Entzündungsmarker) war mit 55 mm/h erhöht (Norm: 0–20), und das C-reaktive Protein (ein weiterer Entzündungsmarker) lag bei 25,2 mg/l (Norm: <8,0).
Positiv waren Rheumafaktor und anti-citrullinierte cyclische Peptid-Antikörper – beides Marker, die für eine rheumatoide Arthritis sprechen. Unter einer Behandlung mit Methotrexat (einem Immunsuppressivum) besserten sich die Gelenkschwellungen innerhalb von zwei Monaten.
Weitere Vorerkrankungen umfassten Bluthochdruck, Diabetes mellitus, Fettstoffwechselstörungen, eine überstandene Meningeom-Operation (ein Hirntumor) sowie einen positiven Tuberkulin-Hauttest (bei negativem spezifischem Tuberkulose-Test).
Diagnostische Untersuchungen und Ergebnisse
Bei Auftreten der Atembeschwerden wurde die Patientin umfassend untersucht. Die Laborwerte zeigten eine Verschlechterung der Entzündungsparameter und eine Anämie:
- Blutsenkungsgeschwindigkeit stieg von 55 auf 70 mm/h
- C-reaktives Protein stieg von 25,2 auf 47,1 mg/l
- Hämoglobin sank von 12,5 auf 9,8 g/dl (Norm: 12,0–16,0)
- N-terminales pro-B-Typ natriuretisches Peptid (ein Herzinsuffizienz-Marker) war initial mit 389 pg/ml erhöht und stieg auf 672 pg/ml (Norm: <900)
Weitere Tests ergaben normale Schilddrüsen-, Nieren- und Leberwerte. Ein COVID-19-Test war negativ. Das Elektrokardiogramm (EKG) zeigte einen abnormalen Herzrhythmus, T-Negativierungen (möglicher Hinweis auf Herzbelastung) und eine Verlängerung des korrigierten QT-Intervalls (QTc) auf 509 Millisekunden (ein Risikofaktor für Herzrhythmusstörungen).
Bildgebende Befunde
Mehrere bildgebende Verfahren zeigten auffällige Veränderungen:
Das Röntgen-Thorax wies diffuse retikuläre interstitielle Zeichnungen (abnormale Lungenmuster) und eine vergrößerte Herzsilhouette auf. Der abdominale Ultraschall ergab Leberzysten, Pleuraergüsse (Flüssigkeit um die Lungen) und beidseitige Hydronephrose (Nierenschwellung).
Computertomographie (CT)-Aufnahmen von Thorax und Abdomen zeigten:
- Perikarderguss und -verdickung (um das Herz)
- Linksseitigen Pleuraerguss
- Beidseitige pararenale Flüssigkeitsansammlungen (um die Nieren)
- Infiltrative Veränderungen im Mediastinalfett (Bereich zwischen den Lungen)
- Ausgedehnte abnormale Weichteilverdickungen im Retroperitonealraum um beide Nieren und die Aorta
Die Echokardiographie (Herzultraschall) ergab normale Herzgröße und Pumpfunktion, jedoch eine irreguläre echogene Struktur von etwa 2 cm Dicke nahe der Aortenwurzel sowie echogenes Material im Perikardraum.
Die kardiale Magnetresonanztomographie (MRT) zeigte eine abnorme Gadolinium-Anreicherung (Hinweis auf Entzündung oder Narbenbildung) im Perikard und Weichteilödeme im Mediastinum, jedoch keinen Befall des Herzmuskels.
Differenzialdiagnose
Das medizinische Team zog mehrere Erklärungen für die Symptome und Befunde in Betracht:
Infektion: Aufgrund der immunsuppressiven Therapie (Methotrexat) wurden Infektionen wie Tuberkulose oder Lyme-Borreliose erwogen. Vorherige Tests hierauf waren jedoch negativ, und es fehlten typische Infektionszeichen wie Fieber.
Krebs: Die ausgedehnten Weichteilanomalien könnten auf ein Lymphom oder metastasierenden Krebs hindeuten. Es bestanden jedoch kein Gewichtsverlust, Nachtschweiß oder Lymphknotenschwellungen.
Entzündliche Erkrankungen: Bei bekannter rheumatoider Arthritis wurde eine ungewöhnliche Manifestation der Autoimmunerkrankung in Erwägung gezogen. Die ausgedehnte Weichteilbeteiligung wäre jedoch für eine rheumatoide Vaskulitis (Gefäßentzündung) atypisch.
IgG4-assoziierte Erkrankung: Diese immunvermittelte fibroinflammatorische Erkrankung kann multiple Organe betreffen. Typisch sind erhöhte IgG4-Spiegel (normale Werte schließen sie nicht aus) und spezifische Biopsiemuster. Die retroperitoneale Fibrose und mögliche Pankreasbeteiligung der Patientin passten dazu.
Erdheim-Chester-Erkrankung: Diese seltene Nicht-Langerhans-Zell-Histiozytose betrifft multiple Systeme. Kardiovaskuläre Beteiligung zeigt sich bei etwa einem Drittel der Patienten – mit Perikarderkrankung (13%), Gefäßbeteiligung (17%) und myokardialer Infiltration (25%). Die periaortalen Veränderungen und zirkumferentiellen Weichteilummantelungen der Aorta sprachen stark für diese Diagnose.
Klinische Einschätzung
Das medizinische Team kam zu dem Schluss, dass das Erscheinungsbild der Patientin am ehesten zur Erdheim-Chester-Erkrankung passt – einer seltenen Störung, bei der abnormale weiße Blutkörperchen (Histiozyten) in Geweben im gesamten Körper akkumulieren. Entscheidende Hinweise waren:
- Weichteilverdickungen um Aorta, Nieren und Herz
- Perikardbeteiligung mit Herzinsuffizienzsymptomen
- Erhöhte Entzündungsmarker
- Fehlende Anzeichen für Infektion oder Krebs
Das Team empfahl eine Biopsie des betroffenen Gewebes zur Diagnosesicherung vor Beginn einer gezielten Therapie.
Bedeutung für Patienten
Dieser Fall verdeutlicht mehrere wichtige Aspekte für Patienten mit Autoimmunerkrankungen:
Erstens sollten neue Symptome wie Atemnot bei rheumatoider Arthritis nie vorschnell der Grunderkrankung zugeschrieben werden. Die Belastungsintoleranz dieser Patientin verschlechterte sich binnen Wochen so stark, dass sie nicht mehr flach liegen konnte – klare Warnzeichen, die eine gründliche Abklärung erforderten.
Zweitens können Autoimmunerkrankungen unerwartete Organe betreffen. Während rheumatoide Arthritis typischerweise Gelenke befällt, kann sie selten andere Systeme einbeziehen, oder es entwickeln sich zusätzliche Autoimmunerkrankungen an Herz, Lungen oder Nieren.
Drittens erfordert die Diagnose oft multiple Untersuchungen. Diese Patientin durchlief Blutanalysen, bildgebende Verfahren (Röntgen, CT, MRT, Ultraschall) und Herzuntersuchungen (EKG, Echokardiogramm). Manchmal ist eine Gewebebiopsie entscheidend.
Schließlich erfordern seltene Erkrankungen spezialisierte Expertise. Die Ärzte erwogen multiple seltene Differentialdiagnosen, bevor sie die wahrscheinlichste identifizierten. Patienten mit komplexen Krankheitsbildern profitieren oft von der Evaluation in spezialisierten Zentren.
Wenn Sie eine Autoimmunerkrankung haben und neue Symptome entwickeln – insbesondere Atemnot, ungeklärte Schwellungen oder Belastungsintoleranz – teilen Sie diese Veränderungen umgehend Ihrem Behandlungsteam mit. Frühes Erkennen ungewöhnlicher Komplikationen kann zu effektiverer Behandlung und besseren Outcomes führen.
Quellenangaben
Originalartikeltitel: Fall 18-2025: Eine 63-jährige Frau mit Belastungsdyspnoe
Autoren: Malissa J. Wood, Carola A. Maraboto Gonzalez, Reece J. Goiffon, Eric D. Jacobsen, Bailey M. Hutchison, Dennis C. Sgroi, Eric S. Rosenberg
Veröffentlichung: The New England Journal of Medicine, 26. Juni 2025
DOI: 10.1056/NEJMcpc2300897
Dieser patientenfreundliche Artikel basiert auf peer-reviewter Forschung aus der Serie Case Records of the Massachusetts General Hospital.