Dr. Stephen Evans, MD, ein führender Experte für klinische Studien und Pharmakoepidemiologie, beleuchtet die vielversprechendsten COVID-19-Behandlungen. Er analysiert frühe Daten aus Remdesivir- und Interferon-Studien und erläutert detailliert, warum der Zeitpunkt der antiviralen Therapie entscheidend ist. Zudem diskutiert er die Grenzen der aktuellen klinischen Evidenz und klärt auf, welche umgenutzten Medikamente derzeit noch nicht durch Daten gestützt werden.
Verständnis klinischer Studien zu COVID-19: Remdesivir, Interferon und neue Behandlungsansätze
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- Vielversprechende COVID-19-Behandlungen
- Klinische Studiendaten zu Remdesivir
- Zeitpunkt der antiviralen Behandlung
- Evidenz zur Interferontherapie
- Behandlungen ohne Evidenz
- Zukünftige Behandlungsrichtungen
- Vollständiges Transkript
Vielversprechende COVID-19-Behandlungen
Dr. Stephen Evans, MD, erörtert die derzeit vielversprechendsten COVID-19-Behandlungen. Er weist darauf hin, dass zwar über 1500 klinische Studien registriert sind, aber nur wenige schlüssige Ergebnisse vorliegen. Antivirale Medikamente, die direkt das SARS-CoV-2-Virus angreifen, seien besonders vielversprechend – darunter Remdesivir und interferonbasierte Therapien.
Behandlungen lassen sich laut Dr. Evans in zwei Hauptkategorien einteilen: Einige zielen auf das Virus selbst ab, andere lindern die durch die Infektion verursachten Symptome. Die derzeit vielversprechendsten Ansätze hätten eine direkte antivirale Wirkung. Entscheidend für deren Wirksamkeit sei jedoch der richtige Zeitpunkt der Verabreichung.
Klinische Studiendaten zu Remdesivir
Dr. Stephen Evans, MD, analysiert die klinischen Studienergebnisse zu Remdesivir. Er erwähnt Studien in China, die aufgrund von Rekrutierungsproblemen vorzeitig abgebrochen wurden. Die in The Lancet veröffentlichte chinesische Studie war zu klein, um signifikante Unterschiede in den Ergebnissen zu erkennen.
Eine größere, vom NIH gesponserte Studie verglich Remdesivir mit Placebo in mehreren Ländern. Sie zeigte Unterschiede in der Zeit bis zur Genesung, obwohl die Mortalitätsunterschiede marginal blieben. Auf Basis dieser Daten erteilte die FDA Remdesivir eine Notfallzulassung. Allerdings hat das Unternehmen selbst keine placebokontrollierten Studien durchgeführt, sondern lediglich 5-tägige mit 10-tägigen Behandlungsschemata verglichen.
Zeitpunkt der antiviralen Behandlung
Dr. Stephen Evans, MD, erklärt, warum der Zeitpunkt für antivirale COVID-19-Behandlungen entscheidend ist. Die Viruslast erreiche ihren Höhepunkt um den Zeitpunkt des Symptombeginns. Antivirale Medikamente wie Remdesivir müssten daher früh verabreicht werden, um die Virusreplikation zu unterbinden.
Eine zu späte Behandlung könne unwirksam sein, da das Virus sich bereits stark vermehrt habe. Dies stelle eine Herausforderung dar, da Patienten typischerweise erst nach Symptombeginn medizinische Hilfe suchten. Subgruppenanalysen deuteten auf bessere Ergebnisse bei früherer Behandlung hin – allerdings seien diese Vergleiche nicht randomisiert. Im Idealfall würden Menschen vor Symptombeginn behandelt, was jedoch frühe diagnostische Indikatoren erfordere.
Evidenz zur Interferontherapie
Dr. Stephen Evans, MD, diskutiert die Evidenz für Interferontherapie bei COVID-19. Er verweist auf eine Hongkong-Studie, die injizierbares Interferon mit zwei Anti-HIV-Medikamenten kombinierte. Diese Studie verglich Interferon plus HIV-Medikamente mit HIV-Medikamenten allein.
Die Studie zeigte einen Nutzen in der Genesungszeit, obwohl die Mortalitätsvorteile aufgrund der kleinen Stichprobengröße nicht statistisch signifikant waren. Dr. Evans erwähnt eine UK-Studie, die inhaliertes Interferon beta untersucht – direkt in die Lunge abgegeben. Dieser Ansatz biete möglicherweise eine gezieltere Therapie mit weniger systemischen Nebenwirkungen. Interferon gehöre zu den wenigen umgewidmeten Medikamenten mit überzeugender Evidenz für die COVID-19-Behandlung.
Behandlungen ohne Evidenz
Dr. Stephen Evans, MD, klärt auf, welchen COVID-19-Behandlungen derzeit die Evidenz fehlt. Hydroxychloroquin habe in randomisierten Studien keinen nachgewiesenen Nutzen gezeigt. Ebenso fehle für Azithromycin und die Kombination dieser Medikamente die Evidenz für Wirksamkeit.
Die beiden Anti-HIV-Medikamente, die in verschiedenen Schemata getestet wurden, zeigten ebenfalls keine nachgewiesene Wirksamkeit gegen COVID-19. Diese Medikamente wirkten zwar für ihre vorgesehenen Indikationen, aber nicht bei Coronavirus-Infektionen. Dr. Evans betont die Bedeutung, sich bei der Bewertung von Behandlungsoptionen auf randomisierte Studienergebnisse anstatt auf anekdotische Berichte zu stützen.
Zukünftige Behandlungsrichtungen
Dr. Stephen Evans, MD, diskutiert potenzielle zukünftige Richtungen der COVID-19-Behandlungsforschung. Verschiedene Behandlungen könnten in verschiedenen Krankheitsstadien wertvoll sein: Antivirale Therapien wirken wahrscheinlich am besten früh im Infektionsverlauf.
Später im Krankheitsverlauf könnten Antikoagulationsansätze die durch Virusschäden verursachten Gerinnungsstörungen adressieren. Allerdings betont Dr. Evans, dass für diese Ansätze noch randomisierte Studienergebnisse fehlten. Er erwartet, dass neben Remdesivir und Interferon weitere antivirale Behandlungen auftauchen könnten, sobald mehr Studienergebnisse vorlägen. Die medizinische Gemeinschaft suche weiter nach wirksamen Behandlungen, die sowohl das Virus als auch seine Komplikationen ins Visier nehmen.
Vollständiges Transkript
Dr. Anton Titov, MD: Professor Evans, es sind mehr als 1500 COVID-19-bezogene klinische Studien auf clinicaltrials.gov registriert. Welche klinischen Studien zu COVID-19-Behandlungen halten Sie heute für am vielversprechendsten?
Dr. Stephen Evans, MD: Die bisher berichteten Studien haben in keiner Situation vollständige Ergebnisse geliefert. Es gab eine Reihe von Studien zu Remdesivir. Die ersten beiden wurden in China durchgeführt und beide abgebrochen, weil die Anzahl der Patienten mit COVID-19-Symptomen, die ins Krankenhaus eingeliefert wurden, so stark gesunken war, dass keine Rekrutierung mehr möglich war. Die Epidemie war weitergezogen.
Eine dieser Studien wurde in The Lancet veröffentlicht. Eine weitere, viel größere vom NIH gesponserte Studie – nicht nur in Amerika, sondern auch in Europa und anderswo – verglich ebenfalls Remdesivir mit Placebo. Sie hat bis zum heutigen Datum (20. Mai) ihre Ergebnisse noch nicht veröffentlicht, außer in einer Pressemitteilung des NIH.
Aber die Daten, die der FDA zur Verfügung gestellt wurden, ermöglichten eine Notfallzulassung für Remdesivir. Das Unternehmen, das das Medikament herstellt, hat selbst keine placebokontrollierten Studien durchgeführt, und es sind keine mit dem Unternehmen als Sponsor registriert. Stattdessen verglichen sie zwei Behandlungsschemata von fünf und zehn Tagen mit recht großen Fallzahlen.
Diese Studien zeigen nicht, ob Remdesivir tatsächlich besser wirkt als nichts. Sie zeigen nur, ob es einen Unterschied zwischen fünf und zehn Tagen Behandlung gibt. Man kann die Anzahl der Menschen mit schwerwiegenden unerwünschten Wirkungen zählen und einen historischen Vergleich anstellen, um die Sicherheit zu bewerten.
Die Daten aus diesen Studien kombiniert mit denen aus den placebokontrollierten Studien waren offenbar ausreichend für die FDA, um eine Notfallzulassung zu erteilen. Es wurde keine Marketingzulassung erteilt, da die Evidenz nicht ausreichte, um das Medikament als wirksam bei COVID-19 zu verkaufen.
Es gab Unterschiede in der Zeit bis zur Genesung. Die Mortalitätsunterschiede zwischen Behandelten und Unbehandelten waren nur marginal. Die chinesische Studie war unterpowert – sie rekrutierte nicht genug Menschen, um einen echten Unterschied in der Genesungszeit oder Mortalität zu zeigen.
Die Ergebnisse waren zu unsicher. Es ist nicht korrekt zu sagen, dass die Studie in China und die NIH-Studie widersprüchlich waren – die NIH-Studie fand Hinweise auf einen Nutzen in der Genesungszeit, die chinesische Studie nicht. Aber die chinesische Studie war einfach zu klein, um einen Unterschied zu detektieren. Sie fand auch keinen Mortalitätsunterschied.
Die NIH-Studie fand einen leichten Mortalitätsunterschied, der, wenn real, von Nutzen wäre. Aber auch hier war die Studie laut Pressemitteilung unterpowert, um einen echten Mortalitätsnutzen zu bestimmen.
Ein weiterer Punkt bei diesen Medikamenten – Remdesivir im Besonderen, aber auch anderen – ist, dass sie das Virus direkt angreifen sollen, nicht die Symptome. Einige Medikamente zielen auf das Virus, andere auf Symptome. Bei antiviralen Medikamenten wie Remdesivir geht es um das Virus.
Die Konsequenz: Wenn die Behandlung zu spät kommt, hat sich das Virus im Patienten so sehr vermehrt, dass es zu spät ist, um Symptome zu verhindern. Bei virusbekämpfenden Behandlungen muss man früh im Krankheitsverlauf eingreifen.
Manchmal wurden die Ergebnisse nach Subgruppen aufgeschlüsselt – Menschen, die früh behandelt wurden, versus those, die spät behandelt wurden. Wie zu erwarten, schnitten those, die früh nach Symptombeginn behandelt wurden – wenn das Medikament wirksam ist – besser ab als those, die später behandelt wurden.
Natürlich kann man Menschen nicht randomisieren, um früh oder spät behandelt zu werden; man muss das akzeptieren. Diese Subgruppenanalysen basieren nicht mehr auf einem zufälligen Vergleich und sind mit Vorsicht zu behandeln. In diesem Fall ist es jedoch vernünftig anzunehmen, dass eine frühe Behandlung größere Vorteile bringt.
Das Problem: Wir wissen mittlerweile, dass das Virus wahrscheinlich kurz vor oder um den Zeitpunkt des Symptombeginns sein Maximum erreicht. Die Infektiosität ist zu diesem Zeitpunkt ebenfalls am höchsten, was teilweise erklärt, warum sich das Virus weltweit verbreitet hat.
Also müssen wir abwägen: Im Idealfall gibt man die Behandlung, bevor Symptome auftreten. Dann könnte man die Virusreplikation stoppen und Symptome verhindern. Aber man muss sehr früh eingreifen.
Menschen gehen nicht ins Krankenhaus, bis sie eine Weile Symptome hatten. Das ist schwierig. Wenn wir früh testen könnten oder gute diagnostische Indikatoren für den Beginn von COVID-19 hätten, könnten wir dort Studien durchführen.
Zum Beispiel: Wenn wir Studien bei allen durchführen könnten, die einen plötzlichen Geschmacks- und Geruchsverlust haben und möglicherweise COVID-19 haben, könnten wir feststellen, dass diese Medikamente sehr wirksam sind, und müssten nicht unbedingt große Zahlen behandeln.
Das gleiche Muster zeigte sich in einer Interferon-Studie in Hongkong. Dort wurde injizierbares Interferon zusammen mit zwei HIV-Medikamenten verabreicht. In der Hongkonger Kultur ist eine Placebo-Studie schwer durchzuführen.
Beide Gruppen erhielten die beiden Anti-HIV-Medikamente; die Interferon-Gruppe bekam zusätzlich Interferon und wurde mit der Gruppe verglichen, die nur die HIV-Medikamente erhielt. Auch diese Studie war recht klein. Sie zeigte einen echten Nutzen in der Genesungszeit, aber keinen ausreichenden Mortalitätsvorteil für statistische Signifikanz.
Diese Studie war als kleiner Versuch konzipiert und sollte zu einer weiteren Studie überleiten. In Großbritannien läuft eine weitere Studie mit Interferon beta, das nicht injiziert wird – bei Multipler Sklerose wird es injiziert. Hier wird Interferon beta direkt in die Lunge inhaliert, aber wir haben noch keine Ergebnisse.
Sowohl Remdesivir als auch Interferon beta sind die beiden Behandlungen, für die wir Hinweise auf Wirksamkeit haben. Für Hydroxychloroquin liegen keine Belege vor. Für Azithromycin gibt es keine Evidenz. Für die Kombination der beiden existieren keine Nachweise.
Für die beiden Anti-HIV-Medikamente haben wir in randomisierten Studien keine Evidenz für Wirksamkeit bei COVID-19. Sie wirken zweifellos bei HIV, aber nicht bei COVID-19. Daher wird es wahrscheinlich andere, wirksamere Behandlungen geben.
Es gibt weitere antivirale Therapien, aber wir haben noch keine Ergebnisse gesehen. Bei den umgewidmeten Medikamenten ist Interferon möglicherweise das einzige mit überzeugenden Belegen. Es könnten andere Behandlungen in anderen Krankheitsstadien wichtig sein.
Bestimmte Formen der Antikoagulation könnten in einem späten Stadium nach virusbedingter Schädigung wertvoll sein. Die Infektion führt möglicherweise zu Gerinnungsstörungen, sodass Antikoagulanzien helfen könnten. Aber auch hier fehlen randomisierte Studiendaten.