Hormontherapie bei Brustkrebs: Geschichte und Fortschritte. 1

Hormontherapie bei Brustkrebs: Geschichte und Fortschritte. 1

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Dr. Marc Lippman, MD, ein führender Experte für Hormontherapie bei Brustkrebs, erläutert die Geschichte und den aktuellen Stand endokriner Behandlungen. Er beschreibt detailliert, wie hormonabhängiger Brustkrebs bereits vor Jahrhunderten erstmals beobachtet wurde. Dr. Lippman zeichnet die Entwicklung von der chirurgischen Ablation bis hin zu modernen medikamentösen Therapien nach. Er betont, dass die endokrine Therapie der bedeutendste Fortschritt in der Brustkrebsbehandlung darstellt. Diese Behandlungen senken die Sterblichkeitsrate erheblich und können Brustkrebs sogar vorbeugen.

Hormontherapie bei Brustkrebs: Geschichte, Fortschritte und Prävention

Abschnitte

Frühe Geschichte der Hormontherapie

Der Einfluss von Hormonen auf Brustkrebs wird seit Jahrhunderten beobachtet. Dr. Marc Lippman verweist auf epidemiologische Studien aus dem Verona des 17. Jahrhunderts, die Unterschiede in der Brustkrebshäufigkeit zwischen Nonnen und anderen Frauen zeigten. Die erste klassische endokrine Therapie entstand Ende des 19. Jahrhunderts, als Chirurgen bei prämenopausalen Brustkrebspatientinnen eine Ovarektomie durchführten. Wie Dr. Lippman betont, sprachen einige Frauen auf diesen Eingriff mit deutlichen objektiven Ansprechraten an.

Wissenschaftliche Durchbrüche in der Endokrinologie

Die wissenschaftliche Grundlage der Hormontherapie entwickelte sich nur langsam. Ein Haupthindernis war lange Zeit die Unfähigkeit, Hormonspiegel zu messen. Dies änderte sich in den frühen 1960er Jahren mit der Erfindung von Radioimmunoassays und Radiorezeptorassays, wie Dr. Marc Lippman erläutert. Diese Technologien ermöglichten die Messung extrem niedriger Konzentrationen von Steroid- und Peptidhormonen, machten die Endokrinologie zu einer präzisen Wissenschaft und klärten hormonelle Rückkopplungsmechanismen auf. So wurde deutlich, dass Brustkrebs eine hormonabhängige Erkrankung ist.

Dr. Lippman verdeutlicht die Wirkung von Östrogen auf das Wachstum: Die Gabe von Östrogen an Männer würde zwar Brustwachstum auslösen, doch gibt es natürliche Wachstumsgrenzen. Brustkrebszellen hingegen „vergessen“, ihr Wachstum unter Östrogeneinfluss zu stoppen. Diese Erkenntnis, die bereits in den 1940er Jahren gewonnen wurde, ebnete den Weg für wissenschaftlich fundierte endokrine Therapien.

Entwicklung chirurgischer endokriner Therapien

Frühe endokrine Therapien konzentrierten sich auf die chirurgische Entfernung hormonproduzierender Organe. Die Ovarektomie blieb eine Standardbehandlung für prämenopausale Frauen. Zudem führten Ärzte Adrenalektomien durch, was eine anschließende Glukokortikoid-Substitution erforderte, wie Dr. Marc Lippman hervorhebt, da die Nebennieren lebenswichtige Funktionen haben und indirekt Östrogen produzieren, das Brustkrebswachstum fördern kann.

Ein weiterer wichtiger Eingriff war die Hypophysektomie. Durch die Entfernung der Hirnanhangsdrüse sanken die Spiegel von Gonadotropinen und ACTH, was häufig zu einer Rückbildung des Brustkrebses führte. Diese ablativen Operationen waren jahrzehntelang erfolgreich, bevor medikamentöse Therapien entwickelt wurden.

Entwicklung von Anti-Östrogen-Medikamenten

In den 1970er und 1980er Jahren gelang der entscheidende Schritt weg von chirurgischen Eingriffen hin zu medikamentösen Therapien. Ziel war es, dieselben endokrinen Effekte ohne operative Verfahren zu erzielen. Dies führte zur Entwicklung von Anti-Östrogen-Medikamenten, die in die Östrogenwirkung eingreifen. Bei richtiger Patientinnenauswahl können diese Medikamente Brustkrebsrückbildungen bewirken.

Dieser Übergang zur pharmakologischen Therapie war ein Meilenstein, da er wirksame Behandlungen ohne die Risiken und Belastungen größerer Operationen ermöglichte. Im Gespräch zwischen Dr. Lippman und Dr. Anton Titov wird dies als Wendepunkt in der Onkologie hervorgehoben.

Endokrine Therapie bei Frühstadien

Ein weiterer Fortschritt war die Anwendung endokriner Therapien in frühen Krankheitsstadien. Wirkstoffe, die sich bei metastasiertem Brustkrebs bewährt hatten, wurden adjuvant eingesetzt – also nach Primärbehandlungen wie Mastektomie oder brusterhaltender Operation –, um Rezidive zu verhindern. Dr. Marc Lippman weist darauf hin, dass klinische Studien aus dieser Zeit noch heute ausgewertet werden.

Diese Studien führten zu erheblichen Verbesserungen der Überlebensraten. Viele Frauen, die sonst gestorben wären, konnten geheilt werden. Der gezielte Einsatz der Hormontherapie gilt als einer der größten Fortschritte in der Brustkrebsbehandlung und hat maßgeblich zum Rückgang der Sterblichkeit beigetragen.

Brustkrebspräventionstherapien

Der jüngste Meilenstein ist der präventive Einsatz endokriner Therapien. Dr. Marc Lippman präsentiert überzeugende Daten: Eine fünfjährige Behandlung mit Medikamenten, die in den Östrogenhaushalt eingreifen, kann 60 bis 75 % aller Brustkrebsfälle verhindern. Trotz dieser klaren Evidenz werden diese Therapien jedoch nicht ausreichend genutzt.

Dr. Lippman sieht darin eine verpasste Chance für die öffentliche Gesundheit. Eine breitere Anwendung könnte zahlreiche Brustkrebsdiagnosen verhindern. Im Gespräch mit Dr. Anton Titov unterstreicht er die Bedeutung dieser Erkenntnisse.

Vollständiges Transkript

Dr. Anton Titov: Professor Lippman, Sie haben das erste Modell des hormonabhängigen humanen Brustkrebses entwickelt und waren seither führend auf dem Gebiet der hormonellen Brustkrebsbehandlung. Könnten Sie uns einen Überblick über die Geschichte und Gegenwart der Hormontherapie bei Brustkrebs geben?

Dr. Marc Lippman: Gerne. Seit etwa 300 Jahren ist bekannt, dass Hormone eine Rolle bei Brustkrebs spielen. Bereits im Verona des 17. Jahrhunderts gab es epidemiologische Studien – können Sie es glauben? –, die Unterschiede in der Brustkrebshäufigkeit zwischen Nonnen und anderen Frauen aufzeigten. Damals wurde dies richtigerweise auf die „Nutzung“ der Brüste zurückgeführt.

Ende des 19. Jahrhunderts entstand die erste klassische endokrine Therapie: Man vermutete, dass die Entfernung der Eierstöcke eine positive Wirkung auf Brustkrebs haben könnte. Dies bestätigte sich in ersten Fallserien. Bei prämenopausalen Frauen, denen die Eierstöcke entfernt wurden, zeigten einige beachtliche objektive Ansprechraten – ein sehr ermutigendes Ergebnis.

Doch die wissenschaftliche Aufklärung dahinter dauerte viele Jahre, weil man weder den Wirkmechanismus der Hormone verstand noch sie messen konnte. Erst die Erfindung von Radioimmunoassays und Radiorezeptorassays in den frühen 1960er Jahren brachte den Durchbruch. Plötzlich wurde die Endokrinologie zur exakten Wissenschaft.

Man konnte nun extrem niedrige Konzentrationen von Steroid- und Peptidhormonen messen, hormonelle Rückkopplungsschleifen verstehen und erkannte, dass Brustkrebs hormonabhängig ist.

Schon früh war bekannt, dass Östrogen in der Pubertät das Brustwachstum antreibt. Gab man Männern Östrogene, entwickelten auch sie Brüste. Die entscheidende, wenn auch subtile Beobachtung war: Selbst wenn ich Ihnen, Dr. Titov, Östrogene geben würde, würden Sie Brüste entwickeln – aber nicht zu einer vollständigen Brust heranwachsen. Es gibt Wachstumsgrenzen.

Dasselbe gilt für Frauen: In der Pubertät entwickeln sie Brüste, die sich trotz jahrzehntelanger Östrogenexposition kaum weiter verändern. Brustkrebszellen hingegen „erinnern“ sich an diese Östrogenempfindlichkeit, haben aber verlernt, das Wachstum zu stoppen. Unter Östrogeneinfluss wachsen und streuen sie unkontrolliert.

Bereits in den 1940er Jahren war klar, dass man endokrine Therapien wissenschaftlich fundiert einsetzen konnte – beginnend mit der Ovarektomie. Später entfernte man auch die Nebennieren, was eine Substitution von Glukokortikoiden erforderte, da diese lebenswichtig sind. Doch die Nebennieren sind indirekt eine Östrogenquelle, die das Brustwachstum anregen kann.

Jahrelang war auch die Hypophysektomie beliebt und erfolgreich. Durch die Entfernung der Hirnanhangsdrüse sanken die Spiegel von Gonadotropinen und ACTH, was oft zu Krebsrückbildungen führte.

Der große Fortschritt in den 1970er und 1980er Jahren bestand darin, diese Effekte ohne Operation zu erzielen. Es wurden Anti-Östrogen-Medikamente entwickelt, die in die Hormonwirkung eingreifen. Bei richtiger Patientinnenauswahl führen sie zu Brustkrebsregressionen.

Ein weiterer Meilenstein war die Übertragung von Therapien, die bei metastasiertem Krebs wirken, auf frühe Krankheitsstadien. Hormontherapien wurden adjuvant eingesetzt, um nach Operationen Rezidive zu verhindern. Studien aus dieser Zeit – vor 30 bis 40 Jahren – werden noch heute analysiert und zeigen erhebliche Verbesserungen der Überlebensraten.

Viele Frauen wurden geheilt, die sonst gestorben wären. Der gezielte Einsatz von Hormontherapie – und in einigen Fällen Chemotherapie – zum Zeitpunkt der Lokalbehandlung war der größte Fortschritt in der Brustkrebstherapie und hat maßgeblich zum Sterblichkeitsrückgang beigetragen.

In jüngster Zeit hat sich gezeigt, dass endokrine Therapien Brustkrebs sogar verhindern können. Eine fünfjährige Behandlung mit Medikamenten, die in den Östrogenhaushalt eingreifen, kann 60 bis 75 % aller Brustkrebsfälle verhindern. Die Datenlage ist eindeutig und überzeugend.

Dr. Marc Lippman: Leider werden diese Therapien aber nicht so breit eingesetzt, wie es wünschenswert wäre.