Neueste Durchbrüche in der Stammzellforschung: Von der Entdeckung im Labor bis zur Anwendung am Patienten

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Dieser Überblick fasst die bedeutendsten Durchbrüche der Stammzellforschung der letzten zwei Jahrzehnte zusammen und zeigt, wie heute adulte Zellen in pluripotente Stammzellen umprogrammiert werden können – Zellen, die sich in jeden Zelltyp des Körpers entwickeln können. Der Artikel behandelt fünf Haupttypen: embryonale, sehr kleine embryonalähnliche, durch Kerntransfer gewonnene, reprogrammierte und adulte Stammzellen – jeweils mit eigenen Quellen und klinischem Potenzial. Zu den wichtigsten Fortschritten zählen verbesserte Reprogrammierungsmethoden mit Viren, RNA und Chemikalien; tierproduktfreie Kultursysteme; und neuartige 3D-Biodruckverfahren, die perspektivisch transplantierbare Gewebe und Organe erzeugen könnten.

Aktuelle Durchbrüche in der Stammzellforschung: Von der Grundlagenforschung zur klinischen Anwendung

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Die Stammzellforschung hat in den letzten 20 Jahren revolutionäre Fortschritte gemacht, besonders im letzten Jahrzehnt. Ihren Anfang nahm sie 1961, als die kanadischen Forscher James A. Till und Ernest A. McCulloch erstmals Stammzellen im Knochenmark von Mäusen entdeckten, die sich in verschiedene Zelltypen differenzieren konnten – und damit das Konzept der pluripotenten Stammzellen (PSZ) begründeten.

Meilensteine folgten: 1996 wurde das Schaf Dolly durch somatischen Zellkerntransfer (SZKT) geklont, 1998 wurden die ersten humanen embryonalen Stammzellen (hESZ) isoliert, und 2006 gelang die Erzeugung induzierter pluripotenter Stammzellen (iPSZ) durch Reprogrammierung adulter Zellen mit nur vier Transkriptionsfaktoren. Die Tragweite dieser Entdeckungen wurde 2012 mit dem Nobelpreis für Shinya Yamanaka und John Gurdon gewürdigt.

Systematische Übersichtsarbeiten identifizieren fünf Hauptkategorien: embryonale Stammzellen (ESZ), sehr kleine embryonalähnliche Stammzellen (VSELs), durch Kerntransfer gewonnene Stammzellen (NTSCs), reprogrammierte Stammzellen (RSZ) und adulte Stammzellen. Jeder Typ birgt eigene Vor- und Nachteile für die klinische Anwendung. Bislang wurden nur NTSCs zur Erzeugung eines vollständigen Organismus genutzt (Affen in China, 2018), während andere Typen vor allem Gewebe und Organe hervorbringen.

Stammzellen – insbesondere ESZ und iPSZ – haben großes Potenzial in vier Bereichen: regenerative und Transplantationsmedizin, Krankheitsmodellierung, Wirkstoffentwicklung und Entwicklungsbiologie. Die Forschung schreitet von grundlegenden Entdeckungen hin zu klinischen Anwendungen voran, muss aber noch Herausforderungen meistern – etwa die gezielte Steuerung von Zellteilung und -differenzierung.

Quellen pluripotenter Stammzellen

Pluripotente Stammzellen (PSZ) zeichnen sich durch zwei Eigenschaften aus: Selbsterneuerung (unbegrenzte Teilungsfähigkeit) und Potenz (Fähigkeit, sich in spezialisierte Zelltypen aus allen drei Keimblättern – Ektoderm, Endoderm, Mesoderm – zu entwickeln). Ihre Pluripotenz wird in Mausmodellen mit drei Tests überprüft.

Beim Teratombildungsassay werden Zellen in immungeschwächte Mäuse transplantiert und auf spontane Bildung von Geweben aus allen drei Keimblättern geprüft. Der Chimärenassay testet, ob Stammzellen in frühe Embryonen (Blastozysten) integriert werden und funktionelle Keimzellen bilden können. Der Tetraploid-Komplementationsassay prüft, ob transplantierte Zellen einen gesamten Organismus aufbauen können.

Embryonale Stammzellen (ESZ)

Humane embryonale Stammzellen (hESZ) werden aus frühen Blastozysten (4–5 Tage nach Befruchtung) gewonnen, teils durch Zerstörung der Embryonalanlage. Sie waren die ersten Stammzellen in der Forschung und werden bis heute in klinischen Studien eingesetzt.

hESZ gelten als Goldstandard der Pluripotenz, werfen aber ethische Fragen zur Embryonennutzung auf und können nach Transplantation Abstoßungsreaktionen auslösen. Dennoch liefern sie wertvolle Einblicke in die Entwicklungsbiologie und dienen als Referenz für neuere Technologien.

Sehr kleine embryonalähnliche Stammzellen (VSELs)

Sehr kleine embryonalähnliche Stammzellen (VSELs) wurden 2006 entdeckt und sind seither Gegenstand intensiver Forschung. Über 20 Labore bestätigten ihre Existenz, auch wenn einige Gruppen ihre Validität anzweifeln. Diese Zellen kommen in adulten Geweben vor, sind klein (3–7 µm) und exprimieren Pluripotenzmarker.

VSELs stammen möglicherweise von primordialen Keimzellen ab und können sich zu mesenchymalen Stammzellen, Hämangioblasten oder gewebespezifischen Stammzellen entwickeln. Sie umgehen zwei Hauptprobleme anderer Stammzelltypen: die ethischen Bedenken bei ESZ und das Tumorrisiko bei iPSZ.

Durch Kerntransfer gewonnene Stammzellen (NTSCs)

Der somatische Zellkerntransfer (SZKT), 1996 entdeckt, erzeugt durch Kerntransfer gewonnene Stammzellen (NTSCs). Dabei wird der Zellkern einer differenzierten Zelle (z.B. eines Fibroblasten) in eine entkernte Eizelle übertragen. Diese reprogrammiert den Kern, und durch Teilungen entsteht eine Blastozyste, aus der ein Klon des Spenders hervorgehen kann.

Das Schaf Dolly war der erste geklonte Säuger. 2018 gelang chinesischen Forschern das Klonen von Javaneraffen. Geklonte Primaten könnten die Erforschung menschlicher Krankheiten revolutionieren, da sie genetisch uniforme Modelle bieten. SZKT ist einzigartig, weil es ganze Organismen erzeugen kann – nicht nur Gewebe.

Reprogrammierte Stammzellen (RSZ)

Seit der ersten Herstellung induzierter pluripotenter Stammzellen (iPSZ) 2006 haben Reprogrammierungstechniken große Fortschritte gemacht. Direkte Reprogrammierungsmethoden – in vitro und in vivo – erzeugen gezielt bestimmte Zelllinien mittels Transkriptionsfaktoren, RNA-Modifikationen oder Chemikalien.

iPSZ umgehen ethische und immunogene Probleme von hESZ, da sie aus adulten Geweben gewonnen werden. Blut, Haut und Urin sind reichhaltige Quellen. Da iPSZ patienteneigen sein können, ist bei Rücktransplantation keine Immunabstoßung zu befürchten.

Besonders vielversprechend ist die Gewinnung von iPSZ aus Urin: Ein einfaches Protokoll mit nur 30 ml Urin liefert in wenigen Wochen hochwertige iPSZ mit hohem Differenzierungspotenzial. Urin-abgeleitete iPSZ zeigen normale Chromosomenstruktur und können sich in alle drei Keimblätter entwickeln.

Adulte Stammzellen

Adulte Stammzellen kommen in verschiedenen Geweben vor und sind typischerweise multipotent – können sich also nur in begrenzte, gewebespezifische Zelltypen differenzieren. Quellen sind u.a. Knochenmark, Fettgewebe und Zahnpulpa.

Mesenchymale Stammzellen (MSCs) gehören zu den am besten erforschten adulten Stammzellen und zeigen Potenzial bei der Behandlung entzündlicher Erkrankungen, Geweberegeneration und Immunmodulation. Sie werfen weniger ethische Bedenken auf und haben ein geringeres Tumorrisiko als pluripotente Zellen.

Klinische Anwendungen und Zukunftsperspektiven

Die Stammzellforschung hat sich von der Grundlagenforschung hin zu klinischen Studien entwickelt. Fortschritte bei Reprogrammierungsmethoden, Kulturbedingungen und Signalweg-Analysen ebneten den Weg für erste Studien zur Transplantation von Netzhaut- oder Rückenmarkszellen.

Herausforderungen bleiben: die Kontrolle von Zellvermehrung und -differenzierung, die Verbesserung der Reprogrammierungseffizienz und die Gewährleistung genomischer Stabilität. Vielversprechend sind 3D-Zellkulturtechniken, Bioprinting und die direkte Reprogrammierung in vivo.

Langfristiges Ziel ist die Entwicklung sicherer Therapien für neurodegenerative Erkrankungen, Rückenmarksverletzungen, Herzkrankheiten, Diabetes und andere Leiden, bei denen Zellersatz oder Geweberegeneration helfen könnten.

Ethische Überlegungen

Die Stammzellforschung ist nach wie vor mit ethischen Fragen konfrontiert, besonders im Zusammenhang mit embryonalen Stammzellen und Klonierung. Die Nutzung menschlicher Embryonen bleibt gesellschaftlich umstritten und wird international unterschiedlich geregelt.

iPSZ-Technologien mindern einige ethicale Bedenken, da sie ohne Embryonen auskommen. Doch neue Fragen tauchen auf: nach genetischer Manipulation, Einwilligung der Zellspender und gerechtem Zugang zu Therapien. Die internationale Gemeinschaft arbeitet an Leitlinien für einen verantwortungsvollen Fortschritt.

Quellenangaben

Originalartikel: Advances in Pluripotent Stem Cells: History, Mechanisms, Technologies, and Applications

Autoren: Gele Liu, Brian T. David, Matthew Trawczynski, Richard G. Fessler

Veröffentlichung: Stem Cell Reviews and Reports (2020) 16:3–32

DOI: https://doi.org/10.1007/s12015-019-09935-x

Dieser patientenfreundliche Artikel basiert auf peer-geprüfter Forschung und soll komplexe wissenschaftliche Informationen verständlich machen, ohne die Kernaussagen der Originalpublikation zu verfälschen.