Diese umfassende Studie verglich die autologe hämatopoetische Stammzelltransplantation (AHSCT) mit drei Medikamenten zur Behandlung der Multiplen Sklerose bei 4.915 Patienten mit hochaktiver schubförmig remittierender MS. Über einen Zeitraum von fünf Jahren wies AHSCT deutlich weniger Schübe auf als Fingolimod (0,09 vs. 0,20 jährliche Schubrate) und geringfügig weniger als Natalizumab (0,08 vs. 0,10), bei gleichzeitig signifikant höheren Raten der Behinderungsverbesserung. Besonders bemerkenswert ist, dass AHSCT eine vergleichbare Wirksamkeit wie Ocrelizumab bei allen gemessenen Endpunkten zeigte, wobei dieser Vergleich auf einer kürzeren Nachbeobachtungszeit von drei Jahren basiert.
Stammzelltransplantation vs. MS-Medikamente: Was Patienten wissen müssen
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung: Die Behandlungsoptionen verstehen
- Studiendesign und Methoden
- Patientencharakteristika
- Wesentliche Ergebnisse: Therapievergleiche
- Sicherheitsinformationen
- Klinische Implikationen für Patienten
- Studienlimitationen
- Empfehlungen für Patienten
- Quelleninformationen
Einleitung: Die Behandlungsoptionen verstehen
Die autologe hämatopoetische Stammzelltransplantation (AHSCT) ist eine wirksame Therapieoption für hochaktive Multiple Sklerose, bei der die eigenen Stammzellen des Patienten zur Neubildung des Immunsystems genutzt werden. Der intensive Eingriff beginnt mit einer Chemotherapie zur Unterdrückung des Immunsystems, gefolgt von der Transplantation zuvor entnommener Stammzellen, um ein neues Immunsystem aufzubauen, das das Nervensystem möglicherweise nicht mehr angreift.
Die Behandlung birgt erhebliche Risiken, einschließlich einer behandlungsbedingten Sterblichkeitsrate von 0,3 % bis 2 %, die jedoch in den letzten Jahren durch bessere Patientenselektion und zunehmende Erfahrung der Zentren gesunken ist. Forscher konzipierten diese Studie, um AHSCT mit drei etablierten MS-Medikamenten zu vergleichen: Fingolimod (eine Therapie mittlerer Effektivität) sowie Natalizumab und Ocrelizumab (beide Hocheffektivitätstherapien).
Für Patienten und Ärzte ist es entscheidend zu verstehen, wie AHSCT im Vergleich zu diesen wirksamen Medikamenten abschneidet, um Therapieentscheidungen bei hochaktiver schubförmig remittierender MS zu treffen. Diese Studie stellt einen der bislang umfassendsten Vergleiche dar und umfasst fast 5.000 Patienten aus spezialisierten Zentren weltweit.
Studiendesign und Methoden
Diese Beobachtungsstudie imitierte klinische Studien, indem sie AHSCT mit den drei Medikamenten unter Verwendung anspruchsvoller statistischer Methoden verglich, um faire Vergleiche zu gewährleisten. Die Forscher sammelten Daten von Mai 2006 bis Dezember 2021 von sechs spezialisierten MS-Zentren mit AHSCT-Programmen sowie von 94 Zentren in 27 Ländern, die am internationalen MSBase-Register teilnahmen.
Die Studie umfasste 4.915 Patienten mit schubförmig remittierender MS, die entweder AHSCT (167 Patienten), Fingolimod (2.558 Patienten), Natalizumab (1.490 Patienten) oder Ocrelizumab (700 Patienten) erhielten. Alle Patienten wurden mindestens zwei Jahre nachbeobachtet, wobei mehrfach der Behinderungsgrad erfasst wurde. Mithilfe des Propensity-Score-Matchings, einer statistischen Technik, wurden die Gruppen hinsichtlich ihrer klinischen Merkmale vergleichbar gemacht, um die Validität der Vergleiche zu erhöhen.
Das AHSCT-Verfahren folgte spezifischen Protokollen an jedem Zentrum. Typischerweise erhielten die Patienten eine Cyclophosphamid-Chemotherapie (2–4,5 g/m²) mit Granulozyten-Kolonie-stimulierendem Faktor zur Stammzellmobilisierung, die dann gesammelt und kryokonserviert wurden. Etwa ein Drittel der Patienten ließ ihre Stammzellen mittels CD34-Selektion aufreinigen. Die Konditionierungsregime umfassten:
- BEAM-Protokoll (Carmustin, Etoposid, Cytarabin und Melphalan)
- Busulfan mit Cyclophosphamid
- Cyclophosphamid mit Antithymozyten-Globulin
Patienten in den Medikamentengruppen erhielten Standarddosierungen: Fingolimod (0,5 mg täglich oral), Ocrelizumab (600 mg intravenös alle 6 Monate) oder Natalizumab (300 μg intravenös alle 4 Wochen). Untersucht wurden Endpunkte wie die jährliche Schubrate, Schubfreiheit und Veränderungen des Behinderungsgrads gemessen an der Expanded Disability Status Scale (EDSS).
Patientencharakteristika
Vor dem Matching waren AHSCT-Patienten tendenziell jünger und stärker behindert als jene in den Medikamentengruppen. Nach dem statistischen Matching waren die Gruppen gut ausbalanciert und wiesen ähnliche Merkmale auf:
Die gematchten Gruppen umfassten:
- AHSCT vs. Fingolimod: 144 AHSCT-Patienten vs. 769 Fingolimod-Patienten
- AHSCT vs. Natalizumab: 146 AHSCT-Patienten vs. 730 Natalizumab-Patienten
- AHSCT vs. Ocrelizumab: 110 AHSCT-Patienten vs. 343 Ocrelizumab-Patienten
In allen Gruppen stellten Frauen 65–70 % der Patienten. Das Durchschnittsalter lag zwischen 35,3 und 37,1 Jahren, die Krankheitsdauer zwischen 7,9 und 8,7 Jahren und die EDSS-Werte zwischen 3,5 und 3,9 (mittlere Behinderung). Im Jahr vor der Behandlung hatten die Patienten 0,77–0,86 Schübe erlitten, was auf eine hochaktive Erkrankung hindeutet.
Unter den AHSCT-Patienten variierte die Konditionierungsintensität: 26 % erhielten Hochintensitäts-, 29 % intermediär-intensitätsmyeloablative, 38 % intermediär-intensitätslymphoablative und 7 % Niedrig- bis Intermediärintensitätsprotokolle.
Wesentliche Ergebnisse: Therapievergleiche
Die Studie zeigte bedeutende Wirksamkeitsunterschiede zwischen AHSCT und den drei Medikamenten:
AHSCT vs. Fingolimod (5-Jahres-Nachbeobachtung)
AHSCT war Fingolimod deutlich überlegen. Die jährliche Schubrate war unter AHSCT signifikant niedriger: 0,09 (SD 0,30) versus 0,20 (SD 0,44) unter Fingolimod. Dies entspricht einer 55 %igen Reduktion der Schubrate (P < 0,001).
Die Hazard Ratio für Schübe betrug 0,26 (95 %-KI, 0,18–0,36), was bedeutet, dass AHSCT-Patienten ein 74 % niedrigeres Schubrisiko hatten. Während beide Behandlungen ein ähnliches Risiko der Behinderungsverschlechterung zeigten (HR 1,70; 95 %-KI, 0,91–3,17), war AHSCT mit einer signifikant höheren Chance der Behinderungsverbesserung assoziiert (HR 2,70; 95 %-KI, 1,71–4,26) – fast dreimal so wahrscheinlich wie unter Fingolimod.
AHSCT vs. Natalizumab (5-Jahres-Nachbeobachtung)
AHSCT zeigte eine leichte Überlegenheit gegenüber Natalizumab. Die jährliche Schubrate war unter AHSCT geringfügig niedriger: 0,08 (SD 0,31) versus 0,10 (SD 0,34) unter Natalizumab, ein statistisch signifikanter Unterschied (P = 0,03).
Die Hazard Ratio für Schübe betrug 0,51 (95 %-KI, 0,34–0,74), was ein 49 % niedrigeres Schubrisiko unter AHSCT anzeigt. Das Risiko der Behinderungsverschlechterung war zwischen den Behandlungen ähnlich (HR 1,06; 95 %-KI, 0,54–2,09), aber AHSCT zeigte erneut signifikant bessere Ergebnisse bei der Behinderungsverbesserung (HR 2,68; 95 %-KI, 1,72–4,18).
AHSCT vs. Ocrelizumab (3-Jahres-Nachbeobachtung)
Bei der kürzeren Nachbeobachtungszeit zeigten AHSCT und Ocrelizumab eine bemerkenswert ähnliche Wirksamkeit. Die jährlichen Schubraten waren vergleichbar: 0,09 (SD 0,34) für AHSCT versus 0,06 (SD 0,32) für Ocrelizumab, ohne statistischen Unterschied (P = 0,86).
Die Hazard Ratio für Schübe betrug 0,75 (95 %-KI, 0,36–1,57), was auf keinen signifikanten Unterschied im Schubrisiko hindeutet. Beide Behandlungen zeigten ähnliche Ergebnisse für Behinderungsverschlechterung (HR 1,77; 95 %-KI, 0,61–5,08) und Behinderungsverbesserung (HR 1,37; 95 %-KI, 0,66–2,82).
Sicherheitsinformationen
Die Studie lieferte detaillierte Sicherheitsdaten für die AHSCT-Patienten. Unter 159 gematchten AHSCT-Patienten traten folgende Komplikationen auf:
- Febrile Neutropenie während der Mobilisierung: 23,3 % (37 Patienten)
- Serumkrankheit: 11,3 % (18 Patienten)
- Aufnahme auf die Intensivstation: 8,8 % (14 Patienten)
Nach der Entlassung traten bei 58 Patienten 82 schwerwiegende unerwünschte Ereignisse auf. Die Mehrheit davon (59,8 %) waren Infektionen, wobei Virusinfektionen 41,5 % aller schwerwiegenden unerwünschten Ereignisse ausmachten.
Tragischerweise kam es zu einem behandlungsbedingten Todesfall (0,6 % Sterblichkeitsrate) aufgrund einer veno-occlusiven Lebererkrankung nach Busulfan-Konditionierung. Diese Sterblichkeitsrate liegt im erwarteten Bereich für AHSCT-Verfahren und unterstreicht die ernsten Risiken dieser Behandlung.
Klinische Implikationen für Patienten
Diese Forschung bietet wertvolle Einblicke für Patienten, die Behandlungsoptionen für hochaktive schubförmig remittierende MS erwägen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass AHSCT substanzielle Vorteile bei der Reduktion der Schubaktivität im Vergleich zu Fingolimod und Natalizumab bietet, mit ähnlicher Wirksamkeit wie Ocrelizumab über den verfügbaren Nachbeobachtungszeitraum.
Besonders bedeutsam ist, dass AHSCT eine signifikant höhere Rate der Behinderungsverbesserung im Vergleich zu Fingolimod und Natalizumab zeigte. Etwa 30 % der AHSCT-Patienten erfuhren eine messbare Erholung von der Behinderung, insbesondere im ersten Jahr nach der Behandlung. Dieser Befund ist bemerkenswert, da Natalizumab selbst für eine relativ hohe Rate (25 %) der Behinderungsverbesserung kurz nach Behandlungsbeginn bekannt ist.
Die ähnlichen Ergebnisse zwischen AHSCT und Ocrelizumab sind besonders beachtenswert, da Ocrelizumab als eines der wirksamsten derzeit verfügbaren MS-Medikamente gilt. Die kürzere Nachbeobachtungszeit für Ocrelizumab-Vergleiche (3 Jahre versus 5 Jahre für die anderen Medikamente) bedeutet jedoch, dass längerfristige Vergleiche noch ausstehen.
Studienlimitationen
Obwohl diese Studie wertvolle Informationen liefert, sollten Patienten ihre Grenzen verstehen. Als Beobachtungsstudie und nicht als randomisierte kontrollierte Studie könnten trotz des anspruchsvollen statistischen Matchings unerfasste Faktoren die Ergebnisse beeinflusst haben.
Die Nachbeobachtungszeit für Ocrelizumab war kürzer (3 Jahre) als für die anderen Medikamente (5 Jahre), was direkte Vergleiche einschränkt. Ocrelizumab ist ein neueres Medikament, daher waren längerfristige Daten zum Zeitpunkt der Studie noch nicht verfügbar.
Behandlungsentscheidungen wurden von Ärzten und Patienten getroffen und nicht per Randomisierung, was zu Selektionsbias führen könnte. Patienten, die sich für AHSCT entscheiden, könnten trotz statistischer Anpassungen andere Merkmale oder eine andere Krankheitsschwere aufweisen als jene, die Medikamente wählen.
Die Studie beinhaltete keine Magnetresonanztomographie (MRT)-Ergebnisse, die wichtige Informationen über Krankheitsaktivität liefern, die nicht immer durch klinische Maße allein ersichtlich ist.
Empfehlungen für Patienten
Basierend auf dieser Forschung sollten Patienten mit hochaktiver schubförmig remittierender MS Folgendes bedenken:
- Besprechen Sie alle Optionen mit Ihrem Neurologen, einschließlich AHSCT und Hocheffektivitätsmedikamente wie Natalizumab und Ocrelizumab
- Erwägen Sie AHSCT, wenn Sie eine hochaktive Erkrankung haben, die nicht ausreichend auf andere Behandlungen angesprochen hat
- Verstehen Sie die Risiken – AHSCT birgt erhebliche Kurzzeitrisiken, einschließlich Infektionen und in seltenen Fällen Sterblichkeit (0,6 % in dieser Studie)
- Berücksichtigen Sie den Zeitpunkt – Die Vorteile von AHSCT bei der Behinderungsverbesserung waren im ersten Jahr nach der Behandlung am ausgeprägtesten
- Suchen Sie spezialisierte Zentren – AHSCT sollte nur an erfahrenen Zentren mit multidisziplinären Teams durchgeführt werden
- Beachten Sie die Nachbeobachtungsdauer – Obwohl AHSCT eine ähnliche Wirksamkeit wie Ocrelizumab zeigte, sind längerfristige Daten für vollständige Vergleiche erforderlich
Diese Studie liefert starke Evidenz dafür, dass AHSCT eine hocheffektive Behandlungsoption für geeignete Patienten mit hochaktiver schubförmig remittierender MS sein kann. Die Entscheidung zwischen AHSCT und Hocheffektivitätsmedikamenten sollte in detaillierten Gesprächen mit Ihrem Behandlungsteam getroffen werden, unter Berücksichtigung Ihrer spezifischen Krankheitsmerkmale, persönlichen Präferenzen und Risikotoleranz.
Quelleninformationen
Originalartikeltitel: Comparative Effectiveness of Autologous Hematopoietic Stem Cell Transplant vs Fingolimod, Natalizumab, and Ocrelizumab in Highly Active Relapsing-Remitting Multiple Sclerosis
Autoren: Tomas Kalincik, MD, PhD; Sifat Sharmin, PhD; Izanne Roos, MBChB, PhD; et al
Publikation: JAMA Neurology
Veröffentlichungsdatum: 15. Mai 2023
Band und Ausgabe: Bd. 80, Nr. 7
Seiten: 702–713
DOI: 10.1001/jamaneurol.2023.1184
Dieser patientenfreundliche Artikel basiert auf einer begutachteten Forschungsarbeit, die ursprünglich in JAMA Neurology veröffentlicht wurde. Er bewahrt alle wesentlichen Ergebnisse, Datenpunkte und Schlussfolgerungen der Originalstudie und macht die Informationen gleichzeitig für Patienten und Betreuungspersonen zugänglich.