Verständnis von Lungen- und Thymuskarzinoiden: Ein Leitfaden für Patienten zu Diagnose und Behandlung

Verständnis von Lungen- und Thymuskarzinoiden: Ein Leitfaden für Patienten zu Diagnose und Behandlung

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Dieser umfassende Leitfaden erläutert die aktuellen europäischen medizinischen Leitlinien zur Diagnose und Behandlung von Lungen- und Thymuskarzinoiden – seltene neuroendokrine Tumoren. Wesentliche Empfehlungen betonen die Behandlung durch spezialisierte multidisziplinäre Teams, eine detaillierte Diagnostik einschließlich spezialisierter Bildgebung, Chirurgie als primäre Therapie bei lokal begrenzten Erkrankungen sowie die sorgfältige Abwägung von Behandlungssequenzen bei fortgeschrittenen Fällen. Die Leitlinien heben hervor, dass die meisten Patienten mit Lungenkarzinoiden eine gute Langzeitprognose haben, weshalb die Berücksichtigung von Behandlungstoxizitäten besonders wichtig ist.

Lungen- und Thymuskarzinoide verstehen: Ein Patientenleitfaden zu Diagnose und Behandlung

Inhaltsverzeichnis

Häufigkeit und Verbreitung

Lungenkarzinoide (LK) und Thymuskarzinoide (ThK) sind seltene neuroendokrine Tumoren mit besonderen Merkmalen. Lungenkarzinoide treten jährlich bei etwa 0,2–2 Personen pro 100.000 Einwohner auf, sowohl in den USA als auch in Europa. Sie machen 20 %–25 % aller neuroendokrinen Tumoren und nur 1 %–2 % aller Lungenkrebserkrankungen aus.

Interessanterweise steigen die Fallzahlen wahrscheinlich aufgrund eines verbesserten Bewusstseins und besserer Diagnosetechniken, obwohl ein tatsächlicher allgemeiner Anstieg möglich ist. Lungenkarzinoide betreffen Frauen etwas häufiger als Männer, typischerweise im fünften oder sechsten Lebensjahrzehnt bei typischen Karzinoiden und etwa ein Jahrzehnt später bei atypischen Karzinoiden.

Thymuskarzinoide sind extrem selten mit einer altersbereinigten Rate von 0,02–0,18 Fällen pro 100.000 Personen pro Jahr in europäischen bzw. US-amerikanischen Bevölkerungen. Sie machen weniger als 0,5 % aller neuroendokrinen Neoplasien aus und repräsentieren etwa 5 % der Thymustumoren. Die Häufigkeit von Thymuskarzinoiden nimmt in der US-Bevölkerung zu, tritt öfter bei Männern auf, und das mittlere Diagnosealter liegt bei 55 Jahren.

Sowohl Lungen- als auch Thymuskarzinoide können bei Patienten mit multipler endokriner Neoplasie Typ 1 (MEN-1)-Syndrom oder bei familiärer Vorbelastung mit Karzinoidtumoren auftreten. Lungenkarzinoide können auch bei Patienten mit diffuser pulmonaler neuroendokriner Zellhyperplasie (DIPNECH) vorkommen.

Empfehlung: Die Seltenheit dieser Tumoren spricht für eine Behandlung durch erfahrene multidisziplinäre Teams in spezialisierten Zentren innerhalb nationaler oder europäischer Netzwerke für optimale Versorgung und Forschung [Evidenzlevel V, Empfehlungsgrad A].

Diagnose und Pathologie/Molekularbiologie

Lungenkarzinoide zeigen sich typischerweise mit unspezifischen Atemwegssymptomen (vor allem bei zentralen Tumoren) oder werden zufällig entdeckt (vor allem bei peripheren Tumoren). Eine Minderheit der Fälle (7,6 % in einer Studie mit 3.002 Patienten) weist Symptome im Zusammenhang mit hormoneller Überproduktion auf, darunter:

  • Karzinoidsyndrom durch Serotonin- und andere Sekretionen
  • Cushing-Syndrom durch Adrenocorticotropin (ACTH)-Sekretion
  • Akromegalie durch Wachstumshormon-freisetzendes Hormon (GHRH)-Sekretion

Die Diagnose umfasst bronchoskopische Techniken, transthorakale Biopsie oder seltener Mediastinoskopie oder endobronchiale endoskopische Ultraschalluntersuchung (EBUS). Die diagnostische Abklärung für beide, Lungen- und Thymuskarzinoide, beinhaltet mehrere spezifische Schritte, wie in den Leitlinien dargelegt.

Thymuskarzinoide werden typischerweise durch tumorspezifische Symptome, funktionell aktive Tumorsymptome oder zufällig entdeckt. Diagnostische Verfahren können Stanzbiopsie unter Ultraschallführung oder vorzugsweise durch thorakale Computertomographie (CT)-Untersuchung umfassen.

Die histopathologische Diagnose stützt sich auf charakteristische morphologische Merkmale und den Nachweis der neuroendokrinen Natur durch Detektion spezifischer Marker einschließlich Chromogranin A (CgA) und Synaptophysin. Typische Karzinoide (TK) und atypische Karzinoide (AK) werden anhand der Mitosezahl und des Vorhandenseins oder Fehlens von Nekrose unterschieden.

Während der Ki-67-Index (ein Maß für die Zellproliferation) nicht in den formalen diagnostischen Kriterien enthalten ist, kann er für die Differentialdiagnose nützlich sein. Das Verhältnis zwischen typischen und atypischen Karzinoiden beträgt in chirurgischen Serien etwa 6:10, kann aber bei fortgeschrittenen Fällen näher bei 1:1 liegen.

Thymuskarzinoide folgen dem gleichen Klassifikationssystem wie pulmonale neuroendokrine Tumoren mit vier Kategorien. Das Muster genetischer Veränderungen unterscheidet sich von Lungenkarzinoiden, und eine Untergruppe mit hochproliferativen Merkmalen wurde kürzlich erkannt. Das Verhältnis zwischen atypischen und typischen Thymuskarzinoiden beträgt etwa 2:1.

Empfehlungen:

  • Die Behandlung erfordert einen multidisziplinären standardisierten Ansatz in spezialisierten Zentren [Evidenzlevel IV, Grad A]
  • Ki-67 (MIB 1) [Level IV, Grad A], TTF1 [Level IV, Grad B], p53/RB1 [Level IV, Grad B] Biomarkeranalysen werden in ausgewählten Fällen zur Differentialdiagnose empfohlen

Stadieneinteilung und Risikobewertung

Die Risikobewertung hängt von der Pathologie und dem TNM-Staging (Tumor, Lymphknoten, Metastasen) ab, basierend auf einer Kombination von intravenös kontrastverstärkter Schnittbildgebung einschließlich Leberarterienphase und Positronenemissionstomographie (PET)-CT mit Gallium-68-markierten Somatostatinanaloga-Funktionsbildgebung.

Serum-Chromogranin A wird bei allen Patienten gemessen, während spezifische Biomarker je nach Vorliegen funktioneller Syndrome bewertet werden. Die Anwendung der 8. Auflage der TNM-Klassifikation der Union for International Cancer Control (UICC) wird empfohlen.

Mehr als 80 % der Lungenkarzinoide werden im TNM-Stadium I oder II diagnostiziert. Die häufigsten Metastasierungsorte umfassen Leber, Knochen und Lunge. Die WHO-Klassifikation und das pathologische TNM-Staging sind eng miteinander verbunden. Bei Patienten mit adäquater Lymphknotenresektion (10 oder mehr Knoten) betrug die Häufigkeit positiver Lymphknoten 17 % (einschließlich 6 % N2–N3) für typische Karzinoide oder 46 % (einschließlich 23 % N2–N3) für atypische Karzinoide.

Die meisten Thymuskarzinoide werden in fortgeschrittenen Stadien diagnostiziert. Die häufigsten Metastasierungsorte umfassen Pleura, Perikard, Knochen, Lunge und Leber.

Das Gesamtüberleben wird hauptsächlich durch die WHO-Pathologie und pTNM-Klassifikationen beeinflusst. Bei Lungenkarzinoidpatienten im Stadium I, II, III oder IV beträgt das 10-Jahre-krankheitsspezifische Überleben:

  • 96 %, 85 %, 81 %, 59 % für typische Karzinoide
  • 88 %, 75 %, 47 %, 18 % für atypische Karzinoide

Dies zeigt den großen prognostischen Einfluss der WHO-Klassifikation. Nach Resektion bilden WHO-Klassifikation und pathologischer Lymphknotenstatus die beiden Hauptprognoseparameter.

Im metastasierten Stadium sollten WHO-Klassifikation, Performance-Status, Chromogranin-A-Spiegel, Tumorbelastung, Somatostatinrezeptor-Bildgebungsaufnahme, Tumorwachstumsrate und funktionelle Syndrome alle für eine adäquate Risikobewertung berücksichtigt werden. Das verlängerte Überleben der meisten Lungenkarzinoidpatienten (einschließlich 60 % 5-Jahre-Gesamtüberleben für metastasierte Fälle) macht ein angepasstes Toxizitätsprofil therapeutischer Interventionen kritisch.

Die Prognose von Patienten mit thymischen neuroendokrinen Tumoren bleibt schlecht: in retrospektiven Serien betrug das 5- oder 10-Jahre-Gesamtüberleben 28 %–72 % bzw. 26 %–60 %. Kein spezifisches Staging-System wurde für Thymuskarzinoide validiert, daher werden sowohl TNM- als auch Masaoka-Koga-Staging-Systeme zusammen mit WHO-Klassifikation und Resektionsstatus empfohlen.

Empfehlungen:

  • WHO- und pTNM-Klassifikationen bilden die Grundlage der prognostischen Klassifikation [Level II, Grad B]
  • IV-kontrastverstärkte Schnittbildgebung einschließlich Leberarterienphase und PET-CT mit Gallium-68-markierten Somatostatinanaloga bilden die Grundlage der TNM-Evaluierung [Level II, Grad B]
  • Spezifische Prognosefaktoren einschließlich Tumorwachstumsrate oder Vorliegen funktioneller Syndrome werden bei fortgeschrittenen Stadien berücksichtigt [Level IV, Grad B]
  • Das verlängerte Überleben der meisten Lungenkarzinoidpatienten macht ein angepasstes Toxizitätsprofil therapeutischer Interventionen kritisch [Level V, Grad A]

Behandlung lokaler/lokoregionärer Erkrankungen, lokaler Rezidive und adjuvanter Therapie

Die Kontrolle des funktionellen Syndroms muss vor jeder invasiven therapeutischen Intervention erwogen werden. Chirurgie stellt die Behandlungsmethode der Wahl für sowohl typische als auch atypische Lungenkarzinoide dar, selbst bei N2-Lymphknotenmetastasen.

Der chirurgische Ansatz hängt von Tumorgröße, -lokalisation und präoperativer Biopsiebeurteilung ab. Die Wahl zwischen offener Chirurgie und minimal-invasiven Ansätzen hängt von der Erfahrung des Chirurgen ab. Der bevorzugte Ansatz umfasst anatomische Lungenresektion und Lymphknotenresektion mit mindestens sechs Lymphknotenstationen.

Keilresektion kann das Risiko von Tumorrezidiven erhöhen, besonders bei knotenpositiven typischen Karzinoiden oder intermediärgradigen atypischen Karzinoiden. Bei atypischen Karzinoiden und knotenpositiven typischen Karzinoiden wird Lobektomie in einigen Studien als überlegen gegenüber Segmentektomie in Bezug auf Gesamtüberleben berichtet.

Bronchoplastische Verfahren werden für geeignete zentral gelegene Tumoren bevorzugt, um Pneumonektomie zu vermeiden. Die Verlegung von Patienten in spezialisierte Zentren für Manschettenresektion sollte diskutiert werden. Systematische Lymphknotendissektion wird empfohlen, da Lymphknotenmetastasen in bis zu 27 % der typischen Karzinoide und bis zu 47 % der atypischen Karzinoide beobachtet werden können.

Komplette Resektion (R0) wird in über 85 % der Fälle erreicht. Watchful radiological follow-up kann für kleine Tumoren ohne Knotenbeteiligung in bestimmten Situationen einschließlich DIPNECH, MEN-1-Patienten und Patienten mit Begleiterkrankungen erwogen werden.

Nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 54–121 Monaten treten Rezidive in bis zu 7 % der typischen Karzinoide und bis zu 35 % der atypischen Karzinoide auf, wobei ein Drittel lokale Rezidive sind. Für lokale Rezidive wird chirurgische Resektion mit kurativer Intention empfohlen, wenn technisch machbar.

Große retrospektive Studien haben keinen Nutzen adjuvanter Therapie bei sowohl typischen als auch atypischen Karzinoiden berichtet. Daher wird routinemäßige adjuvante Therapie nicht empfohlen, obwohl sie bei ausgewählten fitten Patienten mit besonders hohem Rückfallrisiko nach multidisziplinärer Diskussion erwogen werden kann.

Für Thymuskarzinoide deutet die verfügbare Literatur auf keinen Nutzen adjuvanter Therapie hin. Die Mehrheit der Experten schlägt vor, postoperative Therapien individuell mit Patienten zu besprechen, die eine Resektion im fortgeschrittenen Stadium hatten.

Empfehlungen:

  • Kontrolle des funktionellen Syndroms vor jeder invasiven Intervention [Level V, Grad A]
  • Anatomische Lungenresektion mit Lymphknotendissektion empfohlen [Level IV, Grad B]
  • Watchful follow-up oder sublobäre Resektion für bestimmte Patientensubgruppen erwogen [Level V, Grad C]
  • Keine routinemäßige adjuvante Therapie empfohlen [Level IV, Grad C für AK; Level IV, Grad D für TK]
  • Thymektomie mit Lymphknotendissektion für Thymuskarzinoide empfohlen [Level IV, Grad B]

Behandlung fortgeschrittener/metastasierter Erkrankungen

Die Ziele der therapeutischen Behandlung der fortgeschrittenen Erkrankung sind Kontrolle des Tumorwachstums und funktioneller Syndrome, mit dem Ziel, sowohl Lebensqualität als auch Überleben zu verbessern. Die optimale Behandlungsstrategie und -sequenz bleibt aufgrund der geringen Anzahl dedizierter Studien und des Fehlens von Prädiktoren für das Ansprechen unbekannt.

Diese Information sollte mit Patienten geteilt werden. Prognosefaktoren (aber keine prädiktiven Faktoren) leiten die Entscheidungsfindung. Behandlungsansätze müssen Wirksamkeit mit Toxizitätserwägungen angesichts des verlängerten Überlebens vieler Patienten abwägen.

Quellenangaben

Originalartikel: Lungen- und Thymuskarzinoide: ESMO Clinical Practice Guidelines für Diagnose, Behandlung und Nachsorge

Autoren: E. Baudin, M. Caplin, R. Garcia-Carbonero, N. Fazio, P. Ferolla, P.L. Filosso, A. Frilling, W.W. de Herder, D. Hörsch, U. Knigge, C.M. Korse, E. Lim, C. Lombard-Bohas, M. Pavel, J.Y. Scoazec, A. Sundin, A. Berruti im Namen des ESMO Guidelines Committee

Veröffentlichung: Annals of Oncology, Volume 32, Issue 4, 2021

Dieser patientenfreundliche Artikel basiert auf begutachteter Forschung aus den klinischen Praxisleitlinien der Europäischen Gesellschaft für Medizinische Onkologie (ESMO).