Die neoadjuvante Therapie ist eine systemische Behandlung, die vor der Operation bei Brustkrebs eingesetzt wird, um Tumore zu verkleinern und das Ansprechen auf die Therapie zu bewerten. Dieser umfassende Leitfaden erläutert, wie sie weniger invasive Eingriffe ermöglicht, wichtige prognostische Informationen auf Basis des Tumoransprechens liefert und die postoperative Behandlung individualisiert. Obwohl sie im Vergleich zur adjuvanten Therapie das Gesamtüberleben nicht verbessert, erhöht sie die Rate brusterhaltender Operationen deutlich und erleichtert das Management der Lymphknoten in der Achselhöhle mit geringeren Komplikationsraten.
Neoadjuvante Therapie bei Brustkrebs verstehen: Ein umfassender Patientenleitfaden
Inhaltsverzeichnis
- Zusammenfassung und Empfehlungen
- Einführung in die neoadjuvante Therapie
- Behandlungsziele
- Medizinische Fachbegriffe verstehen
- Patientenauswahlkriterien
- Vorbehandlungsuntersuchungen
- Neoadjuvante Behandlungsoptionen
- Nachbehandlungsbewertung und -behandlung
- Behandlung der Axilla (Achselbereich)
- Besondere Überlegungen
- Klinische Bedeutung für Patientinnen
- Studieneinschränkungen
- Quelleninformationen
Einführung in die neoadjuvante Therapie
Die neoadjuvante Therapie bezeichnet eine systemische Behandlung von Brustkrebs, die vor der endgültigen Operation erfolgt. Typischerweise handelt es sich dabei um eine Chemotherapie, obwohl die neoadjuvante endokrine Therapie für bestimmte Patientengruppen zunehmend an Bedeutung gewinnt. Ursprünglich wurde dieser Ansatz vor allem bei lokal fortgeschrittenen Krebserkrankungen eingesetzt, heute kommt er jedoch auch bei vielen Patientinnen mit operablen Brustkrebserkrankungen in Betracht.
Der grundlegende Zweck dieser Behandlungsabfolge ist die systemische Behandlung des Krebses vor dem chirurgischen Eingriff. So können Ärzte das Ansprechen des Tumors auf die Therapie beurteilen, was wertvolle Informationen für die weitere Behandlung liefert. Der hier beschriebene Ansatz orientiert sich am anatomischen Staging-System der achten Ausgabe des Staging-Manuals des American Joint Committee on Cancer (AJCC).
Behandlungsziele
Während alle systemischen Therapien bei nicht-metastasierendem invasivem Brustkrebs darauf abzielen, das Risiko eines Fernrezidivs zu senken, verfolgt die neoadjuvante Behandlung zusätzlich spezifische Ziele. Dazu gehören das Downstaging des Tumors (Verkleinerung) sowie die Gewinnung wichtiger Informationen über das Therapieansprechen, die für spätere Entscheidungen maßgeblich sind.
Durch die Verkleinerung des Tumors kann oft eine weniger umfangreiche Brust- und Achseloperation durchgeführt werden. So lässt sich möglicherweise eine Mastektomie vermeiden und stattdessen eine brusterhaltende Operation durchführen, was die kosmetischen Ergebnisse verbessert und postoperative Komplikationen wie Lymphödeme reduziert. Studien zeigen, dass die neoadjuvante Chemotherapie die Rate brusterhaltender Therapien im Vergleich zur adjuvanten Behandlung von 49 % auf 65 % erhöht.
Die neoadjuvante Therapie ermöglicht es Ärzten zudem, die Wirksamkeit der systemischen Behandlung zu beurteilen. Das Vorhandensein und das Ausmaß von verbliebenem invasivem Krebs nach der Behandlung sagt das Rezidivrisiko voraus, insbesondere bei triple-negativem Brustkrebs (TNBC) und HER2-positivem Brustkrebs. Darüber hinaus bietet dieser Ansatz Forschern die Möglichkeit, Tumorgewebe- und Blutproben zu gewinnen, die bei der Identifizierung von Biomarkern für Therapieansprechen oder Resistenz helfen können.
Obwohl früher gehofft wurde, dass die neoadjuvante Therapie das Gesamtüberleben durch einen früheren Beginn der systemischen Behandlung verbessern könnte, zeigen randomisierte Studien gleiche Mortalitätsraten, unabhängig davon, ob eine vergleichbare Therapie vor oder nach der Operation verabreicht wird. Eine große Analyse von 4.756 Frauen aus 10 Studien, die zwischen 1983 und 2002 durchgeführt wurden, ergab identische 15-Jahres-Fernrezidivraten (38 % in beiden Gruppen) und Brustkrebssterblichkeitsraten (34 % in beiden Gruppen).
Medizinische Fachbegriffe verstehen
In dieser Diskussion werden sowohl klinisches als auch pathologisches Staging für Behandlungsentscheidungen herangezogen. Wichtige Begriffe umfassen:
- Pathologisches Staging nach neoadjuvanter Therapie verwendet die "y"-Bezeichnung (ycTN für klinisches Stadium, ypTN oder ypTNM für pathologisches Stadium)
- Pathologisch vollständiges Ansprechen (pCR) erfordert das Fehlen von verbliebenem invasivem Krebs sowohl in der Brust als auch in den untersuchten Achsellymphknoten (ypT0/is ypN0)
- Verbliebenes In-situ-Karzinom beeinflusst das Fernrezidivrisiko bei Patientinnen ohne verbliebenen invasiven Krebs nicht
Patientenauswahlkriterien
Die Absprache zwischen chirurgischen und medizinischen Onkologen ist entscheidend, um zu bestimmen, welche Patientinnen von einer neoadjuvanten Therapie profitieren könnten. Mögliche Kandidatinnen sind:
- Patientinnen mit lokal fortgeschrittenem Brustkrebs (Stadium III, T3- oder T4-Läsionen) – Diese Krebserkrankungen sind oft nicht primär operabel, und ihr hohes Fernrezidivrisiko rechtfertigt eine systemische Behandlung
- Ausgewählte Patientinnen mit Frühstadium-Brustkrebs (Stadium I oder II) – Sinnvoll, wenn eine brusterhaltende Operation aufgrund eines ungünstigen Tumor-Brust-Verhältnisses oder der Tumorlage nicht möglich ist
- Patientinnen mit triple-negativen oder HER2-positiven Krebserkrankungen – Selbst kleinere (T1c) Tumoren können profitieren, insbesondere wenn die Identifizierung von Resttumoren weitere Behandlungen leiten könnte
- Patientinnen mit begrenzter klinisch knotenpositiver Erkrankung (cN1) – Die neoadjuvante Therapie kann Achsellymphknoten verkleinern und möglicherweise umfangreiche Lymphknotenentfernungen vermeiden
- Patientinnen mit temporären Operationskontraindikationen – Zum Beispiel Frauen, die während der Schwangerschaft diagnostiziert werden, oder solche, die eine kurzzeitige Antikoagulation benötigen
Die Rolle der neoadjuvanten Therapie bei hormonrezeptorpositiven, HER2-negativen Krebserkrankungen ist weniger klar. Während Chemotherapie in diesen Fällen selten ein pathologisch vollständiges Ansprechen erzielt (typischerweise weniger als 10–15 %), führt sie oft zu einer ausreichenden Tumorschrumpfung, um Brusterhalt statt Mastektomie zu ermöglichen.
Vorbehandlungsuntersuchungen
Vor Beginn der neoadjuvanten Therapie führen Ärzte umfassende Untersuchungen durch, um die Pathologie zu bestätigen und das Krankheitsausmaß zu dokumentieren:
Tumorbewertung erfordert eine histopathologische Bestätigung und die Bestimmung des Rezeptorstatus (Östrogenrezeptor, Progesteronrezeptor und HER2). Während der diagnostischen Biopsie sollte eine radiologisch sichtbare Markierungsklammer im Tumor platziert werden, um die Stelle für spätere chirurgische Eingriffe und pathologische Bewertungen zu kennzeichnen.
Bildgebende Untersuchungen dokumentieren das Krankheitsausmaß vor der Behandlung. Ultraschall reicht typischerweise für die Tumorgrößenbestimmung aus, aber eine Brust-MRT kann bei der Beurteilung multifokaler/multizentrischer Erkrankungen helfen, insbesondere bei Patientinnen mit dichtem Brustgewebe. Routinemäßige CT-, Knochen- oder PET/CT-Untersuchungen werden typischerweise für klinisches Stadium I/II weggelassen, bei Stadium III oder inflammatorischem Brustkrebs jedoch angeordnet.
Lymphknotenbewertung beinhaltet eine körperliche Untersuchung der Achselhöhle bei allen neu diagnostizierten Patientinnen. Bei tastbaren Lymphknoten bestätigt eine ultraschallgeführte Feinnadelaspiration (FNA) oder Stanzbiopsie (CNB) den pathologischen Befall. Bei nicht tastbaren Lymphknoten ist ein Achselultraschall Routine. Verdächtige Lymphknoten im Ultraschall werden mittels FNA oder CNB untersucht, wobei die Falsch-negativ-Raten bei FNA bei 20–25 % und bei CNB etwas niedriger liegen.
Bei biopsiebestätigt befallenen Lymphknoten wird eine radiologisch sichtbare Klammer oder Markierung platziert, um die Identifikation nach neoadjuvanter Therapie zu ermöglichen. Die Entfernung markierter Lymphknoten während der Nachbehandlungs-Sentinel-Lymphknoten-Biopsie reduziert die Falsch-negativ-Rate laut prospektiven Studien von 10,1 % auf 1,4 %.
Neoadjuvante Behandlungsoptionen
Für die meisten Patientinnen bleibt die Chemotherapie der Standard-neoadjuvante Ansatz, einschließlich solcher mit lokal fortgeschrittener hormonrezeptorpositiver Erkrankung. Bei bestimmten hormonrezeptorpositiven Patientinnen kann jedoch auch eine endokrine Therapie infrage kommen.
Die Wahl der Behandlung hängt vom Krebs-Subtyp ab:
- HER2-negative Krebserkrankungen erhalten neoadjuvante Chemotherapieregimes, die auf die individuelle Situation zugeschnitten sind
- HER2-positive Krebserkrankungen erhalten HER2-zielgerichtete Wirkstoffe parallel zur gesamten oder einem Teil ihrer Chemotherapie
Die Entscheidung zwischen Chemotherapie und endokriner neoadjuvanter Therapie bei hormonrezeptorpositiven Patientinnen hängt von mehreren Faktoren ab, darunter Patientinnenalter, Begleiterkrankungen, klinisches Stadium, Tumorgrad, Hormonrezeptorexpressionsintensität und Proliferationsindizes wie Ki-67 oder Genexpressionsassay-Ergebnissen.
Nachbehandlungsbewertung und -behandlung
Die endgültige Operation sollte so bald wie möglich erfolgen, nachdem sich die Patientin von den Behandlungstoxizitäten erholt hat, typischerweise innerhalb von 3–6 Wochen nach Abschluss der neoadjuvanten Therapie. Die Nachbehandlungsbewertung umfasst eine körperliche Untersuchung und bildgebende Verfahren unter Verwendung der Modalität, die das anfängliche Krankheitsausmaß am besten darstellte.
Die Übereinstimmung zwischen Tumormessungen durch körperliche Untersuchung, Bildgebung (Mammographie, Ultraschall oder MRT) und endgültiger pathologischer Analyse ist aufgrund variabler Tumoransprechmuster mäßig. Diese reichen von symmetrischer Schrumpfung um einen zentralen Kern bis zu scheinbar vollständiger Auflösung trotz persistierender mikroskopischer Krebsherde.
Wiederholte Brustbildgebung mag nicht notwendig sein für Patientinnen mit klaren Kontraindikationen für brusterhaltende Therapie oder solche, die unabhängig von der Eignung eine Mastektomie wählen. PET-Untersuchungen sind nicht ausreichend sensitiv für die routinemäßige Bewertung von Resttumoren nach neoadjuvanter Therapie.
Behandlung der Axilla (Achselbereich)
Die Behandlung der Achselhöhle nach neoadjuvanter Therapie hängt ab vom Lymphknotenstatus vor der Behandlung, den Biopsieergebnissen und dem klinischen Lymphknotenstatus nach der Behandlung:
Klinisch negative Axilla vor Behandlung: Patientinnen ohne Nachweis von Lymphknotenbefall vor oder während der neoadjuvanten Therapie sollten eine Nachbehandlungs-Sentinel-Lymphknoten-Biopsie (SLNB) erhalten. Eine Metaanalyse von 16 Studien (1.456 Frauen) zeigte eine 96 %ige Sentinel-Lymphknoten-Identifikationsrate und eine Falsch-negativ-Rate von 6 % in dieser Population.
Die SLNB erfolgt typischerweise gleichzeitig mit der Brustoperation. Patientinnen sollten wissen, dass eine axilläre Lymphknotendissektion (ALND) während derselben Operation durchgeführt werden könnte, wenn die intraoperative Analyse persistierende Erkrankung in den untersuchten Lymphknoten zeigt.
- Wenn die Nachbehandlungs-SLNB negativ ist (ypN0), ist keine weitere Axillabehandlung nötig
- Wenn die Nachbehandlungs-SLNB positiv ist (ypN+), wird typischerweise eine axilläre Lymphknotendissektion empfohlen
Besondere Überlegungen
Patientinnen mit SLNB vor Behandlung: Während generell abgeraten wird, eine Sentinel-Lymphknoten-Biopsie vor neoadjuvanter Therapie durchzuführen, beeinflussen die Ergebnisse die Nachbehandlungsplanung. Die Entfernung positiver SLNs vor der Therapie bedeutet, dass das Ansprechen der Achselhöhle nicht vollständig bewertet werden kann, da der Lymphknoten entfernt wurde.
Schlechtes Ansprechen oder Progression: Patientinnen, die ein schlechtes Ansprechen oder eine Krankheitsprogression während der neoadjuvanten Therapie zeigen, benötigen individualisierte Behandlungspläne, möglicherweise einschließlich eines Wechsels des Chemotherapieregimes oder eines direkten Fortschreitens zur Operation.
COVID-19-Pandemie-Überlegungen: Behandlungsprotokolle können während Pandemiebedingungen angepasst werden, um die Krebsbehandlungsbedürfnisse mit der Reduzierung des Infektionsrisikos abzuwägen.
Klinische Bedeutung für Patientinnen
Die neoadjuvante Therapie bietet mehrere potenzielle Vorteile für Brustkrebspatientinnen:
- Erhöhte Brusterhaltungsraten: Studien zeigen, dass die neoadjuvante Chemotherapie im Vergleich zu adjuvanten Ansätzen die Rate brusterhaltender Therapien von 49 % auf 65 % steigert.
- Reduzierte Komplikationen bei Achseloperationen: Die Umwandlung klinisch lymphknotenpositiver Patientinnen in einen pathologisch lymphknotennegativen Status kann eine Sentinel-Lymphknotenbiopsie anstelle einer vollständigen Axilladissektion ermöglichen und so das Lymphödemrisiko verringern.
- Personalisierte Therapiesteuerung: Das Ansprechen auf die neoadjuvante Therapie liefert wertvolle prognostische Informationen, die bei der Anpassung nachfolgender Behandlungen helfen.
- Frühere systemische Behandlung: Früheres Angehen potenzieller Mikrometastasen.
Patientinnen sollten jedoch verstehen, dass die neoadjuvante Therapie mit einem leicht erhöhten Lokalrezidivrisiko verbunden ist (15-Jahres-Lokalrezidivrate von 21,4 % gegenüber 15,9 % bei adjuvanter Therapie), was hauptsächlich auf die erhöhte Anwendung brusterhaltender Operationen zurückzuführen ist.
Studieneinschränkungen
Bei der Interpretation von Daten zur neoadjuvanten Therapie sind mehrere Einschränkungen zu berücksichtigen:
- Die meisten zitierten Studien verwendeten frühere Versionen von Staging-Systemen zur Definition der Patientinnenpopulationen.
- Die Metaanalyse von Einzelpatientendaten umfasste Studien, die zwischen 1983 und 2002 initiiert wurden, vor vielen aktuellen Behandlungserfolgen.
- Die Falsch-negativ-Raten für Methoden zur Bewertung von Achsellymphknoten liegen bei 20–25 % für die Feinnadelaspiration (FNA) und etwas niedriger für die Stanzbiopsie (CNB).
- Die Übereinstimmung zwischen bildgebenden Messungen und pathologischen Befunden ist aufgrund variabler Tumoransprechmuster mäßig.
- Weitere randomisierte Studien, die die Auswirkungen der neoadjuvanten versus adjuvanten Therapie auf das Gesamtüberleben vergleichen, sind möglicherweise nicht durchführbar.
Quelleninformationen
Originalartikeltitel: Allgemeine Grundsätze des neoadjuvanten Managements von Brustkrebs
Autoren: William M Sikov, MD, FACP, FNCBC; Judy C Boughey, MD, FACS; Zahraa Al-Hilli, MD, FACS, FRCSI
Sektionseditor: Harold J Burstein, MD, PhD
Stellvertretende Editoren: Sadhna R Vora, MD; Wenliang Chen, MD, PhD
Literaturrecherche aktuell bis: Februar 2021
Thema zuletzt aktualisiert: 10. Februar 2021
Dieser patientenfreundliche Artikel basiert auf begutachteter Forschung von UpToDate, einer evidenzbasierten Ressource für klinische Entscheidungsunterstützung. Der Inhalt ist nicht als Ersatz für medizinische Beratung, Diagnose oder Behandlung gedacht. Wenden Sie sich immer an Ihren Arzt, wenn Sie medizinische Fragen oder Beschwerden haben.