Verständnis der Testosterontherapie bei Männern mit niedrigem Testosteron: Nutzen, Risiken und aktuelle Forschungserkenntnisse.

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Diese umfassende Übersicht zur Testosteronbehandlung bei Männern mittleren und höheren Alters mit niedrigen Testosteronwerten beleuchtet sowohl Nutzen als auch Risiken. Nachweislich verbessert die Testosterontherapie die Sexualfunktion, korrigiert Anämie und führt zu moderaten Steigerungen von Energie, Stimmung und körperlicher Leistungsfähigkeit. Allerdings zeigt sie keine positiven Effekte auf die kognitive Funktion bei Männern ohne vorbestehende kognitive Einschränkungen, verhindert nicht das Fortschreiten von Diabetes und geht mit erhöhten Risiken für klinische Frakturen und Lungenembolien einher. Kein erhöhtes Risiko für schwerwiegende kardiovaskuläre Ereignisse oder Prostatakrebs wurde festgestellt.

Testosterontherapie bei Männern mit niedrigem Testosteron: Nutzen, Risiken und Studienergebnisse

Inhaltsverzeichnis

Einführung: Was ist Hypogonadismus?

Ein ausgeprägter Testosteronmangel bei Männern, verursacht durch Störungen der Hypophyse oder Hoden, führt typischerweise zu erkennbaren Symptomen. Dazu zählen verminderter Sexualtrieb und sexuelle Aktivität, Rückbildung männlicher Merkmale und Muskelmasse, Hitzewallungen sowie Anämie. Testosteronpräparate sind von Zulassungsbehörden zur Behandlung dieses als Hypogonadismus bezeichneten Krankheitsbildes zugelassen und wirken bei vielen Männern zuverlässig gegen diese klinischen Auffälligkeiten.

Allerdings sind die meisten heute mit Testosteron behandelten Männer mittleren oder höheren Alters mit nur moderat erniedrigten Testosteronwerten. Diese Patienten leiden häufig unter einer hohen Belastung durch chronische Erkrankungen und unspezifischen Symptomen, die mit normalen Alterserscheinungen überlappen. Nutzen und Risiken einer Testosterontherapie sind in dieser Bevölkerungsgruppe weniger klar und unter Fachleuten nach wie vor umstritten.

Diese Übersicht beleuchtet verfügbare Erkenntnisse zu Nutzen und Risiken der Testosterontherapie bei Männern mittleren und höheren Alters mit moderat niedrigem Testosteron. Das Verständnis dieser Balance ist für Patienten und Ärzte gleichermaßen entscheidend, um gemeinsam informierte Therapieentscheidungen zu treffen.

Wie Testosteron im Körper wirkt

Viele der Vorteile und einige Risiken von Testosteron ergeben sich aus seinen vielfältigen Wirkmechanismen im Körper. Testosteron entfaltet anabole (aufbauende) Effekte auf Muskeln und Knochen und stimuliert über androgenrezeptorvermittelte Prozesse die Erythrozytenproduktion. Auf diese Weise trägt es maßgeblich zur Erhaltung männlicher Merkmale und der körperlichen Leistungsfähigkeit bei.

Testosteron wirkt zudem über nicht-genomische Mechanismen, die den penilen Blutfluss steigern und die erektile Funktion verbessern. Seine Effekte auf Libido und Knochengesundheit werden größtenteils durch die Umwandlung zu 17β-Östradiol vermittelt. Zudem wird Testosteron zu Dihydrotestosteron (DHT) umgewandelt, welches das Prostatawachstum anregt und zusätzliche anabole Wirkungen auf Muskeln und Knochen ausübt.

Testosteron und DHT erhöhen den penilen Blutfluss und begünstigen Erektionen durch eine rasche Steigerung der Stickoxidproduktion (endothelialabhängig) sowie durch Hemmung spannungsgesteuerter Kalziumkanäle oder Aktivierung von Kaliumkanälen an glatten Muskelzellen (endothelialunabhängig). Ein DHT-Metabolit namens 5α-Androstan-3α,17β-diol, der am γ-Aminobuttersäure-Rezeptor wirkt, steht im Zusammenhang mit Stimmung und emotionalem Befinden.

Wichtige Studien zur Testosterontherapie

Placebokontrollierte Studien aus den 1990er und frühen 2000er Jahren untersuchten, ob eine Testosterontherapie bei Männern mittleren und höheren Alters mit niedrigen oder niedrig-normalen Testosteronwerten Sexualfunktion, Knochendichte sowie Muskelmasse und -kraft verbessern kann. Während einige Studien auf Nutzen hindeuteten, blieben andere ohne eindeutiges Ergebnis. Beispielsweise zeigten manche Untersuchungen eine Steigerung der sexuellen Aktivität und Libido, eine Zunahme der fettfreien Körpermasse und eine Verbesserung der maximalen Muskelkraft – jedoch ohne durchgängige Übereinstimmung.

2003 kam ein Komitee des Institute of Medicine zu dem Schluss, dass die Evidenz für einen klinisch relevanten Nutzen der Testosterontherapie bei älteren Männern mit Hypogonadismus unzureichend sei. Es empfahl koordinierte Studien, um die Wirksamkeit von Testosteron bei älteren Männern mit niedrigem Testosteron zu bestimmen.

Als Antwort darauf wurden sieben Studien unter dem Namen Testosterone Trials (TTrials) initiiert. Diese umfassten 790 Männer mit einem Durchschnittsalter von 72 Jahren und einem mittleren Ausgangstestosteronspiegel von 234 ng pro Deziliter (8,1 nmol pro Liter). Die Teilnehmer erhielten über ein Jahr täglich transdermales Testosteron- oder Placebogel, wobei die Testosterontherapie die medianen Spiegel in den mittleren Normalbereich anhob.

Bevor die TTrials abgeschlossen waren, forderte die FDA von Herstellern die TRAVERSE-Studie zur Bewertung der kardiovaskulären Sicherheit. Diese Studie rekrutierte 5.204 Männer mit Hypogonadismus, die an kardiovaskulären Erkrankungen litten oder ein erhöhtes Risiko dafür aufwiesen. Die Teilnehmer waren im Mittel 63 Jahre alt und hatten einen Ausgangstestosteronspiegel von 227 ng pro Deziliter (7,9 nmol pro Liter). Sie erhielten täglich Testosteron- oder Placebogel und wurden im Median 33 Monate nachbeobachtet.

Etwa zur gleichen Zeit untersuchte die australische T4DM-Studie, ob eine Testosterontherapie plus Lebensstilintervention das Fortschreiten zu Typ-2-Diabetes verhindern oder die Erkrankung rückgängig machen kann. Diese Studie schloss 1.007 Männer mit gestörter Glukosetoleranz oder neu diagnostiziertem Typ-2-Diabetes ein, mit einem mittleren Alter von 60 Jahren und einem durchschnittlichen Serumtestosteronspiegel von 395 ng pro Deziliter (13,7 nmol pro Liter).

Belegte Vorteile der Testosterontherapie

Der konsistenteste Nutzen der Testosterontherapie bei Männern mit Hypogonadismus war eine verbesserte Sexualfunktion. In den TTrials steigerte die Testosterontherapie die sexuelle Aktivität um etwa 40 % (0,58 sexuelle Handlungen pro Woche), die Libido um etwa 25 % und die erektile Funktion um etwa 35 %. Zum Vergleich: In einer Studie mit US-Erwachsenen im Alter von 57–85 Jahren gaben etwa 50 % der Teilnehmer zwischen 75 und 85 Jahren an, zwei- bis dreimal monatlich sexuell aktiv zu sein.

Der Anstieg der sexuellen Aktivität umfasste 12 verschiedene Aspekte, von Flirten bis zum Geschlechtsverkehr. Die Steigerungen korrelierten mit Anstiegen der Spiegel von freiem Testosteron und Östradiol. In der TRAVERSE-Studie verbesserte Testosteron ebenfalls sexuelle Aktivität und Libido, nicht jedoch die erektile Funktion. In den TTrials wurde eine geringfügige Verbesserung der erektilen Funktion beobachtet (mittlerer Anstieg um 2,6 Punkte auf einer Skala von 0–30), verglichen mit einem Anstieg um 5,7 Punkte unter Sildenafil bei älteren Männern.

Testosterontherapie ging mit moderaten Verbesserungen der körperlichen Funktion einher. Bei allen TTrials-Teilnehmern war der Zuwachs an Gehstrecke im 6-Minuten-Gehtest unter Testosteron um 6–7 Meter größer als unter Placebo. Testosteron verbesserte auch die subjektive Einschätzung der allgemeinen körperlichen Funktion, obwohl die Steigerung der Gehstrecke bei Männern, die vor der Behandlung langsam gingen, ausblieb.

Fast die Hälfte der TRAVERSE-Teilnehmer berichtete über depressive Symptome, fast 10 % litten unter schweren depressiven Symptomen. Testosteron verbesserte die Stimmung insgesamt um 3–4 % und half den 2–5 % der Teilnehmer mit klinisch signifikanten depressiven Symptomen, zeigte jedoch keine Wirkung bei Männern mit formaler Diagnose einer Major Depression. In den TTrials erhöhte Testosteron positive Affektwerte um 3 %, verringerte negative Affektwerte um 6 % und depressive Symptomwerte um 10 %.

Testosteron steigerte in verschiedenen Studien leicht das Energielevel. In TRAVERSE war Testosteron mit einer 4–5 % größeren Energieverbesserung assoziiert als Placebo. Testosterontherapie erhöht generell die Hämoglobinspiegel. In den TTrials verzeichnete die Hälfte der anämischen Teilnehmer unter Testosteron Hämoglobinanstiege von mindestens 1,0 g pro Deziliter. In TRAVERSE korrigierten signifikant mehr Männer unter Testosteron ihre Anämie, ein Drittel zeigte Hämoglobinanstiege von mindestens 1,0 g pro Deziliter.

Testosterontherapie verbessert Knochendichte und -architektur. Im TTrials Bone Trial erhöhte ein Jahr Testosterongel die volumetrische Knochenmineraldichte und Knochenfestigkeit im spinalen trabekulären Knochen um 7 %, mit kleineren, aber signifikanten Anstiegen im peripheren (überwiegend kortikalen) Knochen und an der Hüfte. In einer T4DM-Unterstudie steigerte eine zweijährige Testosterontherapie den kortikalen Knochen in Tibia und Radius.

Erkrankungen mit geringem Therapienutzen

Testosterontherapie, die Serumtestosteron in den mittleren Normalbereich anhebt, hat kaum Einfluss auf den Glukosemetabolismus bei Männern mit Hypogonadismus. In den TTrials veränderte Testosteron weder Nüchternblutzucker noch HbA1c-Werte. Ebenso verringerte Testosteron in einer TRAVERSE-Unterstudie bei prädiabetischen Männern weder die Diabetesprogressionsraten noch beeinflusste es die glykämische Kontrolle bei Diabetikern.

In der TIMES2-Studie senkte Testosteron weder HbA1c noch Nüchternblutzucker bei Männern mit Typ-2-Diabetes oder metabolischem Syndrom. Allerdings war in der T4DM-Studie (mit Teilnehmern mit höheren Ausgangstestosteronspiegeln) Testosteron plus Lebensstilintervention über 2 Jahre mit einem geringeren Anteil von Teilnehmern assoziiert, deren 2-Stunden-Blutzuckerwerte 200 mg pro Deziliter oder höher lagen, verglichen mit alleiniger Lebensstilintervention.

Testosterontherapie verbesserte die Kognition bei Männern ohne vorbestehende kognitive Erkrankung nicht. In den TTrials verbesserte Testosteron weder verzögerte Satzwiedergabe, visuelles Gedächtnis, räumliche Fähigkeiten noch exekutive Funktionen bei Männern mit altersbedingter Gedächtnisbeeinträchtigung, obwohl es mit einer 7%igen Verbesserung der exekutiven Funktion bei allen Teilnehmern einherging.

Risiken und Sicherheitsaspekte

Testosterontherapie birgt mehrere wichtige Risiken, die Patienten verstehen müssen. Die Behandlung ist mit einem erhöhten Risiko für klinische Frakturen und Lungenembolien verbunden, ernste Zustände, die medizinische Aufmerksamkeit erfordern.

Entgegen historischer Bedenken erhöhte Testosterontherapie in den großen untersuchten Studien nicht das Risiko für Prostatakrebs oder akuten Harnverhalt und verschlechterte nicht die Symptome des unteren Harntrakts. Dies stellt eine wichtige Neubewertung der Testosteroneffekte auf die Prostatagesundheit dar.

Die Behandlung steigert die Erythrozytenproduktion, was zu Erythrozytose (überschüssige rote Blutkörperchen) führen kann. In der T4DM-Studie entwickelten 22 % der Teilnehmer Hämatokritwerte über 54 %, was Überwachung und mögliche Therapieanpassung erforderlich macht.

Patienten sollten diese potenziellen Risiken mit ihren Ärzten besprechen und für angemessene Überwachung während der Behandlung sorgen, einschließlich regelmäßiger Bluttests und Gesundheitsbewertungen.

Kardiovaskuläre Risiken: Studienergebnisse

Kleine Studien und retrospektive Untersuchungen seit 2010 lieferten widersprüchliche Ergebnisse darüber, ob Testosterontherapie das kardiovaskuläre Risiko erhöht. Eine randomisierte Studie bei älteren Männern mit Mobilitätseinschränkungen wurde früh gestoppt, nachdem in der Testosterongruppe vermehrt kardiovaskuläre Ereignisse aufgetreten waren, während eine andere ähnliche Studie nur wenige solcher Ereignisse verzeichnete.

Zwei retrospektive Kohortenstudien fanden leicht erhöhte Raten schwerwiegender unerwünschter kardiovaskulärer Ereignisse (MACE) bei testosteronbehandelten Männern, eine weitere Studie jedoch nicht. Diese Studien waren limitiert durch Unterschiede in Studienpopulationen, Behandlungsschemata, Dauer, Testosteronspiegeln unter Therapie und unzureichender Bewertung kardiovaskulärer Ereignisse.

Die TRAVERSE-Studie wurde speziell konzipiert, um zu klären, ob Testosterontherapie das kardiovaskuläre Risiko bei Männern mittleren und höheren Alters mit Hypogonadismus erhöht, die vorbestehende kardiovaskuläre Erkrankungen oder ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko aufwiesen. Der primäre Sicherheitsendpunkt war MACE – ein kombinierter Endpunkt aus nicht-tödlichem Myokardinfarkt, nicht-tödlichem Schlaganfall oder kardiovaskulärem Tod.

Die Ergebnisse zeigten, dass eine Testosteronbehandlung das Risiko für schwerwiegende kardiovaskuläre Ereignisse bei Männern mit vorbestehender kardiovaskulärer Erkrankung nicht erhöhte. Dies liefert wichtige Sicherheitsinformationen für Patienten und Ärzte, die eine Testosteronbehandlung in Erwägung ziehen.

Therapieentscheidung: Nutzen-Risiko-Abwägung

Die Entscheidung für eine Testosteronbehandlung bei Männern mit Hypogonadismus sollte auf dem Schweregrad des Testosteronmangels und einer sorgfältigen Abwägung des potenziellen Nutzens gegenüber den Risiken für den einzelnen Patienten basieren. Eine Behandlung ist nicht für alle Männer mit niedrigen Testosteronwerten geeignet.

Patienten sollten ihre spezifischen Symptome, ihren allgemeinen Gesundheitszustand und ihre persönlichen Gesundheitsziele berücksichtigen, wenn sie eine Testosterontherapie mit ihren Ärzten besprechen. Die konsistentesten Vorteile zeigen sich bei der sexuellen Funktion, der Korrektur von Anämie sowie moderaten Verbesserungen von Energie, Stimmung und körperlicher Funktion.

Patienten mit vorbestehender kardiovaskulärer Erkrankung können beruhigt werden, da Testosteron laut den Ergebnissen der TRAVERSE-Studie das Risiko für schwerwiegende kardiovaskuläre Ereignisse nicht zu erhöhen scheint. Allerdings erfordern die erhöhten Risiken für Frakturen und Lungenembolien eine sorgfältige Abwägung.

Eine regelmäßige Überwachung während der Behandlung ist unerlässlich, einschließlich Blutuntersuchungen zur Kontrolle der Testosteronspiegel, der Erythrozytenzahl und anderer relevanter Parameter. Die Behandlung sollte an das Ansprechen und eventuell auftretende Nebenwirkungen angepasst werden.

Quellenangaben

Originaltitel des Artikels: Testosterone Treatment in Middle-Aged and Older Men with Hypogonadism

Autoren: Shalender Bhasin, M.B., B.S., und Peter J. Snyder, M.D.

Veröffentlichung: The New England Journal of Medicine, 2025;393:581-91

DOI: 10.1056/NEJMra2404637

Dieser patientenfreundliche Artikel basiert auf peer-reviewter Forschung und zielt darauf ab, komplexe medizinische Informationen für gebildete Patienten zugänglich zu machen, wobei alle wesentlichen Daten, Ergebnisse und klinischen Implikationen der Originalforschung erhalten bleiben.